Durch die Hintertür
Geschrieben von Suchender am 25. März 2005 00:00:
BERLIN/BRUXELLES/LONDON (Eigener Bericht) - Vor dem EU-Regierungsgipfel am kommenden Dienstag richtet sich die deutsche Außenpolitik auf ein mögliches Scheitern der ,,Verfassung für Europa" ein und bereitet Optionen für die Bildung einer deutsch-französischen Kernmacht vor (,,B-Plan"). Befürchtet wird die Ablehnung der ,,Verfassung" in Großbritannien, Polen, der Tschechischen Republik und Dänemark. Diese Länder müssten ,,mit massivem Druck" rechnen, sollten die dortigen Abstimmungen nicht zu dem gewünschten Ergebnis führen, heißt es in einer prominenten Politikstudie aus dem Umfeld des Auswärtigen Amtes. Denkbar wären Maßnahmen, um die Wähler vor einem zweiten Referendum ,,zur Vernunft" zu bringen, formuliert das aktuelle ,,Working Paper". Auch wird die Änderung gültiger Wahlgesetze in EU-Staaten erwogen, um eine Annahme des Vertragswerks doch noch zu erzwingen. Sollte die Verfassung trotzdem scheitern, bliebe die ,,außervertragliche Zusammenarbeit" der EU-Kernstaaten ,,in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik" unbenommen - insbesondere zum Aufbau einer Militärzentrale für Rüstungsaufträge (,,Verteidigungsagentur").
In dem ,,B-Plan" des ,,Centrum für angewandte Politikforschung" (CAP) werden die bevorstehenden Referenden als ,,Sprengsatz" bezeichnet, die den Verfassungsvertrag obsolet machen könnten.1) Da Meinungsumfragen in Großbritannien ,,derzeit" ein klares ,,Nein" zur EU-Verfassung voraussagen und ,,auch in Frankreich (...) ein Negativvotum in dem am 29. Mai 2005 stattfindenden Referendum nicht ausgeschlossen" wird, bemüht sich das CAP-Papier um Auswege.
Taktik
Auf Polen und die Tschechische Republik, wo selbst parlamentarische Mehrheiten für den Verfassungsvertrag nicht sicher sind, könnte ,,(d)urch vorherige positive Voten in anderen Staaten (...) Druck ausgeübt werden". Dieser Überlegung entsprechen möglichst spät angesetzte Abstimmungen, die in der CR im Juni 2006 und in Polen nicht vor Herbst 2005 stattfinden sollen. Auch in Großbritannien gehöre es zu einer ,,bewußt kalkulierte(n) Taktik, (...) das Referendum so lange wie möglich hinaus zu zögern", heißt es in einem weiteren deutschen Risikopapier aus dem Umfeld des Auswärtigen Amtes.2) Als zusätzliche Möglichkeiten bieten sich den deutschen Planern zielgerichtete Eingriffe in das Wahlrecht benachbarter Staaten an. So könnte in Polen das Quorum außer Kraft gesetzt werden, wonach ein Referendum erst gültig ist, wenn mehr als 50 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben haben. Auf diese Weise hätten Ergebnisse wie bei den zurückliegenden Wahlen zum EU-Parlament (Beteiligung in Polen: 20,8%) oder zur EU-Verfassung in Spanien (Wahlbeteiligung: 42%) keine unerwünschten Auswirkungen.3)Politisches Marketing
Als weitere Möglichkeit wird die Wiederholung eines gescheiterten Referendums erwogen. Dem ,,könnten Maßnahmen des 'politischen Marketing"' vorangehen, schreiben die Berliner Autoren und empfehlen den gebündelten Einsatz ,,alle(r) Regierungschefs der bereits ratifizierten Staaten", die ,,in dem betroffenen Land" für ein genehmes Ergebnis ,,werben" sollten.4) Dass solche Maßnahmen die angeblichen Volksabstimmungen in ein manipulatives Werbegeschäft verwandeln, ist den deutschen Planern durchaus bewusst. Sie stellen in Rechnung, dass das ,,politische Marketing" von den ,,Bürgern als Affront gegen ihren Wählerwillen angesehen und zu Stimmenverlusten der regierenden Partei bei den nächsten Wahlen führen könnte."
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- Re: Durch die Hintertür Wizard 25.3.2005 04:10 (0)