wie instant ist instantan? (Schauungen & Prophezeiungen)

Gerhard, Freitag, 27.01.2012, 22:26 (vor 4465 Tagen) @ Ulrich (3305 Aufrufe)

Hallo Ulrich!

Du gebrauchst die Formulierung "Beschleunigung von gerade mal + 8 km/h". Das ist schon ein großer Fortschritt gegenüber der naiven Vorstellung von Taurec, der einfach "mal so" das gute Deutschland mit 14km/h dahinwandern lässt. Nehmen wir mal an, diese Geschwindigkeit verursache nicht mehr als das Rütteln in der Postkutsche (was aber wirklich so nicht ist ... siehe dazu unten), so bleibt immer noch die Frage: innerhalb welcher Zeitspanne bringt Taurec die heilige Mrs. Germany vom Trab in den Galopp? Beschleunigung ist die Änderung der Geschwindigkeit innerhalb einer bestimmten Zeit.

Nehmen wir einen Apfel und versuchen wir, die Haut gegen das Fleisch zu verdrehen. Erstens müßte Taurec angeben, wo geanu die Grenze zwischen Haut und Fleisch sein soll. Denn an diesem Punkt entscheidet sich die Rechnung, wieviel "Reibung" überwunden werden muss. Hinzu kommt, dass man nicht nur Deutschland bewegen, sondern die gesamte Apfelhaut verschieben muss. Wie kommen wir nun bei der Apfelhaut von der Geschwindigkeit x auf die Geschwindigkeit x + 14?

Sollen wir da einen Impakt wirken lassen? Ein Streifschuss mit dem Spatzengewehr vielleicht? Ich denke niemand kann das bewerkstelligen, nicht am Apfel und nicht an der Erde. Versuchen wir es also auf die sanfte Tour: umfassen mit zwei Händen den Apfel und sprechen das Zauberwort. Aber was ist nun "instantan"? Wie schnell soll der Zauber wirken? Innerhalb von einem Tag? Oder geben wir dem Apfel ein Jahr Zeit? Aber Runzeln darf er keine bekommen! Jedenfalls hängt vom Betrag der Beschleunigung die korrespondierende Träheit ab - und damit der ganze Rattenschwanz der Folgewirkungen. Und auf diesen Punkt bist weder Du noch Taurec eingegangen.

Damit wäre es aber nicht getan. Wir müssen diese beschleunigende Kraft über die gesamte Verschiebdauer aufrechterhalten. Woher soll diese Kraft kommen? Denn wenn sie nicht bleibt, wird durch die Reibung (der Kruste auf dem Untergrund) der ganze Schiebprozess wieder abgebremst. Und hier könnte ich einfügen, dass dieser permanente Prozess der Überwindung der Reibung viel, viel mehr verursacht, als ein Rütteln in der Kutsche. Allein wenn ich daran denke, dass die Erde kein mechanisches Fahrzeug sondern ein Stromgenerator ist, stellen sich mir bei der entsprechenden Vorstellung schon die Haare zu Berge - mal echt physikalisch gesprochen.

Eine Krustenverschiebung wie von Dir und Taurec spekulativ imaginiert ist eine differentielle Rotation des Reifens gegen die Felge. Ist das Ventil bei einer Vollbremsung noch an der selben Stelle? Also, es tut mir leid, ich kann das wirklich nicht weiter ausführen.

Die Dinge wurden im übrigen alle schon durchspekuliert. Erinnere mich undeutlich, dass Kirshvink das schon 1997 mal gerechnet hat. Einigermaßen erträglich und seriös sind die Kalkulationen in "Earth's Catastrophic Past and Future" (Hutton/Eagle). Das ist eigentlich ein Buch zu den Readings von Cayce. Aber es ist irgendwie seriös. Dort werden auch die anderen Fälle (Achsenverlagerung, magnetische Pole etc.) durchdekliniert. War eine echte Arbeit - das muss man anerkennen.

Als der Diskussion nicht angemessen finde ich dagegen ein Bildchen von Nördlingen (ich war mal auf dem Kirchturm dort, man kann den Rand des Impaktkraters wahrscheinlich nur bei bestem Wetter sehen) oder eine Bemerkung über dünne Erdkrusten (das Bohemicum hat eine auffällig dicke Kruste, bis zu 14km Granit!). Und natürlich auch nicht diese Deutschlandfahrt.

Du hast Wegener erwähnt. Der hat wirklich jahrelang die Verläufe von Gebirgsketten studiert, ihre Struktur und mineralische Zusammensetzung. Das war eine totale Sisyphusarbeit. Erst wenn sich Spekulation, hier in Form einer Hypothesenbildung, mit solchem Realitätssinn verbindet, kommt man zu Erkenntnisgewinnen. Für eine "Instant-Kontinentaldrift" gibt es (fast) keine empirische oder rationale Grundlage, also kann man hier bloß spekulieren oder phantasieren. Übrigens war Wegener vielleicht auch der erste Impaktforscher. Ihm waren bei den Oberflächenstudien Hinweise auf Kraterformen aufgefallen. Er hat dann an die Mondoberfläche gedacht, und als Drittes hat er Hunderte Experimente mit fallenden Tropfen und Steinchen durchgeführt. Ich kann nicht erkennen, dass in den Beiträgen hier zum Thema Polsprung eine vergleichbare wissenschaftliche Substanz steckt, noch könnte oder wollte ich sie selbst leisten. Letzteres werde ich in Antwort auf einen Beitrag von Taurec andernorts noch kurz begründen.

Mit Bedauern, Gerhard


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