Re: Global Doom - das Worst-Case-Szenario

Geschrieben von Siegfried am 16. Januar 2004 15:46:16:

Als Antwort auf: Global Doom - das Worst-Case-Szenario geschrieben von Marco am 16. Januar 2004 14:06:29:

Hallo Marco,

du schriebst:

Sie müssen folglich nicht nur den Wert Ihres vorweggenommenen Konsums erarbeiten, sondern zudem noch die Zinsen. Aufgrund der Eigenart unseres Geld- und Kreditsystems kann nun aber aus einem bestimmten Betrag ein Mehrfaches an Kredit hervorgehen, d.h. das Geld das Sie für den Konsum ausgeben, führt an anderer Stelle zu Guthaben, woraus weitere Kredite hervorgehen können. Einfach ausgedrückt: Das „gleiche Geld“ kauft mehrfach ein. Dies führt folglich dazu, dass die Geldmenge steigt, obwohl es eigentlich gar nicht mehr Geld (sondern Kredit) gibt.

Das verstehe ich nicht. Wenn ich mir ein Auto kaufe und mir dafür Geld leihe, hast du vollkommen Recht, dafür muss ich auch Zinsen zahlen, die ein anderer bekommt, der auf vorzeitigen Konsum verzichtet. Soweit klar. Aber warum kaufe ich das gleiche Geld mehrfach ein? Den Zinses-Zins-Effekt brauchst du mir nicht erklären, ich bin Controller, aber warum steigt die Geld-/Kreditmenge? Ich kaufe mir ein Auto für z.B. € 20.000,- und habe beispielsweise € 2.500,- an Zinsen für die Tilgungszeit zu zahlen. Wo erhöht sich die Kreditmenge? Sie stand am Anfang bei € 20.000,- uns sinkt mit jedem Monat.

Du schriebst:

Dies noch einmal anschaulicher: Angenommen Sie nehmen einen Kredit über 10.000 Euro auf und kaufen damit ein Auto, dann wird der Verkäufer die 10.000 Euro auf sein Konto erhalten. Nun kann aber die Bank, bei der der Autoverkäufer sein Konto führt durch diese Einlage einen weiteren Kredit vergeben und jemand anderes kann sich auch ein Auto kaufen, das heißt Ihr Kredit wird zur Einlage und damit Basis für einen weiteren Kredit, die ursprünglichen 10.000 Euro „wieder verwendet“ und kaufen nochmals ein. Dies wird als „Geldschöpfung“ bezeichnet, es ist also völlig falsch zu glauben, es gäbe für jeden Kredit einen realen Gegenwert, denn im Prinzip dient hier ein Kredit als Sicherheit für einen weiteren Kredit.

Das ist doch eine Milchmädchenrechnung. Die Bank hat doch nicht mehr Geld zum Verleihen auf den Konten. Der eine Kunde bekam € 10.000,-, der andere auch. Das Geld ist nur von einem zum anderen Konto geflossen. Die Einlage des Einen ist die Auslage des anderen. Das Auto fällt auch vorher nicht vom Himmel, denn dieses musste produziert werden, vielleicht von dem Kreditnehmer persönlich usw. und sofort. Durch die Zinsen steigt Vermögen und Schulden, das ist korrekt. Alles andere sind einseitige Milchmädchenrechnungen, die auch gerne von den Freigeld-Gurus gemacht werden. Dieses geschieht, wenn man die Sache einseitig sieht, weil der Blick aufs Globale fehlt. Bitte nehme es nicht persönlich, ich hoffe, du erkennst die konstruktive Kritik.

Du schriebst:
Der Investmentexperte Marc Faber stellte einst die folgende Rechnung dar: Er nahm an, dass einUS-Dollar im Jahre 1000 zu 5% Zins angelegt worden wäre und kam zum Ergebnis, dass allein die Zinsgewinne dieses Vermögens heute das gesamte Bruttosozialprodukt der Welt um das vier Millionenfache übertreffen würde!

Ich lach mich kaputt, voll auf die Schenkel klopfend. Dafür braucht man doch nur die ZinsesZins-Formel anwenden. Dafür muss ich kein Investmentexperte sein. Wenn das nur Experten können, wird mir das eigentliche Problem klar, warum unser Finanzsystem zusammenbricht. Es ist ganz klar, dass unser System mit Überschuldung zusammenbricht. Aber diese Rechnung ist doch zu einfach, zu pauschal. Interessanter wäre es zu vergleichen, wie lange man vor 10, 50, 100, 1000 Jahren für ein Pfund Butter, für 10 Eier und ein Stück Brot arbeiten musste und theoretisch für ein Auto. Alles andere verfälscht das Bild doch. Für mich ist klar, dass unser System zusammenbrechen wird, so wie jede Art von System bis dato zusammengebrochen ist, aber man kann das doch nicht „nur“ am ZinsesZins festmachen.

