Russland: Der Mob mag keine Reichen; totalitärer Trend beschleunigt sich

Geschrieben von Scorp am 12. Februar 2004 08:55:40:

Als Antwort auf: NACHRICHTEN (Donnerstag, 12.02.2004) (owT) geschrieben von Johannes am 12. Februar 2004 01:09:45:


Die Russen lieben die Reichen nicht
Soziale Lage beschleunigt Trend zum totalitären Staat
von Prof. Dr. Werner Gumpel, München*

Das sozialistische Denken scheint in Russland ungebrochen: Am besten, wir sind alle gleich. Einige dürfen etwas mehr haben als andere, aber der Unterschied darf nicht zu gross sein. Auch unter den Kommunisten gab es viele, die «gleicher» waren, doch fielen sie nicht in dem Masse auf, wie das heute bei den «neuen Russen» der Fall ist, die ihren Reichtum demonstrativ zur Schau stellen. Je grösser die Differenz zwischen den niedrigsten und den höchsten Einkommen, desto grösser auch die Neidgefühle der Armen. Immerhin lebt noch immer mehr als ein Drittel der Russen unter der Armutsgrenze, während sich die «neuen Russen» nicht nur Villen und grosse Autos, sondern auch Urlaubsreisen in die teuersten Gegenden des Mittelmeerraumes leisten und ihre Kinder auf teuren Universitäten studieren lassen. Der grosse Zorn der breiten Massen der Bevölkerung gilt jedoch den sogenannten «Oligarchen», die es verstanden haben, im Rahmen des Privatisierungsprozesses Milliardenwerte an sich zu reissen und ihre riesigen Einkünfte an der Steuer vorbei ins Ausland zu transferieren.

Eine Ende des vergangenen Jahres durchgeführte Meinungsumfrage zeigt dementsprechende Ergebnisse: 80% der Befragten betrachten die zunehmende Ungleichheit der Bürger als zu gross und als «illegitim», wie die Zeitung «Izvestija» kürzlich berichtete. 25 bis 28% der Bevölkerung vertreten die Ansicht, dass sich die materielle Lage der Mitglieder der Gesellschaft nicht stark unterscheiden soll. Auch sollen alle Menschen im Hinblick auf Ausbildung und Beruf die gleichen Startchancen haben. Nur 30% sind der Meinung, dass dies durch Privateigentum an den Produktionsmitteln und den Marktmechanismus erreicht werden kann - und die Zahl der Verfechter der Marktwirtschaft nimmt ab. Am gerechtesten wäre es, so mehr als ein Drittel der Befragten, wenn Eigentum und Einkünfte gleichmässig auf alle verteilt würden, wobei allerdings derjenige, der viel arbeitet, auch mehr bekommen dürfe. Da dies nicht so ist, wird auch sogleich nach dem Staat als dem Vollzieher der Gerechtigkeit gerufen, und zwar von Jahr zu Jahr mehr. Wer loyal zu ihm steht, der soll auch von ihm unterstützt werden. Fast selbstverständlich, dass er auch voll für die medizinische Versorgung aufkommen soll.

Wenn in Betracht gezogen wird, dass die Einkommen der «Reichen» im Jahr 2003 im Durchschnitt das Fünfzehnfache der Einkommen der «Armen» ausgemacht haben (1991 lag der Unterschied noch bei 1:4,5; die Einkommen der Oligarchen gingen dabei sicherlich nicht in die Rechnung ein), so zeigt sich die Ursache der Verärgerung weiter Bevölkerungskreise. Interessant ist dabei, was als Reichtum betrachtet wird: Als reich gilt eine dreiköpfige Familie, die in einer gewöhnlichen Dreizimmerwohnung von 70m2 lebt, über einen kleinen Garten verfügt und ein älteres ausländisches Auto oder ein neues russischer Bauart besitzt.

Warum aber bleibt man arm, und wie wird man reich? 78% der befragten Personen sind selbstkritisch der Meinung, dass die Armut vor allem auf Trunksucht und Faulheit zurückzuführen ist, 48% auf ungenügende eigene Anstrengungen, aber 77% machen auch das «schlechte Wirtschaftssystem» für das vor allem auf dem Lande herrschende Elend verantwortlich. Der Reichtum dagegen, so meint man, beruht auf «guten Beziehungen» und Betrug. Freilich werden auch gute Ausbildung, persönliche Fähigkeiten und Leistung als Voraussetzung für den Erwerb von Reichtum genannt, doch überwiegt insgesamt die Skepsis gegenüber dem herrschenden Wirtschaftssystem: Es wird als extrem ungerecht betrachtet.

So stehen denn die Russen auch auf der Seite Putins, wenn er gegen die «Oligarchen» vorgeht, die nicht nur Steuern hinterziehen, sondern auch grosse Summen Geldes ins Ausland transferieren. Dazu passt auch, dass nach wie vor 64% der Russen den Zerfall der Sowjetunion mit ihrem totalitären Regime bedauern. Der wirtschaftlich aktive Teil der Bevölkerung dagegen sucht sein Glück im Ausland. Von 1989 bis 2002 haben 5,5 Millionen Russen ihr Land verlassen. 1,4 Millionen von ihnen haben sich in das «ferne Ausland», also in westliche Staaten begeben, der Rest in andere GUS-Länder.

Glaubt man Umfragen vom Juli des vergangenen Jahres, so ist allerdings anzumerken, dass sich die Stimmung im Lande im Vergleich zum Jahr 1999 gebessert hat. Nur noch etwas mehr als 20% der Menschen leben in «Schrecken, Verzweiflung und Depression», gegenüber 34,5% im September 1999. Doch meinen 47%, dass sie durch die seit 1992 durchgeführten Reformen verloren haben. Nur 6,8% äussern, dass sie «eher gewonnen» haben. Dennoch: Die hohe Suizidrate im Lande mit 62,6 Selbstmorden auf 100000 Einwohner bei Männern und 11,6 bei Frauen* (Zahl für 2002) zeigt, dass die Stimmung nach wie vor depressiv ist und oftmals als ausweglos betrachtet wird.

Die soziale Lage in Russland ist daher weiter angespannt. Sollte es nicht bald gelingen, den Menschen zu mehr Wohlstand zu verhelfen und ihnen wieder eine Perspektive zu geben, wird dies die von den europäischen Staaten angestrebte Stabilisierung und Demokratisierung des Landes verzögern, mit sehr unerwünschten Wirkungen auf die westliche Staatenwelt, denn der bereits jetzt zu beobachtende Zug zum erneut totalitären Staat wird sich dann beschleunigen - mit all seinen negativen Konsequenzen

http://www.zeit-fragen.ch/ARCHIV/ZF_113c/INDEX.HTM

nachdem es der westen in den 90igern russland ermöglichte
die ganze bandbreite der schattenseiten des kapitalismus genießen zu dürfen, wird er bald die früchte ernten.
(als paranoiker ist es allerdings meine pflicht daraufhinzuweisen, das dies auch von kommunistisch/sozialistischen führeren geplant sein könnte um dem volk "lebhaft" zu demonstrieren das kommunismus/sozialismus im vergleich zum kapitalismus das kleinere übel ist. *g*)

grüsse scorp


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