wenn alles begriffen ist, gibt's nichts mehr zu begreifen (Schauungen & Prophezeiungen)

Gerhard, Montag, 27.06.2011, 20:42 (vor 4680 Tagen) @ HJH (6251 Aufrufe)

- soll mal einer gesagt haben (F.G. Jünger vielleicht, dem würde ich das zutrauen ...), obwohl so ein Satz natürlich schon logisch gesehen falsch ist ...

Zu guter Kultur (und hier sind wir ja in der Kulturabteilung von HJH) gehört es aber, die Sprache, die man spricht und schreibt, auch zu pflegen und zu bewahren (sie ist einem ja von den Vorfahren geschenkt worden und gehört zu den wichtigsten menschlichen Kulturgütern). Und im Rahmen dieser Sprachpflege wiederum sollte man vor allem sachgemässen Gebrauch von den sog. "Begriffen" machen - schon allein, um unter Gesprächspartnern richtig verstanden zu werden. Denn der Alltag lehrt uns, dass die VORSTELLUNGEN und Assoziationen, die wir mit bestimmten Begriffen verbinden, von Individuum zu Individuum oft sehr stark schwanken.

Im folgenden Text, der sehr lang ist (und deshalb nur für ausgesprochen stark interessierte Leserinnen und Leser gedacht ist ...) wird versucht, jene Begriffe, die im Kontext der "Schauungen" auftauchen und häufig verwendet werden, ein wenig zu beleuchten und zu reflektieren.

Die "Schauung" ist gleich dem "Gesicht", es handelt sich um Synonyme (Plural: Schauungen bzw. Gesichte - im Unterschied zu Gesichter). Gemeint ist der Zustand und Inhalt einer Wahrnehmung, die sich offenbar außerhalb der normalen Sinne und Denktätigkeit abspielt, die aber mit dem Bewußtsein dennoch erfasst wird und später erinnert werden kann. Letzteres ist hirnphysiologisch und psychologisch gesehen keineswegs selbstverständlich und im Grunde "unerklärlich". In der Wissenschaft wird anstelle der "Schau" lieber der Begriff "Außersinnliche Wahrnehmung (ASW)" verwendet, im Englischen also die "Extrasensory Perception (ESP)", doch umfasst die ASW weit mehr Phänomene als nur die "Schauung" (z.B. auch die Telepathie). Weil die Personalisierung der "Schau" im Deutschen nur einen (umständlich auszusprechenden) "Schauuenden" oder "Schauer" hervorbringt, ist man wohl bei "Seher" und "Seherin" geblieben. Nur im Mundartlichen schlägt auch der "Gucker" durch, etwa beim Spökenkieker.

Die althergebrachte Entsprechung zu diesen Begriffen in der europäischen Theologie und religiösen Literatur ist der lateinische Begriff "visio" (pl. visiones), im akademischen Deutsch auch "Vision" (pl. Visionen). Obwohl der Begriff absolut nichts anderes meint wie eben auch nur "Gesicht" bzw. "Schauung", wird er heute wegen des religiösen Beigeschmacks nicht mehr gern benutzt und in der aktuellen Wissenschaftssprache gerne durch die farblose "Außersinnliche Wahrnehmung (ASW)" ersetzt.

Obwohl die Schauung, wie das Wort ausdrücken will, sich überwiegend auf eine optische Wahrnehmung bezieht, sind sehr oft auch akustische Wahrnehmungen in ihr enthalten, seltener Gerüche (etwa wenn Teuflein aufkreuzen ...) und noch seltener andere Körperempfindungen (etwa dass man spürt, wie der eigene Körper bewegt wird, z.B. beim Waldviertler in einer Schau, in der er von einer Detonationswelle weggeschleudert wird). Eine reine Gehörwahrnehmung wird als "Audition" bezeichnet.

Schauungen können innerhalb des Tagbewußtseins auftreten, die überwiegende Anzahl aber tritt im Schlaf bzw. während des Träumens auf (gehäuft gegen Ende desselben), weswegen es sich, der Präzision wegen, empfiehlt, dann von einem "Traumgesicht" bzw. von einer "Traumschauung" zu sprechen - wenigstens aber durch eine beigefügte Erklärung den Sachverhalt eindeutig zu machen. Denn Schauungen, die im Traum stattfinden, zeichnen sich dadurch aus, dass sie stark vom sog. "Unterbewußtsein" beeinflußt sind und sich mit Motiven und Inhalten gewöhnlicher Träume stark vermischen. Es gehört zu den schwierigsten Aufgaben in diesem Bereich, eine Traumschau von einem Traum sicher zu unterscheiden.