Du schriebst:
Das Vermögen fließt daher in Investitionen: entweder in die Realwirtschaft oder an die Finanzmärkte, je nachdem wo die höhere Rendite erwartet wird. Hier kommen wir zu einem Problem: Wie oben dargestellt erlaubt uns der Kredit eine Zeitreise, das heißt wir konsumieren bereits Dinge die wir uns eigentlich noch nicht leisten können. Dadurch werden Märkte sehr schnell gesättigt, weshalb es sich kaum noch lohnt, weitere Investitionen in der Realwirtschaft in diesem Bereich vorzunehmen.

Hä? Der Markt wird doch nicht gesättigt, weil ich mir Dinge heute statt morgen kaufe. Weil ich Dinge heute kaufe und nicht erst morgen, findet der Markt JETZT Abnehmer. Wenn nicht investiert wird, gibt es keinen Wachstum. Wachstum muss ja nicht sein, aber wir können auch nichts Neues Innovatives herstellen, weil kein Kapital da ist, um uns was Neues aufzubauen. Auch Geld flattert nicht vom Himmel. Folge = wir würden noch wie vor der Industrialisierung leben, weil kein Kapital für Investitionen frei wäre. Das mag für einige erstrebenswert sein, für andere weniger. Klar, die Luft wäre sauberer, aber wir können die heutige Zeit ja nicht nur verteufeln. Sie bringt uns ja auch was. Andere Sichtweisen sind doch zu einseitig und regen zum Polarisieren an.

Du schriebst:
Ist dies für einen Großteil der Produkte der Fall, fließt das Vermögen folglich verstärkt an die Finanzmärkte und verursacht dort Preissteigerungen.

Kannst du das mal konkreter erklären?

Du schriebst:
Genau dies ist in den vergangenen 20 Jahren geschehen und hat zur Aktienblase der 90er geführt, weil immer mehr Geld wegen der vermeintlich hohen Rendite an die Finanzmärkte floss. Der Clou daran ist, dass wachsendes Geldvermögen durch solche Blasen auch zu höherem Konsum führt, weil Preissteigerungen an den Finanzmärkten Reichtum für alle suggerieren.

Die Gründe waren doch ganz andere. Am Ende meines Beitrags setze ich mal einen kleinen Text rein, den ich mal vorgetragen habe.

Du schriebst:
Wer sich reicher fühlt und dies durch seinen Depotauszug "belegen" kann, wird mehr konsumieren. Dies führt dazu, dass Kapazitäten aufgebaut werden, die eigentlich nicht mehr sinnvoll sind. das "zu viel" an Geld entsteht überall ein "zu viel" an Nachfrage. Eine Überproduktionskrise ist somit Folge einer Aufblähung der Vermögen und Schulden, der Inflation.

Meinst du mit konsumieren weniger sparen, oder neue Schulden? Wenn du den einzelnen Bürger meinst, liegst du komplett falsch, weil du dich selbst widersprichst. Wenn du die Unternehmen meinst, gebe ich dir recht.

Hier mal ein Text von mir. Er ist leider nicht ausführlicher geworden, weil ich nur 7 Minuten für meinen Vortrag hatte:

(Es ist eine PowerPoint Präsentation, deshalb so merkwürdig aufgebaut)

Aufstieg und Niedergang der New Economy.

Der Aufstieg:
Kabel New Media schrieb Geschichte:
Kabel hatte die Bedeutung des Internets schon begriffen, als potentielle Kunden in den Chefetagen das Medium nur vom Hörensagen kannten. Genau diesem Vorsprung verdankte er seinen Aufstieg.
Ende 1993 hatte er sich mit drei Mitarbeitern selbstständig gemacht, vier Jahre später zählte sein Unternehmen 37 Angestellte.
Insgesamt beschäftigte das Unternehmen zu seinen besten Zeiten etwa 1000 Mitarbeiter, die meisten davon saßen allerdings nicht in der Hansestadt. Peter hatte seiner Firma nach dem Börsengang im Jahre 1999 elf Firmen aus ganz Europa einverleibt.

Der Höhenflug:
Kabel New Media wurde zu einem der größten Dienstleiter der Multimediabranche. Peter Kabel wurde zu einer Art Klassensprecher der selbst ernannten Internetgeneration. In ihren Prospekten erhoben ihn die hanseatischen Wirtschaftsförderer zum „deutschen Multimedia-Papst“.
Ende der 90er Jahre schienen die Wachstumschancen der Multimedia-Firmen grenzenlos. Dutzende ähnlicher Agenturen entstanden, sie trugen klangvolle Namen wie March First, ID Media oder PopNet.

