Re: Beispiele für Selbstversorgung: Die Höfe der Hutterer
Geschrieben von Prowler am 28. August 2004 10:19:22:
Als Antwort auf: Beispiele für Selbstversorgung: Die Höfe der Hutterer geschrieben von Johannes am 28. August 2004 00:14:09:
>Hallo Forum,
>die Hutterer sind zwar auch eine religiöse Gemeinschaft, aber ich möchte sie hier einmal als Beispiel für Selbstversorgerprojekte vorstellen, aus denen wir alle lernen können. Wer kennt weitere Beispiele und möchte sie vorstellen?
>Die Hutterer halte ich als Beispiel für interessant, weil sie schon lange bestehen, also aus der Experimentierphase heraus sind und ihre Betsändigkeit bewiesen haben, so daß man sehen kann, was hilfreich ist und was nicht.
>Interessant finde ich an der Idee der Hutterer, wie die Gemeinschaft hilft, einen Erfolg zu erreichen, den man als Einzelner nie haben könnte. Und um sich optimal zu ergänzen, reicht eine durchaus noch überschaubare Gemeinschaft, die bei den Hutterern maximal 120 Leute hat.
>Die Vorstellung von den Bruderhöfen, als Archen im, "Meer der Sünde" zeigt vor allem zweierlei: Erstens das Schutz-, Sicherheits- und Abgrenzungsbedürfnis und zweitens den autarken Anspruch, der klosterähnlichen Siedlungen. Das erstreckt sich nicht nur auf ökonomische, sondern in besonderem Maße auf geistige Abgrenzung. In diesem Falle ist es sogar zulässig, "geistig" und "geistlich" als Synonyma zu sehen, da das Geistesleben der Hutterer ein ausschließlich geistliches ist, "autark" heißt in diesem Zusammenhang: Die Hutterer legen Wert darauf, sich selbst mit dem. Lebensnotwendigen zu. versorgen: Weltliches Brot wird selbst hergestellt, geistliche Erbauung erfolgt durch die Heilige Schrift und die anderen kanonischen Texte der Hutterer, welche durchweg aus dem (literarisch-geistlichen) "goldenen Jahrhundert", dem 17. Jh, stammen. Damals sind die meisten Lieder entstanden, die auch heute noch regelmäßig gesungen werden.
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>Einen Fortschritt gibt es für Hutterer allenfalls im technischen Sinne: Moderne Maschinen sind auf den Höfen gebräuchlich, solange sie das "biblische Sein" nicht antasten und dem Wohl der Gemeinschaft dienen, werden sie angeschafft. Diese Funktionalität spiegelt sich auch, in der Siedlungsstruktur wider: Alles dient der zeitlichen Notdurft. Was über diese Askese hinausgeht, gibt es auf den Höfen nicht. Trotzdem werden die leiblichen Grundbedürfnisse des Menschen erfüllt: Erlaubt sind Kuchen ("Schutenhonkelich", "Käspei") und Kaffee (Aufgußkaffee), Fleisch und alkoholische Getränke ("Blemelwa", selbstproduziert). Aber alles in Maßen und rationiert, Lust und Luxus gelten als Gefahr für das Seelenheil. Trotzdem ist ein geregeltes Eheleben die Norm, gemäß des biblischen Auftrags "seid fruchtbar und mehret Euch" (I Mose 1, 22). So sind denn die Familien sehr groß. Mehr als zehn Kinder pro Paar sind keine Seltenheit, neun Kinder pro Frau ist der augenblickliche Durchschnitt. Nach hutterischer Auffassung ist allerdings die Gemeinschaft wichtiger als die Unterteilung in Familien. Die Kinder werden eher vom Lehrer denn von den Eltern und eher gemeinsam denn von Einzelpersonen erzogen.