Sowohl innerhalb des Träumens, aber auch innerhalb des Tagbewußtseins zeichnet der Zustand der "Schau" sich durch bestimmte Merkmale aus, die sich unter Umständen auch körperlich bemerkbar machen (Veränderungen im Muskeltonus, im Wärmeempfinden, in der Reaktionszeit, vor allem auch in der Atmung). Um diese Randphänomene mit abzudecken, wird heutzutage in der Wissenschaftssprache in einer weiteren Stufe der Verallgemeinerung von "Außergewöhnlichen Erfahrungen (AgE)" gesprochen, die dann natürlich weit mehr umfassen als wiederum nur "Schauungen" (im Englischen: Exceptional Experiences, ExE), etwa auch Gefühle eines "unerklärlichen Berührtseins" etc. Wenn die körperlichen Begleiterscheinungen während einer Schau sich sehr stark ausprägen, redet man auch von einer "Trance", in der früheren europäischen Literatur von einer "Ekstase", auf Deutsch die "Verzückung" und "Entrückung" (griech. Ek-stasis, das aus sich Heraustreten: gemeint ist wohl das Heraustreten des "Schauungsbewußtseins" aus einem reglos gewordenen Körper, verbunden mit einer Erweiterung des Bewußtseins).

Im häufigsten Fall wird es so sein, dass eine "Schauung" bzw. ein "Gesicht", wenn diese während dem Tagbewußtsein kommen, sich mit den ihnen eigenen Bildern der Wahrnehmung des Alltags überlagern. Die Alltagserfahrung kann aber auch sehr weitgehend zurücktreten - und in diesem Fall ist die Grenze zwischen beiden Bewußtseinszustädnen am deutlichsten erkennbar. In ganz bestimmten Fällen kann aber das Tagesbewußtsein voll erhalten bleiben und der Gegenstand der "Schau" sich in die natürliche Umgebung hereindrängen - wird dann aber durch ungewöhnliche optische Erscheinungen trotzdem in gewissser Weise begrenzt. Dieser Fall wird als "Erscheinung" bezeichnet, am bekanntesten sind hier die sog. "Marienerscheinungen".

Eine Vorstufe der Fähigkeit zur "Schau" ist die Gabe der "Vorahnung" (engl. premonition, presentiment), die sich von der Schau dadurch unterscheidet, dass sie keine Bilder wahrnimmt, sich vielmehr im Gefühlsbereich manifestiert, überwiegend natürlich bei den Ängsten, jedoch gibt es auch Vorahnungen glücklicher Ereignisse - Schwangerschaften wären ein gutes Beispiel .... Im Gegensatz zur "Schau" betreffen die Vorahnungen nur Ereignisse, die mehr oder weniger unmittelbar anstehen (im Durchschnitt maximal eine Woche im Voraus). Mit der "Vorahnung" nun wird der Bereich der "Präkognition" betreten, doch bevor die Begriffe in diesem Bereich vorgestellt werden, soll sehr nachdrücklich und klar festgehalten werden, dass Inhalte von Schauungen keinesfalls nur mit der Zukunft zu tun haben müssen. Inhalt und Gegenstand von Schauungen können alle Dinge und Sachverhalte sein, die auch Gegenstand des Tagbewußtseins, also der normalen Wahrnehmung und Denktätigkeit sind. Schauungen in die Zukunft, auch wenn sie häufig vorkommen, sind nur ein Bruchteil aller Schauungsinhalte, die berichtet werden.

Der Vollständigkeit halber soll noch erwähnt werden, dass neben der "Schau" und der "Vorahnung" auch die gewöhnliche "Ahnung" (Intuition) eine wichtige Rolle im Alltag spielt, vor allem bei Entscheidungsfindungen. Auch sie bezieht sich in ihren Gegenständen keineswegs nur auf Zukünftiges, sondern kann alle nur denkbaren Sachverhalte betreffen - vorzugsweise natürlich mit Realitätsbezug (sehr schnell spüren z.B. manche Frauen, wenn "ihr" Mann fremdgeht, umgekehrt soll es - was genau? - seltener sein ...). Der "Intuition" nahe verwandt ist das "stille Wissen" um eine Sache: man weiß etwas, ohne es je gelernt, erfahren oder erdacht zu haben. Und manchmal stimmt es sogar. Es ist dies eine Begleitempfindung zu einem Denkvorgang, die nicht nur im Tagesbewußtsein sondern auch innerhalb einer Schau vorkommen kann.

