Tsunami, Tod, Verwesung, Feuer
Geschrieben von Badland Warrior am 30. Dezember 2004 12:16:59:
Als Antwort auf: Die perfekte Welle geschrieben von Dr. Kneip Tecumseh am 30. Dezember 2004 12:11:35:
Über 100.000 Tote lässt sich prima herumalbern, nicht, Tecumseh? Hier aber etwas, das ich aus einem anderen Forum geklaut habe. Sehr viel realistischer.
Die Feuer von Lom Kaen
Aus Khao Lak berichtet Matthias Gebauer
Der Tempel von Lom Kaen im zerstörten Khao Lak ist für viele verzweifelte Menschen die letzte Station auf der Suche nach Vermissten. Hier lagern die Toten, entsetzlich entstellt, hier werden sie verbrannt. Die Geschichte einer Schweizer Familie beschreibt die schreckliche Suche nach den verlorenen Nächsten.
Vor dem Tempel von Lom Kaen: Hunderte Leichen Khao Lak - Im Tod sind alle gleich - Einheimische, ausländische Arbeiter und die vielen westlichen Touristen. Nebeneinander liegen sie rund um den goldenen Tempel von Lom Kaen in der kleinen Ortschaft Khao Lak auf der thailändischen Insel Pukhet. Wie viele es sind, weiß niemand hier. Mehrere Hundert auf jeden Fall. Notdürftig haben die Helfer die Körper verschnürt, damit sie nicht zu sehr der Sonne ausgesetzt sind. Den beißenden Geruch vom Tod kann die provisorische Verpackung nicht aufhalten. Wie eine Dunstglocke liegt dieser Geruch über dem Tempel. Innerhalb von Minuten setzt er sich in der Kleidung fest, dringt auch durch die weißen, mit scharfen Essenzen getränkten Atemmasken. Das ehemalige Urlaubsparadies gleicht einer apokalyptischen Landschaft. Kein Ende dieser Katastrophe ist abzusehen. Alle paar Minuten kommt ein neuer Pick-Up-Wagen mit rot blinkenden Lichtern und bringt noch mehr Tote. Neben den einfachen Särgen aus Spanplatten, die ohne Futter und mit einem kleinen Fenster am Kopfende für die Leichen bereit stehen, brennen die ersten Feuer. "Wir haben heute mit den Verbrennungen angefangen, die Leichen wurden einfach zu viel", sagt ein Polizist. Dabei stochert er mit einem langen Ast in einem der Feuer herum, damit die Leiche schneller verbrennt. Zehn Feuer sind es am späten Mittwochabend. Einige brennen noch, andere glimmen schon aus. Am Donnerstag werden noch mehr davon angezündet werden. Bei zweieinhalb Tausend liegt die offizielle Zahl der Toten in der Region. Jeder hier aber weiß, dass es wesentlich mehr werden. Schon jetzt haben die Menschen Holz und enorme Rationen an Benzin rund um den Tempel gesammelt, um gewappnet zu sein. Die neuen Leichen, die zum Tempel kommen, werden zumindest fotografiert. Die Körper sind wie eingefroren Erkennen würde man aber selbst seinen eigenen Bruder nicht mehr. Die Körper sind geschwollen und starr, wie eingefroren. Die Gesichter sind unkenntlich, meist wie die Körper schon fast schwarz. Neben den Benzinkanistern schmelzen einige große Eisblöcke vor sich hin, die jemand am späten Nachmittag gebracht hat. Die Kühlung der Leichen ist schon lange aufgegeben worden. Es sind einfach zu viele. Vor den glimmenden Scheiterhaufen sitzen die Angehörigen der Flutopfer. Es sind einfache Trauerfeiern ohne großes Pathos, obwohl viele der thailändischen Familien gleich mehrere Menschen verloren haben. Manche Gruppen haben wenigstens eine Bastmatte mitgebracht, um auf dem staubigen Boden