>3. Das Agrarland als Sicherheitsabstand zur "Welt"
>Der innere soziale Raum, die "Gmah"/Gemeinde wird noch umgeben vom Wirtschaftsland des Bruderhofes. Dieses Land ist in der dreiteiligen Raumwahrnehmung der Hutterer unbedingt der Sphäre des Bruderhofes zuzuordnen. Hutterer sind reich und vermögend. Sie besitzen riesige Ländereien, von denen die säkularen kanadischen oder amerikanischen Landwirte nur träumen können: Ländereien mit 3000 ha sind keine Seltenheit. Der wirtschaftliche Erfolg der Hutterer erklärt sich aus mehreren Faktoren: Erstens ist schwere körperliche Arbeit für sie ein Gebot Gottes - ja geradezu ein Gottesdienst -, denn so steht es im Alten Testament (1 MOSE 3). Sie sind nicht nur außerordentlich geschickt, sondern auch fleißig, Arbeit ist für sie eine Ehre und schwere Strafen bestehen etwa nicht aus "Strafarbeiten", sondern aus einem Arbeitsverbot. Da alle arbeiten, bedeutet das für den Delinquenten einen zeitweisen Ausschluß aus der Gemeinde, also aus dem allumfassenden Sozialverband. Für gemeinschaftsgewöhnte Hutterer ist das ein unvorstellbarer Zustand,- denn ein Hutterer ist i. d. R, niemals allein. Zweitens kostet die Hutterer die Arbeitskraft nichts und sie können in einer ausgewachsenen Kolonie, die mit 125 Seelen kurz vor der Teilung steht, mit 50-60 helfenden Männern rechnen! Das zeigt, daß die Hutterer, die keineswegs technikfeindlich sind, solange die Technik keine außenweltlichen Werte transportiert, in gänzlich anderen Dimensionen rechnen können als benachbarte säkulare Farmer. Daraus folgt drittens, daß es nicht nur zu einer enormen Finanzakkumulation kommt, sondern daß auf größtmöglichem Ackerland die modernsten, effektivsten Maschinen zum Einsatz kommen können. Es wird also ein ökonomischer Kreislauf angestoßen, der zum weltlichen Erfolg verdammt ist, und das paradoxerweise, obwohl den Hutterern wirtschaftlicher Erfolg nichts bedeutet. Er stellt sich eben als Folge der gottgerechten Arbeit ein (Lukas 19, 11-28; Matthäus 25, 14-30). Auch hier drängt sich die Parallele zur Wirtschaftsweise der Bettelorden im Mittelalter auf, welche nach drei, vier Generationen aber meist ob ihres erwirtschafteten Reichtums verweltlichten. Das umliegende Agrarland der Hutterer ist somit nicht nur zeitliche Arbeitsstätte und Lebensgrundlage, sondern auch eine wichtige räumlich-geistige Sicherheitszone zur Außenwelt. Mit fortschreitendem Alter der Kolonie kann immer mehr Land erworben werden, so daß sich dieser Sicherheitsabstand ständig relativ und absolut vergrößert. Auch wird das "Huttererland" insgesamt also die Fläche, die von den Bruderhöfen aus in Nordamerika bewirtschaftet wird, immer größer: Die Geburtenrate ist eine der höchsten der Welt, so daß sich die Hutterergesamtbevölkerung alle 15-20 Jahre verdoppelt. Da alle Kolonien ab einer bestimmten Größe geteilt werden, also eine neue Tochterkolonie gegründet wird, müssen immer weitere Regionen erschlossen werden. Es gibt bereits Hochrechnungen, wann jeder fünfte Kanadier ein deutschsprechender Hutterer sein wird...