Der Begriff "Präkognition" wird überwiegend nur in der Wissenschaftssprache verwendet und entspricht dem deutschen "Vorherwissen" bzw. "Vorauswissen" (genau übersetzt: Voraus-Erkenntnis). Das Spiegelbild ist die Retrokognition, die gelegentlich bei der Aufklärung von Kriminalfällen angewendet wird, vor allem aber bei professionellen "Hellseherinnen" eine Rolle spielt, wenn diese erstmal durch Aufzählung von Ereignissen aus der Vergangenheit eines anfragenden Kunden dessen Vertrauen gewinnen sowie seinen Lebenslauf und seine Persönlichkeitsstruktur erkunden wollen - auch hier bezieht sich also das "Schauen" keineswegs nur auf die Zukunft. "Hellsehen", dies beiläufig, ist nichts anderes als ein "Schauen", allerdings unter dem Anspruch, nicht nur in "verborgene Bereiche" sondern auch in die "Wahrheit" zu sehen.

Die Quellen für Präkognition, also Voherwissen, sind sehr häufig entweder "Schauungen" im Tagbewußtsein oder "Traumschauungen", wie eben erwähnt, ist hierbei das "Hellsehen" einzuschließen. Bei parapsychologischen Experimenten zur Präkognition wird aber der Bereich der Intuition bzw. des "stillen Vorauswissens" wie selbstverständlich mit eingeschlossen (obwohl das besser nicht geschehen sollte), etwa wenn in einem Experiment einer Versuchperson nur wenige Sekunden Frist gegeben wird, um ein Ereignis vorherzusagen, das sich sogleich (meist maschinell oder am Computer erzeugt) manifestieren wird. In solch einer kurzen Frist kann keine vollständige Zukunft-"Schau" erzeugt werden - es handelt sich also eher um Intuitionen. Wenigstens haben solche Experimente, zusammen mit anderen systematischen Forschungen ergeben, dass Menschen zweifelsfrei zur Präkognition befähigt sein können. Neben der Telepathie gehört die Präkognition damit zu den am besten abgesichterten parapsychologischen Phänomenen.

Es ist nicht zwingend, dass ein "Seher" oder eine "Seherin" noch im Verlauf der "Schau" zugleich auch realisiert, dass es sich um ein zukünftiges Geschehen handelt, das er/sie gerade sieht. Er kann sich dies vielleicht begleitend "denken" - oder hat ein "stilles Wissen" davon noch während der Schau (vor allem, wenn sie länger dauert) oder es tritt manchmal in der Schau eine "Stimme" auf, die das ausdrücklich sagt. In den meisten Fällen wird der Seher oder die Seherin aber erst nach der Schau, durch Überlegen, vor allem aber aufgrund bisheriger Erfahrungen zu dem Schluß kommen, dass es sich um eine Zukunftsschau gehandelt haben könnte. Es gehört schon sehr große Erfahrung und Selbsterfahrung dazu, sofort und mit Bestimmtheit unmittelbar nach der Schau sagen zu können, dass sie ein zukünftiges Geschehen zum Inhalt hatte.

Jeder einigermaßen selbstkritische und verantwortungsbewußte Seher wird zögern, insbesondere Schauungen der Zukunft mitzuteilen und zu äußern. Erst in dem Augenblick jedenfalls, da er es tut, entsteht eine "Voraussage" bzw. eine "Vorhersage". Macht jemand deshalb eine Voraussage, so hat er anzugeben, aus welchen Quellen diese stammt, und sofern die Quelle eine Schauung ist, wäre es fair, diese Schauung vollständig wiederzugeben, so dass derjenige, der sich für diese Vorhersage interessiert, sich wenigstens vom Schauungsinhalt ein Bild machen kann. In der Regel geschieht dies leider nicht, vielmehr beschränken sich Zukunftsseher(innen) und Hellseher(innen) gerne darauf, nur ausgewählte Inhalte und Zusammenfassungen ihrer Bilder weiterzugeben, oft auch nur Schlußfolgerungen, manchmal sogar Interpretationen. Beim Umgang und bei der Forschungsarbeit mit Schauungen muß auf diese kritischen Punkte unbedingt geachtet werden.

