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Die Zeile geht auf eine Fälschung zurück (Schauungen & Prophezeiungen)

Taurec ⌂, München, Mittwoch, 11.05.2011, 23:55 (vor 4705 Tagen) @ randomizer (3020 Aufrufe)

Hallo!

Gesagt werden sollte noch, daß Spielbähn, den Konzionator zitiert und auf dem das Lindelied an dieser Stelle basiert, eine Fälschung ist.

"[...](und) Das deutsche Reich wird sich einen Bauer zum (zu seinem) Kaiser wählen.
Der wird ein Jahr und einen Tag Deutschland regieren (regiert).
Der nun die Kaiserkrone nach ihm trägt, das wird der Mann sein, auf den die Welt lange gehofft hat.
Er wird ein römischer Kaiser heißen und der Menschheit den Frieden geben.
[...]"

Da mir nicht bekannt ist, daß diese Aussage bei einer anderen, älteren, validen Quelle ebenfalls vorkäme, muß ich davon ausgehen, daß es sich der Spielbähnfälscher Schrattenholz (zumindest in dieser Form) ausgedacht hat.
In einem seiner Machwerke schreib Schrattenholz, die Aussage müsse noch in der Zukunft liegen, weil gegenwärtig (1848) kein deutsches Reich existiere, das sich einen Kaiser wählen könne. Weiter schreibt er: "Solange nicht alle deutschen Kronen und Krönchen mit aufopfernder Vaterlandsliebe in eine einzige umgeschmolzen und als nationale Strahlenkrone dem Haupte des Würdigsten von Fürsten und Volk gemeinschaftlich aufgesetzt wird, kann die deutsche Einheit nie reine Wahrheit werden." (7. Auflage des Spielbähn von 1848, zitiert aus "Spielbähn" von Henseler, 1950.)

Damit gibt sich Schrattenholz als Demokrat zu erkennen. Das macht es wahrscheinlich, daß an dieser Stelle der Wunsch der Vater des Gedanken war. Schrattenholz hätte gerne einen aus dem Volke Gewählten als Kaiser gehabt.

"Ein Jahr und einen Tag" ist entweder willkürlich gewählt oder geht auf die Redewendung "Jahr und Tag" zurück, die einfach einen unbestimmten Zeitraum bezeichnet.
1920, im Jahr nach der Gründung der Weimarer Republik, kam eine solche Aussage den Konservativen natürlich sehr gelegen und wurde von Konzionator wahrscheinlich wörtlich so verstanden, daß das Erscheinen des Erretterkaisers nach dem Interregnum durch den demokratisch gewählten Ersatzkaiser kurz bevorstehen müsste.

Hingerl hat Konzionator (und damit indirekt Spielbähn) aufgegriffen und durch seine Umformulierung quasi entschärft, so daß eine allgemeingültige Aussage entstand, die sich ohne Ablaufdatum auf die schändliche und schädliche Volksherrschaft (der Bauer kaisert = der Bauer macht den Kaiser) beziehen läßt.

Inhaltlich ist dem Vers zuzustimmen. Als Prophezeiung praktisch verwendbar ist er jedoch nicht, weil er keine seherische Grundlage hat.

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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