Taliban / Al Kaida
Geschrieben von Swissman am 06. Januar 2005 03:08:32:
Als Antwort auf: Kurzer Einwurf geschrieben von Badland Warrior am 04. Januar 2005 16:07:05:
Hallo Badland Warrior,
>Nicht die Taliban. Die tauchten erst kurz vor Ende des Krieges auf und waren Räuberbanden, die einfach die wahhabitischen Vorstellungen übernommen hatten. Das waren alles Leute, die nichts geworden waren, Kriminelle, Heckenpenner, Assis, Taschendiebe, Kinderficker, Eseldiebe und anderes Pack.Eine Gruppierung, die sich selbst "Taliban" nannte, trat erstmals 1994 im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet in Erscheinung. "Taliban" lässt sich in etwa mit "Koranschüler" übersetzen und beschreibt den intellektuellen Stand ihrer Mitglieder recht gut: In aller Regel erschöpft sich deren schulische Bildung im Auswendiglernen arabischer Koransuren.
Da es nach wahhabitischer Auffassung im Prinzip genügt, den Koran auf arabisch rezitieren zu können, das Erlernen der arabischen Sprache aber keineswegs als zwingend notwendig angesehen wird, verstehen diese Leute in aller Regel kein Wort von dem, was sie da herunterbeten. Für die Übersetzung und Interpretation sind folglich auf die Dienste ihres jeweiligen Oberhundes angewiesen - ein Umstand, der den Taliban-Führern zweifellos nicht unwillkommen war/ist.
Im Gegensatz dazu investieren Al-Kaida-Anhänger, soweit es sich nicht ohnehin um arabische Muttersprachler handelt, meist viel Zeit und Mühe, um die Hocharabische Sprache zu erlernen und zu perfektionieren. Deren Lektüre umfasst nebst Koran und Hadith in der Regel auch eine ganze Reihe akademischer Abhandlungen über die richtige, d. h. wahhabitische, Auslegung des islamischen Rechts. Die Werke Mohammed ibn Abdul Wahhabs dürften in diesen Kreisen Pflichlektüre sein.
Die meisten späteren Taliban hielten sich während der sowjetischen Besatzung in der relativen Sicherheit pakistanischer Flüchtlingslager auf - während ein paar Kilometer weiter bessere Männer als sie selbst es waren/sind ihr Leben im Kampf gegen die Sowjets riskierten, und in vielen Fällen verloren. Die schnelle "Eroberung" weiter Teile Afghanistans durch die Taliban beruhte zu einem erheblichen Teil nicht auf den Erfolgen ihrer Waffen - vielmehr verfügte "Mullah Omar" über eine gut gefüllte Kasse, die es ihm ermöglichte, gegnerischer Kriegsherren und Stammeshäuptlinge schlicht und einfach zu "kaufen", d. h. bestechen.
Diese Taktik stiess im nordafghanischen Usbekengebiet an ihre Grenzen: Raschid Dostum kassierte das Bestechungsgeld, übergab die Stadt Masar e-Scharif formal und zog mit dem Gros seiner Truppen ab. In der Nacht fielen jedoch seine in Zivilkleidung in der Stadt zurückgebliebenen Elitekrieger über die in einem Heerlager vor den Toren der Stadt schlafenden Taliban her - in jener Nacht sollen, je nach Quelle, einige hundert bis gegen 5000 Taliban den usbekischen Krummdolchen zum Opfer gefallen sein...
Andererseits waren die Taliban weithin als Vergewaltiger gefürchtet - üblicherweise wurde das Opfer vom Täter formal geheiratet, vergewaltigt und die "Ehe" umgehend wieder geschieden. Die Nordallianz erbeutete auf ihrem Vormarsch in einigen Fällen vorgedruckte Formblätter, welche die Taliban-Prediger zu diesem Zweck mitgeführt hatten und bloss noch ausfüllen mussten!
Ob der Führer der Taliban, "Mullah" Omar, seinen Titel zu Recht trägt, wurde verschiedentlich bezweifelt - jedenfalls scheint es keine islamische Hochschule zu geben, die dazu stehen mag, dass Omar bei ihr seinen Abschluss gemacht hat... Ich persönlich neige eher zur Annahme, dass Omar zum Mullah wurde, indem er anfubg, sich selbst als solcher zu bezeichnen.
1994 hatten sich die Sowjets bereits mehrere Jahre aus Afghanistan zurückgezogen, die UdSSR hatte sich zwischenzeitlich aufgelöst, und selbst das Satelliten-Regime Nadschibullah war unter dem Ansturm der Mudschaheddin zerbrochen. - Die von linker Seite immer wieder gern verbreitete These, wonach die USA die Taliban gegen die Sowjets unterstützt hätten, ist daher allein schon aus chronologischen Gründen nicht haltbar.
Unterstützt wurden die Taliban vornehmlich von Saudi Arabien und dem pakistanischen Geheimdienst ISI. Zudem gibt es glaubhafte Indizien, die auf eine rotchinesische Beteiligung hindeuten.
