Re: Egoistisches vs. altruistisches Handeln in Krisenzeiten und 3 Fragen @all
Geschrieben von ahlfi am 03. Januar 2003 12:43:28:
Als Antwort auf: Egoistisches vs. altruistisches Handeln in Krisenzeiten und 3 Fragen @all geschrieben von SoL333 am 03. Januar 2003 11:54:48:
Hi Chrisi, wenn ich nicht dadurch in eine Schublage gestreckt werde, will ich gerne antworten, auch wenn diese Beispiele wirklich benzlig sind. Ich antworte einfach intuitiv, okay?
>Fall A)
>Du hast Dich im Wald versteckt (ggf. mit Deiner Familie) und lebst dort seit Wochen. Deine Nahrungsvorräte werden knapp, bist schon etwas hungrig, denn seit 5 Tagen lebst Du schon von halber Ration und von dem was Du findest, was einfacher gesagt war als getan. Du streifst herum, denkst an die letzte Tafel Schokolade aus dem EPA-Paket, die Du als Reiseproviant mitgenommen hast und auf einmal springt ein russischer Soldat, offenbar allein, hinter einem Baum hervor, Kalaschnikow im Anschlag. Er ist recht klein, nicht unbedingt kräftig oder von Natur aus furchteinflößend. Er wirkt blaß hat tiefe Ringe unter den Augen und er zittert. Er ruft Dir mit zitternder Stimme etwas zu, was Du nicht verstehst, Du nimmst an, daß es etwas russisches war. Du hattest mal ein Waffe gefunden und sie hinten in den Hosenbund gesteckt. Du könnetst sie sehr schnell ziehen, denn Du hattest zufällig sowieso eine Hand am Rücken gehabt, weil es gejuckt hatte, als der Russe hervorsprang.
>Was würdest aus heutiger Sicht hypothetisch tun?Ich würde ihn erschießen, um meine Familie zu schützen. Ich kann ihn nicht trauen, ich kenne seine Reaktion auf entsprechende Umstände nicht, ich kann mich nicht mit ihm verständigen. Blut ist dicker als Wasser und somit kann ich diese Frage relativ leicht beantworten. In Krisenzeiten ist es schon schwer zu unterscheiden, wer ein Freund ist. Einen "angeblichen" Feind werde ich nicht trauen.
>Fall B)
>Der Bürgerkrieg ist im vollen Gange, Du bist in einer betroffenen Stadt, musstest in einen Hinterhof fliehen und versteckst Dich hinter einen Müllcontainer. Du wirst Zeuge, wie ein Mann vor einen anderen wütenden Mann, der größer und kräftiger als der fliehende ist ebenso in diesen Hof flüchtet, doch der Größere holt ihn mit haßverzerrter Fratze ein und wirft den kleineren zu Boden. Der Kleinere schreit weinerlich auf, hat offensichtlich große Angst versucht davon zu kriechen. Der Größere packt ihn mit überlegener Miene an den Beinen und zieht ihn wieder zu sich mit einem Ruck. Doch er stolpert dabei leicht, der Kleinere hat Glück und schafft es, ein Bein loszureißen und den Größeren damit panisch in den Magen zu treten und sich wieder aufzurappeln. Es gibt ein Kampf und der Kleinere gibt alles, was er hat, er kämpft um sein Leben, er beißt, kratzt, schlägt umsich und fügt dem Größeren durchaus Schaden zu. Dieser wirkt überrascht, aber das scheint ihn noch wütender zu machen und er wird den Kleinen bald besiegt haben, obwohl auch er schon herb angeschlagen ist. Du könntest Ihn jetzt leicht besiegen, den Kampf beenden und den Kleinen vor dem sicheren Tod bewahren. Doch Du müsstest dafür Dein Versteck preisgeben.
>Was würdest Du aus heutiger Sicht hypothetisch tun?Dieses ist absolut Situationsbedingt, sprich, in welcher Gefahr begebe ich mich, wenn ich mein Versteck preisgebe. Ich würde den Anderen nicht retten, wenn das Risiko unkalkulierbar groß ist. Ich habe eine gute Chance gegen den Großen, da ich selber auch nicht sonderlich zahrt und klein bin. Zudem ist mir der Nahkampf nicht völlig fremd. Wie geagt, wenn das Risiko einigermaßen kalkulierbar ist, würde ich einschreiten, sonst nicht. Der Kleinere gehört nicht zu meiner Familie und ist auch kein Freund.
>Fall C)
>Du bist früher mal bei der Bundeswehr gewesen, normaler Wehrdienst und die Lage wird kritisch. Du bist zuhause, durch die Nachrichtsperre ahnst Du nicht viel, wie akut alles mittlerweile ist. Es klingelt. Du öffenst die Tür, erwartest den Nachbarn oder die Zeugen Jehovas. Zu Deiner Überraschung stehen 2 Feldjäger vor der Tür und bitten Dich durchaus höflich, sie hereinzulassen. Du tust es und sie sagen, daß sie es bedauern, aber daß sie Dich mitnehmen müssten, Befehl sei Befehl und es sei eine große Mobilmachung im Gange, mehr könnten sie nicht sagen. Sie geben Dir 15 Minuten, daß notwendigste einzupacken und bleiben in der Küche, während Du unbeaufsichtigst in der Wohnung bist. Ihr könnt Euch hören, sehen könnt Ihr Euch nicht und Du musst Dich schnell entscheiden. Du erinnerst Dich an Waffen, die Du bei Dir versteckt hast, die Handschellen, oder auch das Seil, mit dem Du schnell vom Balkon fliehen und abhauen könntest. Du beginnst zu packen, die Feldjäger sind mitlerweile in ein Gespräch vertieft, abgelenkt. Sie plaudern über Ihre Kinder, der eine habe kürzlich erst geheiratet und seine Frau erwarte jetzt ihr zweites, sie lästern über die Politiker, denn auch sie mussten viele Kürzungen hinnehmen, schimpfen darüber, daß sie nichts erfahren von oben, was denn wirklich los sei. Du lachst innerlich, denn Du weist genau, was los ist, doch auf Dich wollt ja niemand hören, dabei stehts doch für jeden lesbar in den Büchern bei Dir im Regal, aber immer nur: glaub' ich nicht, so ein Scheiß les' ich gar nicht erst....
>Was würdest Du aus heutiger Sicht hypothetisch tun?Da ich weiß, was die von mir wollen, würde ich versuchen mich aus dem Staube zu machen, da ich auch die Verantwortung für meine Kinder habe und nicht in Stich lassen kann. Töten würde ich die beiden Soldaten nicht, um davon zu kommen. Wenn eine Flucht zum besagten Zeitpunkt keinen Sinn macht, wird es eine andere Gelegenheit dazu geben. Wenn ich wüßte, dass meine Kids in Sicherheit sind, könnte ich mir schon durchaus vorstellen, zur Landesverteidung zurückzukehren, bei deiner beschriebenen Situation leider nicht.
So, hoffentlich ist jetzt niemand irretiert, aber wie gesagt, habe habe schnell und aus dem Bauch heraus geantwortet, da in solchen Situationen auch schnell Entscheidungen gefällt werden müssen. Zeit zum Überlegen hat man dann auch nicht.
Gruß
Ahlfi
- Vielen Dank, denn "aus dem Bauch heraus antworten" ist genau richtig :-) (o.T.) SoL333 03.1.2003 13:03 (0)