Tageskommentar 19. Dezember 2005

Geschrieben von Tarman am 19. Dezember 2005 01:19:48:

In Honkong diskutieren die Reichen über den Fortschritt der Globalisierung und die Armen stehen draußen und prügeln sich mit Polizisten. Das Seltsame dabei ist, daß es nicht etwa arbeitslose Deutsche sind, die dort protestieren, sondern koreanische Bauern, also jene, die nach landläufiger Meinung von der Globalisierung richtig profitieren, weil unsere Jobs dort rüber geschafft worden sind.

Wie es aussieht, mag keiner der Armen die Globalisierung, obwohl sie bei uns doch gerade als Segen für die Armen verkauft wird. Angeblich wird die Arbeit in Länder verlagert, in welchen sie zu den niedrigsten Kosten ausgeführt wird. Mit dem Ergebnis, daß die dortigen Arbeiter in Lohn und Brot kommen, Geld verdienen und sich etwas leisten können. Und nach einer Weile bei steigenden Löhnen sich aus der Armut heraus zum Wohlstand hocharbeiten. Wie in Deutschland in den 50ern.

Ja, eine wunderschöne, humane Theorie. Aber die Wirklichkeit sah auch in Deutschland anders aus. Lohnerhöhungen wurden nicht etwa durch dankbare Unternehmenslenker gewährt (von Eigentümern hin und wieder doch, angestellte Manager aber haben nur an ihre eigenen Taschen gedacht), sondern von den Gewerkschaften erstritten und erstreikt. Auch in Deutschland, obwohl da die Streiks seltener, kürzer und weniger verbissen geführt wurden als in anderen europäischen Ländern.
Dank der Globalisierung wird die Arbeit jetzt sehr schnell dorthin verlagert, wo sie am billigsten ist. Sind Deutsche zu teuer, arbeiten Polen und Tschechen. Kosten die zuviel, Rumänen und Ukrainer. Und wenn die aufmucken, eben Chinesen, Burmesen oder Nordkoreaner. Die sind ja so dankbar, wenn sie jemand ausbeuten will...

Im Frühstadium des Kapitalismus' lag die Macht bei den Arbeitgebern, die Arbeiter waren ihrer Willkür ausgeliefert. Durch Solidarisierung wurde ein Gegengewicht geschaffen. Ab dann stand Gewerkschaftsmacht gegen das Kapital. Rabiat wie in England, wo zuvor der Kapitalismus am stärksten gewütet hatte, oder moderat wie in Deutschland.

Jetzt schwingt das Pendel wieder in die andere Richtung. Die Solidarität der Arbeiter wird dadurch geknackt, daß man die Arbeiter gegeneinander ausspielt. Das ist das eigentliche Wesen der Globalisierung, die Beliebigkeit der Ausbeutung. Bindungslose Weltkonzerne, in denen alles austauschbar ist, auch das Management, lenken ihr Kapital dahin, wo es die höchste Rendite einbringt, ohne Rücksicht auf Verluste der Betroffenen. Wenn Elektrolux das Traditionswerk der AEG in Nürnberg schließt, obwohl es mit Gewinn arbeitet, dann ist das Globalisierung.

Der Mensch zählt nichts mehr, nur noch die Zahlen sind wichtig. Zahlen, die von anonymen Buchhaltern zusammengetragen werden, aus denen andere, ebenfalls gesichtslose Menschen Entscheidungen ableiten, emotionslos wie bei einem Computerspiel. Es ist ein Töten aus der Ferne, die Vernichtung von wirtschaftlichen Existenzen, auf ähnliche Weise, als würde man eine Interkontinental-Rakete mit Atomsprengkopf abfeuern. Ja, DAS ist Globaliserung.

So gesehen liegen meine Sympathien eindeutig bei den Demonstranten.


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