Weitere Hintergründe zur Dark Age Theorie
Geschrieben von Andreas am 07. Januar 2005 11:10:32:
Als Antwort auf: Re: "Gesetze der Geschichte" geschrieben von Badland Warrior am 07. Januar 2005 04:22:32:
>Lieber Andreas!
>Hurra, rufe ich und heiße dich herzlich willkommen! Eine Mail an den Forenmaster, und du bist mit Passwort freigeschaltet. Es ist schön, dass du da bist. Somit bin ich nicht mehr der Eintzige, der dauernd auf Widdowson und Beasley hinweist, und du führst das auch sehr viel besser und ausführlicher aus.
>Schau dich um, lies dich durch die Beiträge.
>Auch ich bin der Meinung von Widdowson und Beasley, das uns ein Dark Age bevorsteht.
>Schön, dich hier zu haben.
>Badland Warrior@Forenmaster: bitte erste Version des Texts löschen.
Hallo Badland Warrior, guten Morgen alle miteinander :-)
Ich habe inzwischen versucht, mich anzumelden. @Baddy: Es ist sehr erfreulich, Deine mit Informationen und Ueberlegungen gespickten Beiträge wieder lesen zu können. Es freut mich auch einige andere mir bekannte "Gesichter" aus dem Zusammenbruchs- und dem Prophforum wieder zu sehen.
Die Theorie von B & W, auf welche ich dank einem Hinweis von Badland Warrior gestossen bin, scheint am Anfang sehr simpel und intuitiv nachvollziehbar. Hier eine Autobombe, da ein Bürgerkrieg, ist doch klar, dass es auf ein Dark Age zugeht. So einfach ist die Sache jedoch nicht. Natürlich untergliedert sich das Werk der beiden auch in einen "diagnostischen" Teil, in dem versucht wird, anhand der vorfindbaren Realität zu ermitteln, an welchem Punkt bzw. auf welcher Seite der Kurve wir stehen, auf der auf- oder der absteigenden.
Das dreifaltige Konzept von "Ordnungskompetenz", "Wohlstand" und "geselleschaftlich-wertmässigem Zusammenhalt" verhindert dabei eine einseitige Fokussierung auf bestimmte Phänomene. Eine zusätzliche, sinnvolle Abstraktionsebene wird durch die Trennung "international" und "gesellschaftsintern" eingerichtet. Wenn man sich mit diesem Rüstzeug ausgestattet sich nun etwa in die Zeit der französischen Revolution hineinversetzt, so stellt man zwar sehr viele internationale Auseinandersetzungen und auch in Frankreich grosse Unruhen, also Spannungen im Bereich der "Ordnungskompetenz" fest. Gleichzeitig jedoch müsste man fairerweise die fortlaufende Ausdehnung des europäischen Einflussbreichs und die Verbreitung europäischer Werte nennen sowie die positive, wenn auch durchzogene gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Heute befinden wir uns, seit Jahrzehnten, auf allen drei Parametern im Sinkflug, gleichviel, ob wir im Rahmen eines historischen Längsschnittvergleichs in die einzelnen Nationen des Westens schauen ("Kriminalität heute und vor 50 Jahren") oder auf den Westen im Vergleich zum Rest der Welt ("Anteil des Westens an der Weltgüterproduktion").
Ein theoretisches Problem von B & W ist m. E. die unscharfe bzw. nicht vorhandene Definition von Zivilisation bzw. Kultur. Was erlaubt uns, "den Westen" als Block theoretisch zusammen zu nehmen? Ich persönlich würde mich zur Lösung dieses Problems an die Ausführungen von Samuel Huntington anlehnen, der in seinem populären Werk "Kampf der Kulturen" von "Kulturkreisen" spricht. Wenn ich mich richtig entsinne, gehen B & W an einer Stelle auch auf die unterschiedliche Stärke der oben aufgeführten drei Beziehungsmuster (politisch, ökonomisch, wertmässig) ein, wobei sie, wenn ich mich nicht täusche, die wertmässigen als die am schwierigsten aufzubauenden aber dauerhaftesten beschreiben. So könnte man z. B. Europa eine geostrategisch-kurzfristig gute Ausangslage bescheinigen, wenn es sich mit China verbündet, langfristig und im Rahmen der Kulturkreise gedacht dürfte sich der Westen damit selbst schwächen und Europa als schwächerer Teil der Allianz untergehen. Oder um es anders zu sagen: Temporäre Bündnisse des Osmanischen Reiches mit europäischen Machthabern haben den langfristigen absoluten und relativen Niedergang der islamischen Zivilisation nicht verhindern können.
Hinter dem Konzept der drei Beziehungsmuster, nach Massgabe derer, so die axiomatische Setzung Widdowson und Beasleys, grundsätzlich "an allen Orten und zu allen Zeiten menschliche Gemeinschaften funktioniert haben", liegen tiefere theoretische, mancher würde vielleicht sagen normative, Überlegungen. Besonders interessant finde ich den "naturalistische" Blickwinkel, unter dem die ganzen sozialen und historischen Phänomene analysiert werden, wobei B & W m. E. jedoch nicht Gefahr laufen, einem kruden Sozialdarwinismus oder Biologismus das Wort zu reden.
Die Analogien zu Waldbränden, die nötig seien, um neuem Gewächs zum Durchbruch zu verhelfen oder zu Wettersystemen, in denen zwar eine allgemeine Richtungsentwicklung, nicht jedoch eine genaue Abfolge von Ereignissen langfristig vorhergesagt werden könne, finde ich zumindest nachdenkenwürdig. Ebenso interessant der Hinweis auf die anthropologische Theorie von der Evo-deviation, wonach die Menschen, solange sie nicht von politischen, ökonomischen und sozialen Kräften zusammengehalten werden, in alle vier Himmelsrichtungen auseinanderdriften würden, selbst in unwirtliche Gegenden. Ein wiederum anderer Ansatz, auf der die ganze Dark Age Theorie stark setzt, ist das Konzept von der so genannten "organised criticality" aus der Physik, das ich nur bildhaft einigermassen durchschaubar machen kann.Wenn wir einen Sandhaufen haben, auf den in regelmässigen Abständen ein Sandkorn fällt, so gibt es von Zeit zu Zeit kleinere "Erdrütsche". Sehr selten erfolgen grosse Abbrüche von Material. Ähnlich verhält es auch mit sozialen Spannungsentladungen. Ein Dark Age ist somit ein besonders heftiger Ausschlag auf einem Kontinuum, jedoch nicht ein qualitativ besonderes Phänomen, für das man spezielle historische Faktoren ("UFOs", "Riesensturm" -> "Wasser, das Sandhaufen unterläuft") herbeiziehen müsste.
Ich denke die Theorie liefert eine Fülle von Diskussionsmaterial für interessierte und aufgeschlossene Leute, die, aus welchen Gründen auch immer, mit Verschwörungsgeschichten, UFOs, und religiösen Erklärungen weniger am Hut haben.
Ein praktisches Problem besteht darin, dass das gesamte umfangreiche Material sowie die Webpage mit den aktuellen Nachrichten bisher erst in englischer Sprache vorliegen.Gruss
Andreas