Unglücklicherweise entspricht es jedoch den Tatsachen, dass die US-Regierung unter Bill Clinton die Taliban favorisiert, und die CIA entsprechend instruiert hat: Clinton (derselbe Clinton, der sich heute in Interviews darüber erstaunt zeigt, dass Bush sich nicht früher um Osama bin Laden gekümmert habe...), bzw. seine Ratgeber, waren nämlich der Ansicht, es wäre eine gute Idee, den Taliban in Afghanistan die Rolle einer Ordnungsmacht zuzugestehen und in der Folge die zentralasiatischen Erdölgebiete mittels einer transafghanischen Pipeline, unter Umgehung des Iran, zu erschliessen. - Ein epochaler Fehler, für den das amerikanische Volk am 11. September 2001 bekanntlich einen hohen Blutzoll zu entrichten hatte.
>Wen die USA unterstützt haben, das waren die Mujaheddin, bzw. Al Qaeda.Formal richtig, nur: "Al Kaida" (= die Basis, der Stützpunkt) war zur Zeit der sowjetischen Besatzung ursprünglich die Bezeichnung für ein Gästehaus, das Osama bin Laden nahe der pakistanisch-afghanisch Grenze unterhielt. Später kamen ein Ausbildungslager und ein Krankenhaus dazu. - Faktisch handelte es sich um eine Art "Personalvermittlungsbüro für Kriegsfreiwillige" mit angeschlossenem Ruheraum. Persönlich war OBL eher selten an der Front anzutreffen. - Dies war auch nicht notwendig, da seine Aufgabe primär darin bestand, Geld aufzutreiben, Freiwillige anzuwerben, diese auf den Kampfeinsatz vorzubereiten, sie dem afghanischen Maquis zuzuführen, zwischen zwei Einsätzen aufzufrischen und im Falle einer Verwundung wieder aufzupäppeln. Während dieser Zeit knüpfte er auch weltweite Kontakte in der islamistischen Subkultur, die ihm später von erheblichem Nutzen sein sollten.
Zu dieser Zeit scheint OBL noch vergleichsweise "gemässigte" Standpunkte vertreten zu haben. Im Laufe der Zeit radikalisierten sich seine Ideen zusehends - als die UdSSR sich schliesslich zurückzog, scheint er Anwandlungen von Grössenwahn entwickelt zu haben: Er ist heute zweifellos davon überzeugt, dass in erster Linie sein Beitrag den Weg zum Sieg über die gottlosen Schurawi geebnet habe (tatsächlich waren es verschiedene afghanische Gruppierungen, insbesondere die Hezb e Islami, Jamiat Islami und Hezb e Wahdat, die die Hauptlast der Kämpfe trugen, und denen folglich die Ehre, den roten Drachen erschlagen zu haben, rechtmässigerweise zusteht). Zudem scheint er sich selbst in geradezu krankhafter Weise mit der "Islamischen Ummah" zu identifizieren.
OBL kehrte zwischenzeitlich nach Saudi Arabien zurück, wo es ihm aber nicht gelang, im Zivilleben wieder Tritt zu fassen. Schliesslich verlagerte er seine Aktivitäten in den Sudan, um nach seiner Erklärung zur persona non grata wieder nach Afghanistan zurückzukehren, wo in der Zwischenzeit die Taliban in weiten Teilen des Landes die Macht übernommen hatten. - Dies war nun endlich ein Regime nach OBL's Geschmack.
In der Folge unterstützte er die Taliban finanziell und ideell, die ihm im Gegenzug dabei halfen, ein Netz von Trainingslagern für wahhabitische Estremisten aus aller Herren Länder aufzubauen.
Im Februar 1998 gab er offiziell die Gründung einer "Islamischen Weltfront für den Dschihad gegen Juden und Kreuzfahrer" bekannt und erklärte der westlichen Welt in aller Form den Krieg. Zudem gab er eine Fatwa (= islamisches Rechtsgutachten) heraus, in dem er erklärte, dass es die religiöse Pflicht jedes Molems sei, jede sich bietende Gelegenheit zur Ermodung von Juden und Christen zu nutzen (genaugenommen war er dazu gar nicht berechtigt, denn er hatte zwar ein Ingenieursstudium abgeschlossen, jedoch nie eine Hochschule für islamisches Recht besucht, deren erfolgreicher Abschluss zur Anfertigung von Fatwas berechtigt).
Die "Islamische Weltfront für den Dschihad gegen Juden und Kreuzfahrer" war als eine Art Übergruppe geplant, der sich wahhabitische Gruppierungen aus aller Welt anschliessen sollten, um ihre Aktivitäten aufeinander abzustimmen und in der Folge umso effizienter gegen den Westen vorgehen zu können. Unter den Gründungsmitgliedern befand sich u. a. OBLs eigene Gruppierung, die er (wohl um der alten Zeiten willen) "Al Kaida" nannte und die ägyptische Gama'a Islamiya.