zu hocken. Andere haben eine kleine Kerze vor sich. Alle tragen die schon vergilbten Masken vor ihren Mündern, um dem Gestank der anderen Toten wenigstens Stand halten zu können. Immer wieder spucken die Menschen auf den Boden, als ob sie den Tod dadurch loswerden könnten. Es sind meist thailändische Familien, die mit starrem Blick in die Flammen sehen. Aber auch ein Rentner aus der Schweiz, der neben seinem Sohn sitzt. Beide tragen die Mundmasken, der Sohn hat noch einige in Reserve für die Helfer in der Brusttasche. Sie haben wie viele andere am Tempel des Todes nach drei Tagen des hektischen Suchens von Klink zu Klinik in Khao Lak endlich die letzte, traurige Gewissheit gefunden. "Auch wenn es sich komisch anhört", sagt Josef V. scheinbar nüchtern, "ich war froh, als ich meine Frau hier endlich gefunden habe". Auf einem Plastikstuhl sitzt er vor dem Feuer und starrt in die Flammen, die ihm das letzte von seiner Frau nehmen. Entlang der Küste ist alles ausgelöscht, was einmal als Perlenkette des Tourismus galt. Unterhalb der Küstenstraße liegen die Reste der Tauch-Ressorts wild ineinander verkeilt und überdeckt mit einer Schlammschicht herum. Dazwischen Autos, Palmen, Teile von Strandbuden. Die Region sei "finished", sagt einer der vormaligen Touristenführer, der sich nun der Familie V. angenommen hat. Jahre wird es dauern, diese Fremdenverkehrslandschaft wieder aufzubauen. Zahllose Vermisste unter dem Schlamm Dass Bundeskanzler Gerhard Schröder am Mittwochabend von mehr als Tausend vermissten Deutschen sprach, haben viele hier schnell mitbekommen. Viele wissen auch, dass diese Vermissten noch unter den Massen von Schlamm und Gebäuderesten liegen. Frühestens in den kommenden Tagen werden sie vom Militär gefunden werden. Bisher sieht es so aus, als ob alle diese Leichen beim Tempel in Khao Lak oder einem anderen aufgebahrt werden. Die Geschichte der beiden Schweizer Männer gibt einen Einblick in den Schrecken der plötzlichen Flutwelle. Der vergangene Sonntag sollte für das Rentnerehepaar ein guter Tag werden. "Meine Frau hatte ihre 63. Geburtstag und die Sonne schien", erzählt der Ehemann. Dass sie am frühen Morgen das Seebeben merken konnten, störte sie nicht. Das leichte Vibrieren am Morgen sei ihm schon aufgefallen. "Auf meinem Nachttisch stand ein Glas mit Wasser und ich sah, wie die Oberfläche bebte", sagt der Rentner.
Am Strand von Khao Lak: Ein Einheimischer betet für die Opfer der Katastrophe Dabei gedacht habe er sich jedoch nichts. Ganz im Gegenteil. Seine Frau beruhigte er noch. Es sei ja nur eine leichte Erschütterung. Niemand wusste zu der Zeit, welche tödlichen Folgen das Beben 40 Kilometer unter dem Meer haben würde. Niemand ahnte, dass vor der Küste von Sumatra eine Jahrhundertkatastrophe begann, deren Folgen auch drei Tage später kaum abzuschätzen ist. Am Sonntagmorgen musste der weißhaarige Rentner dann selber mit ansehen, wie seine Frau an ihrem 63. Geburtstag von der Flutwelle erfasst wurde. Er war noch zum Bungalow gerannt, als das Wasser sich plötzlich schlagartig zurückzog und sich weit weg von der Küste zur tödlichen Welle aufbaute. Das wollte er mit seiner Kamera aufnehmen, dachte er sich, wie viele andere Touristen auf Phuket und in der Umgebung.
