Karneval der Eitelkeiten und des Irrsinns

Geschrieben von Badland Warrior am 07. Februar 2005 19:57:34:

Als Antwort auf: Bauklötzchenturm geschrieben von BBouvier am 07. Februar 2005 15:17:19:

Hallo, Bouvier!

Ich beobachte mehrere scheinbar paradoxe Verhaltensweisen:

Da ist die Gruppe der „Coolen“. Sie verdrängen, wollen nicht wahrhaben oder bilden sich tatsächlich ein, dass alles so weiterläuft. Nach dem Motto:
„Bin ich traurig hol ich mir
einen Porno und zwei Bier
und dann geh ich auf mein Zimmer.
Und da schließe ich mich ein,
ja, ich bin ein altes Schwein,
doch Pornos helfen immer.“ („Rotz auf der Wiese“)
Also schlicht und einfach das alte Panem et Circenses, Brot und Spiele. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Hauptsache, der Spaß geht weiter. Wird schon nicht so schlimm sein. Alles Panikmache. Spinnerei, sich darüber Gedanken zu machen.
Darunter sind dann die Konjunkturfetischisten, die sich mit den „Selbstheilungskräften des Marktes“ eine nette Zukunft zurechtlügen, die Börsenjunkies („Heute unbedingt in Puts investieren, morgen in Fonds, übermorgen in Schatzanleihen und Rückversicherungen, und überübermorgen möglichst schnell verkaufen!“), darunter sind aber auch die dummen Prolls, denen alles scheißegal ist, Hauptsache, das Amt zahlt, die Alte ist willig, Video läuft und Knackbier bleibt billig.
Fressen, Ficken, Fernsehen!
Und nebenbei saufen und vielleicht mal eine öffentliche Telefonzelle oder ein Wartehäuschen zertrümmern. Intelligent wie eine Qualle, sozial wie eine tollwütige Hyäne, und nüchtern wie die Rote Armee nach der Plünderung eines Schnapslagers.
Und überhaupt steht ja in der BILD, dass demnächst ein Mittel gegen AIDS gefunden wird, im Jahre 2026 wird man Städte auf den anderen Planeten haben, und alles, alles wird gut. Derweil übernehmen die Teletubbies und der Terminator die kindererziehung, während Mutti auf den Strich geht oder schon mit der deutschen Grammatik völlig überfordert ist, ganz zu schweigen von Erziehung. Und der Sowieso von Big Brother, der hat ja neulich, und die Nachbarin hat offene Beine, und wie die Kinder von der Klowatzki rumrennen, also hörnse mal, patati und patata, Dumpftrötentum der schlimmsten Sorte.

Dann gibt es die Spiritualen. Ich nenn sie mal so. Die hoffen darauf, dass sie morgen von UFOs abgeholt werden, durch den Quantensprung, den Photonengürtel, durch Massenselbstmord, durch yogisches Fliegen oder durch das Auftauchen von Maitreya oder Barney dem Plüschsaurier ins Herzbärchenland der ewigen esoterischen Weichgespültheit, nach Shangrila. Einem anderen Planeten, der Dimension X, oder was weiß ich wo abgeholt werden... Sie sind sowieso schon etwas neben sich, rennen irgendwelchen Gurus nach, die Uriella heißen oder irgendwelche zungenverknotenden 28-buchstaben-Namen aus dem Indischen haben, und glauben, dass man durch grenzdebiles Grinsen und positiv denken auf einmal ka-wusch, ba-zong und dreimal hallelujagobble alle Probleme lösen kann. Ungeachtet dessen, was an geschichtlichen Daten und naturwissenschaftlichen Gegebenheiten auf dem Tisch liegt. Naja... Wenn's schee macht...

