Heuschreckenplage in Deutschland
Geschrieben von Suchender am 03. Mai 2005 10:50:18:
Nur dicker Wahlkampfqualm, heißt es, seien Münteferings sozialistische Ausbrüche, mit denen er den fehlenden Patriotismus bei Manager medienwirksam geißelt. Ihn deshalb zu beschimpfen fällt schwer. In Wahlkämpfen zeigen sich andere auch nicht gerade "solider". Doch schwerer wiegt die Frage: Hat er nicht Recht? Manager, die Arbeitsplätze in Billiglohnländer verlegen, müssen nicht unbedingt selbst Heuschrecken sein. Das Überleben ihrer Firma kann solche Schritte angesichts hoher Schuldenlast und vieler finanzieller Verpflichtungen erzwingen. Die wahnhafte Klima- und Energiepolitik der Regierung spielt natürlich auch eine Rolle. Die angestellten Manager sind oft nur folgsame Diener ihrer Herren in einem vorgegebenen festen Umfeld. Dessen Geometrie sollen andere bestimmen - Wer? Aber die Auswirkungen solcher Managemententscheidungen gleichen denen der Heuschrecken: Sie hinterlassen leergefressene Länder. Im Grunde geht es dem SPD-Chef um die Rolle des Staates "So wenig Staat wie möglich, aber so viel Staat als nötig". Gegen diese Formel sollten auch Eigentümer nichts einzuwenden haben, denn wer garantiert Eigentum, wenn nicht die Gesellschaft, deren Exponent der Staat ist. Ohne gesellschaftliche Garantie ist "shareholder value" nichts wert.
Die ganze Aufregung um Müntefering versteht nun wieder Franz Josef Möllenberg, der Vorsitzende der Gewerkschaft NGG, nicht. Müntefering habe ganz Recht und was er bis jetzt gesagt hat, war längst klarer vom verschiedenen Papst Johannes Paul II über den globalisierten Turbokapitalismus ausgedrückt worden. Globalisierung in der heutigen Form fällt nicht vom Himmel, sie hat Köpfe und Hintern.
Während sich Medienjournalisten gegen Zeilenhonorar über Münte aufregen, schreitet die Globalisierung voran. Der Kanzler lobt hin und wieder den Mittelstand als das Rückgrad unserer Wirtschaft. Man könnte diese Behauptung auch mit Zahlen belegen. Mehr als auf die dort geschaffenen Arbeitsplätze und Umsätze käme es auf den Geist an, den technisch orientierte, mittelständische Unternehmer verkörpern und möglicherweise sogar weitergeben. Nun warnt die Financial Times vom 27.04. davor, daß technisch gesunde Mittelstandsfirmen zur Zeit zu Tausenden an ausländische Finanzinstitutionen ausverkauft werden. Den Grund dafür sieht die Finanzzeitung bei den Hausbanken dieser Firmen. Diese würden die Schulden ihrer Klienten an internationale Konsortien abtreten. Diesen hingen anlagehungriges weil billig vermehrtes Geld aus allen Hälsen und Taschen heraus. "Hedge Funds in particular frequently seek nearterm realization of investment returns" (Hedge-Fonds sind besonders bestrebt, ihre Gewinne möglichst kurzfristig zu realisieren d.h. in Reales umzuwandeln). Diese Fonds sind ganz scharf darauf, ihre neuerworbenen Forderungen in Besitzansprüche umzuwandeln, weil sich diese nach einigen Rationalisierungsmaßnahmen meist mit Gewinn wieder versilbern lassen. Wie das im einzelnen geschieht, darüber berichtet eine Britische Rating Agency in ihrem "Fitch"-Bericht, auf den sich die Zeitung berief.
Nicht erwähnt wird im Fitch-Bericht, daß eine von der rot-grünen Bundesregierung im Jahr 2000 erlassene und von Müntefering lauthals verteidigte Steuerreform (Steuerfreiheit auf Erlöse bei Unternehmensverkäufen) die Voraussetzung für diese Entwicklung erst geschaffen hatte. Damit wollte man, wie auch mit der Agenda 2010 (die uns unter anderem Hartz IV beschert hat) der Lobby der US-Finanzbranche Honig ums Maul schmieren. Als Gegenleistung bekam die Regierung von diesen Experten bestätigt, daß "sie mit den Reformen auf dem richtigen Weg" sei. So etwas hört sich gut an. Wohin dieser Weg führt, das haben Wähler, denen man sich mit dieser Bestätigung als erste Wahl anbot, nicht gefragt.
