Exkurs in die Welt der alten Kultursorten
Geschrieben von mica am 05. Mai 2003 15:03:30:
Hallo liebe Vorsorger!
Ein bisschen weiter ausholen möcht ich diesmal, um das Dilemma aufzuzeigen in dem die agrarindustrielle Gesellschaft steckt.
Im Folgenden beziehe ich mich hauptsächlich auf das Sortenbuch des PrivatenSamenarchivs in Rednitzhembach, das von Susanne Kunstmann betreut wird. Auch eigene Erkenntnisse fließen mit ein.
Kultivierte Getreide- oder Kürbisgewächse können auf eine ca. zehn- fünfzehntausendjährige Vergangenheit zurückblicken, so lange selektiert und züchtet Mensch schon an seinen Nutzpflanzen.
Nun, besser schon seit Herrn Schicklgrubers Zeiten, werden die alten Landsorten rasant von bereinigten Industiesorten verdrängt. Der Gipfel dieser Perversion ist bis dato die Gestaltung von "Terminator"-Pflanzen, die sich selbst eliminieren, d.h. keine keimfähigen Samen/Nachkommenschaft mehr erzeugen; ein Nachbau ist nicht mehr möglich, eigene Saatgutgewinnung ausgeschlossen.
Über unsere Ernährung entscheiden Bürokraten, die einstige Vielfalt an z.B. 10.000 Tomatensorten oder 50.000 Maissorten dürfte niemand bekannt sein.
Im Laden gibts, wenn`s hoch her geht eine Sorte Fleischtomaten eine Sorte Cocktailtomaten; wer weiß, dass Möhren nicht zwingend orange sein müssen, Kartoffeln lila oder Tomaten weiß sein können?
Nachkommen indianischer Hochkulturen bauen heute noch ein paar dutzend verschiedner Kartoffelsorten an - blaue, rote, mehlige, längliche, gescheckte... Ein indianischer Bauer würde sich wahrscheinlich mit Kopfschütteln von unseren Kartoffel-Äckern abwenden, und so etwas nicht mal an seine Schweine verfüttern.Bei manchen Arten ist die Vielfalt in den letzten 100 Jahren um 90 Prozent geschrumpft. Heute noch, wie im Dritten Reich, wird bei Anpreisung der hochgezüchteten F1-Hybriden gejubelt, dass endlich aufgeräumt wurde im "Sortendurcheinander", eine einheitliche Nutzpflanze für jedermann geschaffen wurde, der Verbraucher vor "schlechten" Sorten geschützt werde.
Um bei den Tomaten zu bleiben:
Es werden in Lettland und nördlichen Gebieten Russlands gegen Krankheiten und Kälte einigermaßen unempfindliche Pflanzen gebaut mit kurzer Vegetationszeit.In wärmeren Gegenden, mit langer Vegetationsdauer, wachsen anspruchsvollere mit anderen Vorzügen.
In dem mir vorliegenden Sortenkatalog füllen allein die Tomatensorten, jeweils zwei oder dreizeilig beschrieben 77(!!!) Seiten DIN A5 eng gedruckt.Damit will ich nur aufzeigen, in welch karger Wüste wir leben. Eine Geschmacklich, optisch und kulturell verarmte Welt!
Durch den fortwährenden Anbau wird den Kulturpflanzen die Möglichkeit gegeben sich weiter anzupassen, neue Sorten zu bilden. So ist wird die einzelne Art "jung" erhalten. Erst ducrh die vermeintlich ach so sichere Verwahrung in der Genbank, die Ausrottung insgesamt verarmt und veraltet das Potential der Kultursorten.
Nochmal,zurück zur Tomate :-)
Die allgemein verbreitete Mär von den Tomatenwildformen, die Kolumbus aus dem fernen Westen mitgebracht haben soll; die Tomätchne seine ganz klein und und unwirtschaftlich zu ernten gewesen - erst die ach so große Gartenkunst in Europa brahcte die Tomate zum "Erblühen", brachte Ernteerträge etc.
Alles Quatsch! Es gibt (noch) kleinfrüchtige Wildformen; die Kulturtomate allerdings, mit ihren großen, süßen, fleischigen, saftigen, bunten, runden oder flachen Früchten wurde in beiden Amerika schon gezogen, als wir in Europa noch keine Ahnung von Tuten und Blasen hatten, als wir noch Wildgräser vom Waldessaum sammelten oder saure Früchte vom Holzapfelbaum.Wieder einmal mehr die Verleugnung der großen Leistung anderer, eroberter Kulturen(das nur so nebenbei).
Oder ihr euch noch an das Märchen vom Hirsebrei erinnern? Wer kennt heute noch Hirse in ihrer Gestalt? Über Jahrhunderte in unseren Breiten angebaut, heute verschwunden.
Reginonale Angepasstheit(an Boden, Klima, Vegetationsdauer) wurde sukzessive verdrängt durch Einheitsbrei. Im Falle einer unvorhersehbaren Wettervershclechterung, eines absolut trockenen Sommers gibt es in der Landwirtschfat totalausfäle, da hilft alle Chemie nix mehr; alte Sorten nehmen Witerungsextreme wesentlich gelassener hin und lassen auch noch keimfähiges Saatgut wachsen.
Dem unfreien Land"wirt" ist die freie Sortenwahl aber nicht mehr möglich - gefördert oder sogar genehmigt wird nur, was die Behörde für das kommende Jahr als Saatgut anerkennt. Ganz wurscht ob Südbayern oder Friesland - angebaut werden muss überall dasgleiche.Ein heißes Credo für die Erhaltung alter Kultursorten und meine große Bewunderung für Menschen wie Susanne Kunstmann und Gerhard Bohl, der das Sortenbuch zusammenstellte; Leute wie bei Arche Noah in Österreich und andersw; Leute die trotz großen Aufwandes Sorten anbauen, Samen gewinnen, weiterverteilen und weitervermehren - damit auch in Zukunft noch Gemüse wie Gemüse schmeckt und unsere Kinder und Kindeskinder nicht fragen:
"Wie fischt man Erbsen aus dem Meer? (Käptn Iglo Werbespots)Liebe Grüße
micaPS. Für Leute mit Garten und Geduld:
Privates SamenArchiv
Susanne Kunstmann
Oberfichtenmühle 2,
D-91126 Rednitzhembach
Bei Anfragen bitte immer entsprechendes Porto(deutsche Briefmarken) für Rückantwort beilegen - das vereinfacht vieles für die Bearbeiterin.