Re: Buk: "Eine verregnete Weibergeschichte" ...

Geschrieben von Ego Man am 09. Februar 2006 11:52:15:

Als Antwort auf: "Tschüss" geschrieben von HJH am 09. Februar 2006 03:21:18:

Eine verregnete Weibergeschichte

Gestern, Freitag, war ein trüber und verregneter Tag, und ich sagte mir ständig:
Bleib nüchtern, Mann, geh nicht aus dem Leim; und ich ging durch die Tür und hinaus auf den Rasen des Hausbesitzers und duckte mich gerade noch rechtzeitig unter einem Football weg, den ein zukünftiger linker Verteidiger von Southern California geworfen hatte.
1975 würde er vielleicht soweit sein. 1975?, dachte ich - da sind wir ja nicht mehr weit von 1984 entfernt. Ich erinnere mich, als ich das Buch las, da dachte ich: Naja, 1984, das ist 10Millionen Meilen bis China... und jetzt war es schon beinahe da, und ich war beinahe tot, oder auf dem besten Weg dazu, ich kaute auf dem Rest meines Lebens herum und machte mich bereit, das zermatschte Ding auszuspucken.

Trübe und verregnet - eine tote Besenkammer, eine dunkle stinkende tote Besenkammer: Los Angeles, Kalifornien. Spätnachmittag, Freitag, China ganze 8 Meilen entfernt, Reispudding mit Augen drin, traurige kotzende Hunde - trübe und verregnet, ah Scheiße! - und ich erinnere mich, wie ich als Kind immer gedacht hatte: Ich möchte mal so alt werden, dass ich das Jahr 2000 erlebe. Das war die magische Zahl, und ich glaubte daran. Während mein Alter Tag für Tag die Scheiße aus mir rausprügelte, wollte ich 80 Jahre alt werden und das Jahr 2000 erleben. Jetzt, wo alles die Scheiße aus mir rausprügelt, habe ich diesen Wunsch nicht mehr - jetzt ist es ein Überleben von einem Tag zum nächsten, KRIEG, trübe und verregnet - bleib nüchter, Mann, geh nicht aus dem Leim, und ich stieg in mein Auto, gebraucht, so wie ich selber, und fuhr da rauf und machte die fünfte von insgesamt zwölf Ratenzahlungen;

dann fuhr ich den Hollywood Boulevard runter, Richtung Westen, die deprimierendste aller Straßen, ein verstopftes, gläsernes Nichts, es war die einzige Straße, bei der mir wirklich die kalte Wut hochkam; und dann fiel mir ein, dass ich eigentlich zum Sunset wollte - der war fast genauso schlimm - und ich drehte nach Süden ab, alles hatte die Scheibenwischer an, und die wischten und wischten, und dahinter diese VISAGEN!

[...] Die ganze schauderhafte Wahrheit war im Grunde, DASS KEINER ETWAS TUN KONNTE - Dichter konnten keine Gedichte schreiben, Mechaniker keine Autos reparieren, Zahnärzte keine Zähne ziehen, Friseure keine Haare schneiden, Chirurgen bauten Mist mit dem Skalpell, Wäschereien ruinierten einem die Hemden und Bettlaken und ständig fehlte der eine oder andere Socken; Brot und eingemachte Bohnen hatten kleine Steinchen darin, an denen man sich die Zähne ausbiß; Football-Spieler waren feige Hunde; Handwerker von der Telefongesellschaft schändeten kleine Kinder; und Bürgermeister, Gouverneure, Generäle und Präsidenten hatten ungefähr soviel Verstand wie eine Schnecke, die sich in ein Spinnennetz verirrt. Undsoweiter, undsoweiter.
Trübe und verregnet, bleib nüchtern, geh nicht aus dem Leim...
CHARLES BUKOWSKI


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