Schon vorher, gleich nach seiner Wahl 1998, hatte Schröder aus Dankbarkeit für Wahlhilfen die Stelle eines Bundesbeauftragten für Auslandsinvestitionen eingerichtet und ausgerechnet mit Peanut-Kopper (ehemals Deutsche Bank) besetzt. Später wurde die Stelle "privatisiert" und in "Invest in Germany GmbH" umgenannt und mit einem Zuschuß aus dem Bundeshaushalt von jährlich 5 Mio. Euro ausgestattet. Sie unterhält drei Nebenstellen und zwar in New York, Chicago und Los Angeles und hat die Aufgabe, Geld amerikanischer Investoren nach Deutschland zu schleusen.
Der ehemalige Chef der Bertelsmanngruppe Thomas Middelhoff und jetzige Europa-Chef der Firma Investcorp aus Bahrein, kennt das aus eigener Erfahrung und plauderte schon Mal aus, wie so etwas läuft. Wenn eine Firma übernommen wird, wird sie zerlegt und die Anteile werden auf die Inhaber von Investcorp überschrieben, das sind zwischen 20 bis 40 institutionelle Investoren oder reiche Privatpersonen, die jeweils einen bestimmten Betrag dafür ausgeben. Gekauft werden in der Regel nicht börsennotierte, größere, mittelständische Firmen mit dem Potential, zur Spitzengruppe ihrer Branche aufzuschließen. Die Investoren suchen sich die besten Stücke heraus, "restrukturieren" sie, um sie möglichst bald - die übliche Zeitspanne beträgt 3 bis 5 Jahre - wieder zu verkaufen. Dabei gelingen Investcorp, wie Middelhoff mit stolzgeblähter Brust behauptet, "durchschnittliche Renditen von 25 Prozent".
Hier wird also nichts aufgebaut und schon gar nichts im ursprünglichen Verständnis des Wortes "investiert", sondern Silber in Gold verwandelt - und das dann weggeschafft. Die "Restrukturierung" besteht in erster Linie in "Kostensenkung", das heißt Entlassungen, Mehrarbeit bei geringerem Lohn, outsourcing und vermehrtem Rückgriff auf "flexibilisierte" Leiharbeiter. Die Beschäftigten verzichten angesichts einer angedrohten Schließung meist freiwillig auf Lohn. Sie bekommen dafür "Sicherung der Arbeitsplätze" zugesichert, doch werden solche Zusagen in der Regel nicht eingehalten. Beispiele gibt es hierfür viele. Eines ist die Firma Telenorma, die 2002 von einem US-Konkurrenten von Investcorp, nämlich von KKR übernommen wurde. Der Lohn wurde um 12,5 % gesenkt, die Arbeitsplätze sollten mindestens für ein Jahr sicher sein, ihre Zahl war aber schon nach 7 Monaten in der zwischenzeitlich in Tenovis umgenannten Firma von 8.000 auf 4.500 geschrumpft.
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"Wann wird die Verlogenheit der Politiker aufhören", fragen viele mit zunehmender Verzweiflung - wohl erst, wenn Sie keine hinterhältigen mehr wählen. Aber es ist doch so wohltuend, sich denkfaul und ausschließlich linientreu informiert nach eigenem Gusto beschwatzen zu lassen.
Im Bild News-Ticker ist heute zu lesen:Wolffsohn vergleicht Kapitalismus-Kritik mit Nazi-Hetze
Dienstag, 3. Mai 2005, 7.12 Uhr
Der Historiker Michael Wolffsohn hat SPD-Chef Franz Müntefering vorgeworfen, mit seiner Kapitalismuskritik gegen Unternehmer so zu hetzen wie einst Nazis gegen Juden. Wolffsohn schrieb in der „Rheinischen Post“, Müntefering benutze „Worte aus dem Wörterbuch des Unmenschen“, weil „Menschen das Menschsein“ abgesprochen werde. 60 Jahren nach der Nazi-Herrschaft würden wieder Menschen mit Tieren gleichgesetzt, die gleichsam als Plage vernichtet werden müssten. Wolffsohn warnte vor einem Rückfall in alte hasserfüllte Denkmuster.
Abgesehen davon, daß Müntefehring dieses inszenierte Spiel nicht nur mit gratis Eiern "bezahlt" bekommt, ist die ebenfalls inszenierte Reaktion verständlich, wenn man weiß, wer wirtschaftlich im Hintergrund die Fäden zieht ...