Zwanzig Meter hohe Wasserwand
Als er wieder zum Strand herunter lief, sah er die Welle auf Festland zurasen. Eigentlich habe er mehr den Schatten der Wassermassen gesehen, sagt er. Zwanzig Meter seien diese hoch gewesen. "Ich schrie aus voller Kehle", erinnert er sich mit leiser Stimme. Im Lärm "wie von tausend Flugzeugen" jedoch hörte sie ihn nicht. Innerhalb von Sekunden verschwand sie im Getöse der Welle. Drei Tage lang hat Josef V. nach seiner Frau gesucht. Jede Klinik nahe Khao Lak und auf Phuket hat er besucht. In jedes der überfüllten Zimmer stürmte er. Bei jeder Tür hatte er noch Hoffnung, sie zu finden. Als am Dienstagabend sein Sohn, der den gleichen Vornamen trägt, aus der Schweiz eingeflogen kam, hörten sie von dem Tempel mit den vielen Leichen. Für den Mittwochmorgen nahmen sie sich vor, dass dies die letzte Station der langen Suche nach der Ehefrau und der Mutter werden sollte. Was die Angehörigen, egal ob Einheimische oder Touristen, nahe dem Todes-Tempels durchmachen müssen, ist schier unvorstellbar. Wie viele andere haben die beiden Schweizer fast wahllos Leichensäcke aufgerissen. Sie dachten, es sei die Mutter. Mit Plastikhandschuhen untersuchte der fachkundige Sohn die Leichen, die bis zur Unkenntlichkeit entstellt waren. Viele Male hat der Mediziner dies während seines Studiums gemacht, doch solche Leichen hatte auch er noch nie gesehen. Zuerst suchten sie nach dem Ehering oder einer Uhr. Schnell aber merkten sie, dass alle Wertgegenstände bereits geraubt worden waren, bevor die Leichen zu dem Tempel gebracht worden waren.
Mit dem Wahnsinn fertig werden
Wie die Detektive hatten beide zuvor das völlig vom Wasser verwüstete Zimmer des Rentner-Ehepaars im Ressort "Merlin" durchwühlt, das vor der Welle malerisch am Strand von Khao Lak lag. Viel fanden sie nicht. Die Nüchternheit der beiden erschreckt. "Wenigstens wussten wir nach der Suche, dass meine Mutter bei ihrem Tod den orangen und nicht den blauen Bikini getragen hat", sagt der Sohn. Mit dem Wahnsinn muss hier jeder auf seine Weise fertig werden, manche schreien, andere liegen in emotionaler Narkose. Am Ende half sein medizinisches Wissen bei der furchtbaren Suche. Er konnte sich an zwei anatomische Merkmale der Mutter erinnern. Bevor sie sie jedoch unter den Hunderten Leichen gefunden hatten, vergingen grausame Stunden. Solche Erlebnisse stehen den vielen Touristen, die bisher noch an den Vermisstenwänden in Phuket-City nach Freunden und Verwandten suchen, vermutlich noch bevor. Wie es mit den Leichen rund um den Tempel weitergehen soll, weiß am Mittwochabend niemand so recht. Ausländer oder Menschen, die so aussehen, wollen die Behörden auf keinen Fall verbrennen. Dazu muss ein Angehöriger sie zweifelsfrei identifizieren, eine Urkunde muss ausgestellt werden. Familie V. entschied sich nach der Identifizierung sofort zu der Feuerbestattung vor Ort. "Meine Mutter hat drei Tage lang in der Hitze gelegen, jetzt sollte sich endlich ihre Ruhe finden", sagt der Sohn. Sein Vater sitzt regungslos daneben. Noch bevor das Feuer des Scheiterhaufens komplett herunter gebrannt ist, geht er hinaus zur Straße und läuft scheinbar ohne Orientierung in eine Richtung.
Die Feuer brennen weiter
Von ausländischen Behörden ist bisher rund um den Tempel nichts zu sehen. Völlig überfordert von der Menge an Toten haben zwar viele Konsulate Dutzende Mitarbeiter auf die Insel geschickt, doch vor der Menge der Körper müssen auch sie kapitulieren. Selbst wenn die Experten des Bundeskriminalamts von den Leichen DNA-Proben nehmen, werden Tage vergehen, bis die Familien Gewissheit haben. Bis dahin werden die Feuer weiter brennen. Der Tempel von Lom Kaen wird noch lange ein Ort des Todes bleiben.
- Re: Tsunami, Tod, Verwesung, Feuer Tecumseh 30.12.2004 13:36 (2)
- Re: Tsunami, Tod, Verwesung, Feuer Badland Warrior 30.12.2004 13:52 (1)
- Re: Tsunami, Tod, Verwesung, Feuer Tecumseh 30.12.2004 14:11 (0)