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>Wichtig sind zur Selbstversorgung außerdem der große Gemüsegarten und ein Gewässer. Das erinnert wiederum an mittelalterliche Klöster, besonders die des Zisterzienserordens, welche grundsätzlich an fließenden Gewässern angelegt wurden, um Trink- und Wirtschaftswasser zu haben und auch um Fischzucht betreiben zu können. Diese topographische Lage sowie die Masse der Wirtschaftsgebäude belegen den Autarkieanspruch der einzelnen Kolonien. Eine herausragende Rolle kommt der Kindererziehung zu. Auch die Schulerziehung spielt eine wichtige Rolle, allerdings ist sie dahingehend funktionalisiert, als daß alle Bildungsinhalte und Fähigkeiten in Hinsicht auf das Glaubensziel gelehrt werden. Schließlich werden junge Hutterer nicht in bürgerlichen Berufen, sondern in der Haus- und Landwirtschaft oder im Handwerk bestehen müssen. An intellektuellen Berufen findet sich nur der Lehrberuf. Alle Geistlichen sind Laien und üben ihr Amt zusätzlich aus. Auch Funktionen wie "Säckelwart"/Haushalter werden nicht als Berufe, sondern nebenbei ausgeübt. Die hohe Bedeutung der Lehrfunktion drückt sich in den separaten Schulgebäuden und im abseits gelegenen Lehrerwohnhaus aus. Auch einige Handwerksberufe haben ihre eigenen Gebäude, so die Schmiede, die mechanische Werkstatt, das Backhaus und das Melkhaus. Daraus kann aber, trotz eines hohen Grades an Arbeitsteilung, nicht auf Spezialistentum geschlossen, werden: Alle männlichen Hutterer beherrschen in der Regel mehrere Handwerksberufe, können also ebensogut einen Traktorenmotor reparieren als auch Schweine schlachten oder Seife sieden. Die Gebäude sind zwar räumlich voneinander getrennt, andererseits ist aber gerade ihre relative räumliche Nähe zueinander bemerkenswert: In ihnen drücken sich die Bedürfnisse und Ansprüche einer arbeitsteiligen autarken Agrargesellschaft aus, welche nur gleichwertige Arbeit kennt und durch einen hohen Grad an Universalismus gekennzeichnet ist. Einerseits existiert eine deutliche Geschlechter-, Alters- und Funktionstrennung,- das drückt sich in den räumlich abgegrenzten Häusern für Kinder und Jugendliche aus (Kindergarten, Schulhäuser), in der Großküche, der Bäckerei und dem Garten (Frauenarbeit),- andererseits wird diese Binnendifferenzierung, - welche keinesfalls mit einer Wertung verschiedener Arbeitsbereiche verbunden ist -, bei Bedarf aufgehoben: So arbeiten zur Erntezeit Frauen und Kinder auf den Feldern mit, während u. U. auch Männer in der Küche kurzfristig den Frauen unterstellt werden. Die Kargheit hutterischer Architektur, also die Reduktion, auf das rein Funktionale, entspricht exakt dem Bildnis und Luxusverbot. Architektonische Ausgestaltung würde dem Auge "gelusteln", es ablenken und mit weltlicher Schönheit versuchen zu verführen. So ist auch die Verwendung einfachster Baumaterialien, Holz für die Wohnhäuser, oftmals Wellblech für die Wirtschaftsgebäude, zu erklären. In einer Gütergemeinschaft gibt es kein Privateigentum. Die Hutterer leiten daraus ab, daß es keinen privaten Raum zu geben habe. Das Individuum und seine Bedürfnisse sollen sich dem Gemeinschaftsbedürfnis unterordnen. Da alle immer das gleiche tun, ist tatsächlich auch kein Bedarf und somit Raum an Privatsphäre vorhanden. Die Leistung des Individuums besteht darin, als Teil der Gruppe seiner weltlichen Funktion nachzukommen sowie sein Seelenheil zu retten. Familiäre Bindungen sind zwar überall ersichtlich, werden aber nicht als Keimzelle für eine größere soziale Einheit gesehen (diese wird eh nicht angestrebt), sondern allenfalls als biblisch vorgegeben anerkannt.
>Gruß
>JohannesUnd wie kriegen wir den verwöhnten Homo Konsumens dazu in einer solchen
Gemeinschaft zu leben geschweige denn zu ArbeitenProwler
- Re: Beispiele für Selbstversorgung: Die Höfe der Hutterer pulpo 28.8.2004 12:17 (1)
- Re: Beispiele für Selbstversorgung: Die Höfe der Hutterer Prowler 28.8.2004 12:57 (0)