Dann gibt es noch die Nervösen. Dazu gehört mittlerweile ein Großteil der Bevölkerung, nach meinem Dafürhalten. Oder ich treffe zuviele Leute von der Sorte. „Irgendwann werden se die ganzen Bonzen aufknüpfen.“ ist einer der Sätze, die ich öfter mal höre. Oder: „Ich wunder mich, dass da noch nicht die Krawalle abgehen.“ oder „Verdammt, das nimmt ein ganz beschissenes Ende.“ Mittlerweile hört man solche orakelnden Sachen nicht mehr nur unter der Hand, sondern ganz offen. Viele Leute laufen mit einem verbissenen, verkniffenen Gesicht durch die Gegend, die Aggression ist unterschwellig, aber überall zu riechen. Alle sind wütend bis Oberkante Unterlippe, aber jeder versucht noch, etwas vom Kuchen abzubekommen, um das Unvermeidliche hinauszuzögern. Aber es steckt schon in den Hirnen und Herzen der Leute drin, dass Ende der Fahnenstange ist. Noch zittern sie und sind nervös und ängstlich, denn man kann ja nicht, und da gibt es ja noch Gerichte und Polizei, und überhaupt... Aber die Tünche bröckelt. Es kommt immer mehr zu Ausrastern von Seiten derjenigen, die über Nacht arbeitslos wurden und nun vor dem Nichts stehen oder derjenigen, die sowieso schon knappsen müssen.
Anders sind auch die Hochrüstung der Polizei, die verstärkten Aufpasserwachen in den Ämtern und einige andere Feinheiten nicht zu erklären. Und wenn es in den Medien heißt, dass bei bestimmten Demos mit Gewalt zu rechnen sei, bleiben einige doch zuhause, denn man ist ja kein Krawallmacher... Vorerst.
Der Deutsche an sich ist geduldig und lässt Vieles mit sich machen. Doch wehe, wenn er losgelassen. Dann ist er allzugründlich. Das wissen auch diese Leute, und so wächst der Druck auf dem Kessel, bis irgendwann der Deckel und der Kessel platzen.
Tja, und dann gibt es noch gewisse Gruppen, die versuchen, diese Wut zu kanalisieren oder für ihre Zwecke auszubeuten. Seien es ganz Linke oder ganz Rechte. Und mittendrin sitzen die grinsenden Djihadisten, die auch noch ihr eigenes Süppchen kochen und sich über die deutschen Weicheier amüsieren und sie ausnutzen bis aufs Letzte. Aber das darf man nicht sagen, sonst kommt das Amt für Gutmenschentum, und man bekommt erzählt, dass man ganz ganz böse intolerant ist.
Innerhalb der des Druckes bewussten Gruppen gibt es noch die Survivalisten und Apokalyptiker. Sie wissen, was bevorsteht, nur nicht genau, wann, beobachten aber den Dax, die Erdbebenmonitore, Nachrichten aus Russland, die Sonnenflecken, Vulkanaktivitäten, schamanische und seherische Aussagen aus so exotischen Orten wie Chattanooga, Castrop-Rauxel und Ex-Jugoslawien. Und decken sich ein, mit allem, was man braucht, jeder auf seine Weise.

Die letzte Gruppe ist die der Gutmenschen. Aber man kann das doch nicht alles so sehen, und überhaupt, ja, die Sache ist schlimm, aber mit ein paar Mahnwachen (Kerzen zum hosen vollkleckern bitte nicht vergessen!) und etwas Verständnis und Verhandlungen wird sicher alles gut werden, labern sie im zum Erbrechen reizenden Sozialpädagogenjargon und gucken betroffen.
Und überhaupt, in Nicaragua gibt es Dörfer, die haben noch nicht mal einen Arzt. Was schert mich da die Familie von nebenan, die wegen grundlos eingestellter Zahlungen oder wegen eines Computerfehlers droht, obdachlos zu werden? Hören wir noch schnell eine Drevermannpredigt, trinken etwas Kaffee aus fairem Handel und essen garantiert vegane Kekse, legen uns das lila Halstuch um, und gehen zum „Solidaritätskonzert für das Stricken lesbischer behinderter in der Kindheit von rechtsradikalen Walfängern missbrauchter Alleinerziehender für den Weltfrieden“. Und alles, alles wird gut. Da trifft man dann auch die Spiritualen.

Um das alles abzuschließen: Der Versuch, die Welt zu verbessern, war in den Achtzigern durchaus begründet, und Kleinigkeiten können auch heute noch helfen, nur ist das Flickschusterei an einem System, das gerade dabei ist, mit Überschallgeschwindigkeit gegen eine zwei Meter dicke Stahlbetonwand zu brettern. In wirren Aktionismus auszubrechen oder gar jetzt die Weltrevolution auszurufen ist genauso unsinnig. Die bisherigen Ideologien sind Teil des Problems, nicht der Lösung.

Dass es krachen wird, daran besteht für mich kein Zweifel. Dann werden die Nervösen ausrasten, die Extremisten hervorbrechen („Über Nacht kommt die Revolution der Linken und der Rechten.“ oder so ähnlich), die Verdrängenden werden kreischend durch die Gegend rennen, wie die aufgescheuchten Hühner, weil kein Verdrängen mehr möglich ist, bei vielen Leuten wird die Bestie hervorbrechen, und der dünne Anstrich der Zivilisation endgültig verschwinden, und es wird Mord und Totschlag geben. Während die Survivalisten und Apokalyptiker irgendwo in der Wüste Gobi, in den Alpen, in der chilenischen aufgegebenen ehemaligen Mission von Santo Domingo, dem gut durchgetoasteten Märtyrer der Heiligen Jungfrau vom Löffel, zehn Meter unter der Erde im mit allem ausgestatteten Bunker, irgendwo am Polarkreis als Rentierzüchter, oder an sonstigen „Ärschen der Welt“ hocken, das Notradio anhaben, fiese Trockenkekse der Marke „Ewighalt“ knabbern, auch geeignet als Bauklötze für Kleinkinder, und sich gegenseitig bestätigen, wie die Kameraleute beim Pornofilm: „Ich hab es kommen sehen.“ Wenn sie es denn rechtzeitig schaffen, rauszukommen aus dem Wahnsinn.

Kommt gut durch!

Badland Warrior



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