Wenn heute von Al Kaida die Rede ist, ist genaugenommen meist die "Islamische Weltfront für den Dschihad gegen Juden und Kreuzfahrer" gemeint. Tatsächlich machen hier aber auch die Islamisten selbst meist keinen Unterschied: "Al Kaida" hat sich zu einer Art Markenzeichen des wahhabitischen Terrorismus entwickelt, unter dem jeder auftreten darf und soll, der über die Möglichkeiten vefügt, einen Anschlag durchzuführen.
Am ehesten könnte man diese Vorgehensweise vielleicht mit dem Konzept der "virtuellen Fabrik" vergleichen: Es gibt weltweit nirgends eine Fabrik, an deren Tor eine Tafel mit der Aufschrift "Nike" angebracht wäre - die eigentliche Produktion wird von einer ganzen Anzahl Subunternehmer in Billiglohnländern ausgeführt, die nach Plänen und Vorgaben der Zentrale arbeiten. "Nike" selbst beschränkt sich dabei überwiegend auf Forschung, Marketing und Vertrieb des fertigen Produktes ("Nike" dient hier als Beispiel, weil unser Professor das Konzept seinerzeit anhand dieser Firma erklärt hat - das gesagte trifft aber gerade in der Sportartikelbranche auf fast alle "Big Players" zu).
Die "Islamische Weltfront für den Dschihad gegen Juden und Kreuzfahrer" hat logischerweise nie irgendwelche Subsidien aus den USA, oder überhaupt aus dem Westen, erhalten, handelte es sich doch von Anfang an um erklärte Todfeinde der westlichen Lebensart überhaupt.
Vielleicht noch eine Anekdote zum Unterschied Taliban/Al Kaida: Nach der Vertreibung der Taliban aus Kabul zeigte das TV einen Kämpfer der Nordallianz. Dieser beklagte sich, dass die Taliban, anstatt zu kämpfen, beim ersten Anzeichen eines Angriffes davonrennen würden, was zu vielen Rückenverletzungen führe. - Im Gegensatz dazu müsse man den Al-Kaida-Söldnern zugestehen, dass sie bis zum letzten kämpften und dabei weder sich selbst noch ihre Gegner schonten.
Gegen sie anzutreten, so der Mudschahid, sei eine wahre Freude. Ein besonderes Anliegen war es ihm dabei, den Pass eines tschetschenischen Al-Kaida-Kämpfers in die Kamera zu halten, den er im Kampf getötet hatte, wobei er selbst dem Tod nur äusserst knapp entronnen sei. - Er wollte, dass die Eltern des Mannes erfahren würden, dass ihr Sohn sich tapfer geschlagen habe, und sie sich, im Gegensatz zu den Eltern der Taliban, allen Grund hätten, auf ihn stolz zu sein... *g*
>Das waren großenteils Leute mit Studium oder höherem Schulabschluss und evtl. einer militärischen Vorbildung, sprich Söldner auf höherem Niveau.In der Tat wäre es falsch, die Führer des islamistischen Untergrundes für ebenso dumm zu halten, wie dies bei ihrer Anhängerschaft nicht selten der Fall ist: Osama bin Laden hat einen Abschluss als Ingenieur, zudem studierte er "business and project administration" (=BWL?), sein Stellvertreter, Ayman al Zawahiri, ist Doktor der Medizin. Khalid Shaikh Mohammed verfügt über einen Abschluss als Maschinenbauingenieur.
Sayyid Qutb, einer der bedeutendsten ideologischen Wegbereiter des modernen Islamismus, verfügte gleich über zwei Studienabschlüsse: Islamisches Recht und den Master of Education. Abdullah Yusuf Azzam, ein weiterer Chef-Ideologe und Freund Osama bin Ladens, war studierter Agronom, besass einen Abschluss in Islamischem Recht und lehrte an der Universität Amman. Zudem nahm er wiederholt an paramilitärischen Aktionen gegen israelische Ziele, sowie später in Afghanistan, teil.
Der Ansatz, dem Terror mittels Förderung universitärer Bildung in den Rekrutierungsgebieten das Wasser abzugraben, scheint mir daher eher naiv zu sein...
>Der Fehler der USA war, dass nach dem Abzug der Russen keine sofortige Entwicklungshilfe für Afghanistan stattfand. Man vergaß das Land einfach.Das sehe ich genauso. - In die entstandene Lücke sprangen Bin Laden und Gesinnungsgenossen.
>Sind zwar beides Dreckshaufen, aber der eine wurde finanziert, der andere finanzierte und finanziert sich weiterhin durch Plünderungen und normale Kriminalität.Die Haupteinnahmequelle der Taliban, nachdem sie sich ersteimal breitgemacht hatten, war der Schlafmohnanbau. Dass die Taliban an diesem dreckigen Geschäft immer noch ein Stück weit beteiligt sind, gilt als sicher. - Ebenso gilt es als offenes Geheimnis, dass Al Kaida im Rauschgifthandel mitmischt.
Der Sprengstoff, der letztes Jahr bei den Anschlägen in Madrid benutzt wurde, scheint im Tausch gegen einige Pfund marrokanisches Haschisch von einer einheimischen Bande "gekauft" worden zu sein.
mfG,
Swissman
- Re: Taliban / Al Kaida Badland Warrior 06.1.2005 08:00 (0)