Der Höhenflug:/ 2.
Aber auch Printmedien erlebten 1999 mit den Erfolgen von Kabel und PopNet einen Anzeigenboom, Anfang des Jahres 2000 brach das Gründungsfieber aus. Die Geldgier hatte eine ganze Generation süchtig gemacht nach guten Nachrichten aus der Welt des Internets und des Neuen Marktes.

Der Höhenflug:/ 3.
Auch den Mitarbeitern ging es nicht schlecht:
Um schnell wachsen zu können, brauchte man vor allem Personal. Zum Zeitpunkt des Börsenganges war der Markt an Internet-Experten in Hamburg aber restlos leer gefegt, Kabel suchte Nachwuchskräfte in ganz Deutschland.
Die Mitarbeiter wurden verwöhnt. Es gab Blumen und Obstkörbe für alle; zweimal in der Woche kam der Masseur und knetete die vom Sitzen verspannten Nackenmuskeln.

Der Höhenflug:/ 4.
In der Zeit konnte jeder einen spannenden Job haben, und Geld schien es auch in Hülle und Fülle zu geben. Die meisten Kabel-Mitarbeiter waren gleichzeitig Aktionäre der Firma, und das führte zu einer regelrechten Spielcasino-Stimmung.

Der Irrtum:
Die Euphorie an den Aktienmärkten nutze Kabel im rechten Augenblick. Der Börsengang im Jahre 1999 brachte dem Unternehmen 43 Millionen Mark ein.
Und noch im Juni 2000, als auch in Deutschland der Abschwung schon deutlich sichtbar war, feierten die Macher im Geschäftsbericht sich und ihre Strategie.
Wie angekündigt, wurde die Strategie auch umgesetzt. Die Übernahmen der elf Firmen aus Europa wurden vollzogen. Doch die Preise waren nach Ansicht der meisten Beobachter viel zu hoch. So bezahlte Kabel im Falle der schwedischen Internet-Gesellschaft Projektor umgerechnet 1,5 Millionen Mark für jeden Mitarbeiter.

Der Irrtum:/2.
Bei diesen Geschäften floss jedoch kein Bargeld. Peter Kabel hatte wie in solchen Fällen üblich nur einen Teil seiner Firma an die Börse gebracht, mit den üblichen Anteilsscheinen kaufte er jetzt andere Firmen. Durch dieses Aufblähen des Unternehmens konnte man zwar den Analysten starke Umsatzsprünge vermelden, doch die neuen Töchter machten zum Teil ebenso Verluste wie die Mutter.

Der Irrtum:/3.
Es war ein gewisses Maß an Verantwortungslosigkeit zu spüren. Also keiner wollte die Verantwortung übernehmen für die fallenden Kurse, es wurde oftmals auch den Mitarbeiten im mittleren Management zugeschoben, dass diese verantwortlich seien, den Kurs wieder nach oben zu bekommen. Und die meisten dieser Manager waren auch dadurch gekennzeichnet, das sie nicht kritikfähig waren, es lag immer an den anderen, nie an einem selber.

Das Ergebnis:
Bei den Multimedia-Dienstleistern, aber auch bei Net-Business wurde die Phase der realistischen Lagebeurteilung übersprungen. Nach dem Rausch kam nahtlos der Kater, nach Euphorie nur noch Verdrängung. Die Vorstellung, der Konsument des 21. Jahrhunderts wolle vom Hundefutter bis zum Kopfsalat alles am Bildschirm bestellen, anstatt in ein Geschäft zu gehen, erwies sich als kollektiver Irrglaube.

Das Ergebnis:/2.
200 Firmen, die mit ihren Ideen für elektronisches Einkaufen die Konsumgewohnheiten revolutionieren wollten, mussten im Jahr 2000 allein in den USA aufgeben. In der Jahresmitte erreichte die Krise endgültig auch Deutschland. Der Aktienkurs von Kabel New Media ging Ende 2000 zusammen mit den Papieren der Konkurrenz auf Tauchfahrt.
Auch den Mitarbeitern ist zwischenzeitlich das Lachen vergangen. Kündigungen hießen „headcount Reduction“ und man sprach von „wertschöpfungsorientierter Strukturoptimierung“ oder von einem „atmenden Kostenapparat“.

Das Ergebnis:/3.
In der ersten Hälfte des Jahres 2001 stürzte die ganze Neue Wirtschaft ab wie ein im Flug erschossener Vogel und Kabel New Media ging im Juli 2001 insolvent.

Und das Fazit:
Eine realistische Einschätzung der Wirtschaft und deren Chancen sichert langfristig das Fortbestehen eines Unternehmens. Visionen sind wichtig für Fortschritt und Entwicklung, Illusionen führen in die Sackgasse.

Auf die restlichen Absätze deines wahrhaft mühevollen Artikels werde ich jetzt aber nicht auch noch eingehen.

Liebe Grüße
Siegfried

PS: Ich schließe mich der Meinung von Altbundeskanzler nicht an der meinte:
"Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen".



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