Von einer Voraussage aufgrund einer Schauung ist streng zu trennen die Prognose. Von ihr nimmt man nämlich an, dass sie aufgrund von (Lebens-) Erfahrung und von Fachwissen gemacht wird. Der Begriff der Prognose kam im Abendland zuerst auf im Bereich der (hippokratischen) Medizin, da vom Arzt früher verlangt wurde (oft war das wichtiger als sein Auftrag zur Heilung), ob und wann der Patient eventuell sterben würde. Der Begriff Prognose ist daher im normalen Sprachgebrauch reserviert für eine Vorhersage auf der Basis und mit dem Anspruch von rationaler Erkenntnis (heute im allgemeinen als "wissenschaftliche Erkenntnis" bezeichnet). Hier müßte etwa auch die "astrologische Prognose" untergebracht werden, zu guten Teilen auch das "Kartenlegen" und ähnliche Techniken, doch mischen sich in diese Verfahren (ganz abgesehen von der Frage ihrer "Wissenschaftlichkeit" und "Rationalität") manchmal bereits intuitive oder gar hellseherische Elemente hinein. Spezifische Prognosen, so die heutige Auffassung (die nicht richtig sein muss ...), können eigentlich nur von Fachleuten, und nur in ihrem Bereich gemacht werden. Wie das dann aussieht, sehen wir besonders bei Börsenprognosen und bei Trendforschern ...

Leider bietet die deutsche Sprache nach meinem Wissen keinen Begriff, mit dem die "Voraussage aufgrund einer Schauung" von einer "Voraussage aufgrund von Erfahrung und rationaler Erkenntnis" unterschieden werden könnte. Deswegen wäre m.E. für letztere der Begriff Prognose vorzuziehen. Zu der "Voraussage aufgrund einer Schauung" passt übrigens eher der Begriff "Gewissheit" oder "Ungewissheit", während fachliche Prognosen, falls sie nicht ganz unsicher sind (etwa ob der Reaktor nun kernschmelzt oder nicht ...), in Graden von "Wahrscheinlichkeit" bewertet bzw. bemessen werden.

Wiederum aus dem Bereich der Religion stammt der Begriff der "Prophetie", dessen Anwendung eigentlich streng auf die frühe israelitische Religion begrenzt werden sollte. Die alten Völker hatten alle ihre eigenen spezifische Techniken und Traditionen, um Entscheidungen abzustützen und etwas über die Zukunft zu erfahren - in Griechenland etwa gab es die "Orakel", am bekanntesten die Pythia von Delphi, oder auch die Sibyllen). Die Israeliten kannten entsprechend den "Propheten", der den Führern der Stämme, später den Königen die Anweisungen und Warnungen ihres Gottes überbrachte. Dabei ging es weniger um die Zukunft, als um ein "Tun und Lassen", als dessen gute oder schlechte Folge die Zukunft dann gesehen wurde. Prophetische Worte, die Mut machen und eine gute Zukunft ansagen sollten, hat Luther mit "Verheißungen" übersetzt - in der Zwischenzeit kann auch "nichts Gutes" verheißen werden (war das grammatikalisch richtig?). In der Zeit Jesu und im frühen Christentum gab es offenbar viele Menschen, die glaubten, etwas über die Zukunft zu wissen, Luther übersetzt deren Worte gern mit "weissagen". Diese Formen der Voraussage müssen von den alten Propheten aber auch von den "Offenbarungen" der Apokalyptiker (überwiegend auch eine jüdisch-christliche Angelegenheit ...) begrifflich streng getrennt werden. Erst in der Neuzeit wird der Begriff "Weissagung" dann zunehmend auch auf nichtreligiöse Voraussagen angewendet.

Ein Begriff, der sich von den alttestamentlichen Propheten (bzw. deren Bezeichnung im Altgriechischen) zwar herleitet, aber mit ihnen rein gar nichts zu tun hat, ist der Begriff "Prophezeiung". Es handelt sich um einen (im Deutschen m.E. etwas künstlich und inzwischen geschmacklos wirkenden) Begriff, der seines religiösen Kontextes ebenfalls völlig entkleidet wurde und seit etwa 600 Jahren zuerst von Gelehrten und Akademikern, in neuerer Zeit von "Esoterikern" und inzwischen von jedermann und -frau für alle Arten von Zukunftsvorhersagen verwendet wird - egal ob diese Vorhersagen aus Schauungen, aus der blühenden Phantasie oder dem Kaffeesatz stammen.

Ich habe damit das Begriffsfeld, mit dem in einem seriösen Weltenwende-Wiki gearbeitet werden müßte, prospektiv etwas abgesteckt, und zwar entlang dem üblichen Sprachgebrauch, wie ich ihn kenne. Definitionen habe ich vermieden, es handelt sich bei meinen Ausführungen eher um Anregungen und Vorschläge, um spezifische Definitionen ggfs.zu entwickeln, wo das notwendig sein sollte. Der Text hat mich eine Stunde gekostet und ich habe nicht in irgendwelchen Fachlexika nachgeschlagen, denn in einem Wiki könnte man die wichtigsten der oben angesprochenen Begriffe ja bequem weiterverlinken, etwa in die Wikipedia selbst hinein.

Grüsse, Gerhard


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