Weltfinanzsystem gerät aus den Fugen

Geschrieben von Pez am 18. Dezember 2003 21:27:58:

Aus dem Geldcrash-Forum

Weltfinanzsystem gerät aus den Fugen

Textauszug „Neue Solidarität“ Nr. 51; 17. 12. 2003
Dollarkrise. Während ein Wunder japanischer Interventionskunst die Dollarfahrt nur kurz bremsen konnte, denkt man in Europa über mögliche
Kapitalkontrollen nach.
Am Dienstag, den 9. Dezember, geschah ein kleines Wunder an den Devisenmärkten. An allen vorhergehenden Handelstagen war der Dollar zum
EURO auf ein neues historisches Tief abgestürzt. Gegenüber Währungen, die es schon ein bißchen länger gibt, wie dem britischen Pfund, fiel er auf den
tiefsten Stand seit elf Jahren. Doch nun, am neunten Tag, wurde der Sturz vorübergehend aufgehalten. Hatte sich plötzlich der Ausblick für die
Finanzierung der gigantischen Auslandsverschuldung der USA aufgehellt? Keineswegs. Die kleine Talfahrt der amerikanischen Währung hatte eine ganz
bestimmte Ursache. Erneute massive Eingriffe der japanischen Zentralbank in das Treiben auf den Devisenmärkten – im krassen Widerspruch zum
liberalen Dogma der frei „floatenden“ Währungskurse.
Seit Jahresbeginn hat die Bank von Japan für derartige Interventionen nach eigenen Angaben bereits 17,8 Billionen Yen (165 Milliarden Dollar)
aufgewendet. Sei tat dies in der bislang vergeblichen Hoffnung, damit den exportschädigenden Anstieg des Yen gegenüber dem Dollar zu bremsen. Die
Interventionen finden im Auftrag der Regierung statt; die Zentralbank ist nur ausführendes Organ. Um die zum Aufkauf von Dollarpapieren
erforderlichen Finanzmittel aufzutreiben, darf sich die Regierung nach aktueller Gesetzeslage durch die Ausgabe kurzfristiger Staatsanleihen bis zu einer
Gesamthöhe von 79 Bio Yen ( 731 Milliarden Dollar) verschulden. Aber diese Grenze wird man schon in den nächsten Wochen überschreiten. Daher
ließ das Finanzministerium am 11. Dezember durchblicken, man werde noch vor der Jahreswende die Verschuldungsgrenze für
Devisenmarktinterventionen auf rund 100 Bio Yen (926 Mrd. Dollar) hochsetzen. Notfalls, so Hiroshi Watanabe vom Ministerium, könnte man auch
auf einen Krisenparagraphen zurückgreifen und Bestände an ausländischen Anleihen direkt an die Bank von Japan verkaufen.
Insgesamt läuft das Verfahren dann auf folgendes hinaus: Die Federal Reserve druckt frische Dollars, um das Handelsbilanzdefizit zu finanzieren, und die
Bank von Japan versucht, noch schneller neue Yens zu drucken, um damit die neuen Dollars der Fed zu kaufen. Auch an diesem Beispiel zeigt sich, das
das Weltfinanzsystem aus den Fugen gerät.
Unterdessen bemühen Vertreter der US-Regierung und der Wall-Street die absurdesten Argumente, um den Anschein zu erwecken, der Dollarverfall
sei gar kein Problem und man habe die Lage schon im Griff. So heißt es, der niedere Dollarkurs werde den amerikanischen Export stärken und damit
den ohnehin furiosen US-Aufschwung noch weiter Anheizen. Diese Strategie wird aber, wie europäische Finanzinsider betonen, unweigerlich
fehlschlagen. In den 50er und 60er Jahren hätte derartiges noch funktionieren können. Aber nach den strukturellen Veränderungen der US-Wirtschaft
in den vergangenen Jahrzehnten wäre heute schon eine Abwertung von 40 – 60 % erforderlich, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Zudem wären
Steuer- und Zinserhöhungen nötig, um Konsum, Importe und damit das Handelsbilanzdefizit einzugrenzen. Aber in elf Monaten sind
Präsidentschaftswahlen. Aber was wird bei höheren Zinsen aus dem Immobilienmarkt und den übrigen Schuldenpyramiden?
Die Angst geht um

Auch die offiziellen Kreise in Europa tun nach außen hin so, als wäre alles in bester Ordnung. Aber es gibt Ausnahmen, und im privaten Gespräch
äußern Regierungsvertreter Bestürzung und Hilflosigkeit über die Weltfinanz- und Wirtschaftskrise, die nun immer mehr auf die Wirtschaftstätigkeit in
Europa durchschlägt.
Noch am 9. Dezember behauptete Wirtschaftsminister Clemens, es gebe keine Anzeichen für negative Auswirkungen des Dollarfalls auf die deutschen
Exporte. Einen Tag später meldete das statistische Bundesamt einen Exportrückgang im Oktober um 6, 6 % gegenüber dem Vormonat, den
schlimmsten monatlichen Exporteinbrauch in mehr als zehn Jahren.
Am 10. Dezember warnte der stellvertretende italienische Finanzminister Mario Baldassarri im französischen Figaro, der hohe Wechselkurs des EURO
zum Dollar bedrohe die europäische Wirtschaft und fügte hinzu: „Warum lassen die beiden führenden Wirtschaftsregionen der Welt ihre Währungen frei
schwanken, ohne den Versuch zu unternehmen, eine Parität zwischen 0,9 und 1,1 zum Dollar zu verteidigen:“ Nur so könne man „die Stabilität des
internationalen Systems garantieren“.
Natürlich wäre es sehr hilfreich, wenn jeder Unternehmer in der Welt sich bei Investitionsentscheidungen darauf verlassen könnte, daß die Relationen
zwischen den führenden Währungen auf absehbare zeit nur um wenige Prozent schwanken werden. Aber wie können Regierungen auf den heutigen
Währungsmärkten solche Absprachen durchsetzen? Mit permanenten Mega-Interventionen japanischen Stils?
In der Währungsordnung von Bretton Woods, die US-Präsident Nixon 1971 aufkündigte, bleiben die Währungskurse deshalb stabil, weil der
internationale Kapitalverkehr rigiden Beschränkungen unterlag. Interessanterweise meldete der britische Daily Telegraph am 4. Dezember, die
Europäische Kommission kläre gerade die rechtliche Grundlage für die Wiedereinführung von Kapitalkontrollen, wie es sie zuletzt in den 70er Jahren
gab. Ein Team in der Abteilung des für Wirtschafts- und Währungsfragen zuständigen Kommissars Pedro Solbes habe festgestellt, daß Brüssel schon
nach der bestehenden Gesetzeslage unverzüglich Beschränkungen des Kapitalverkehrs erlassen könnte. Und ein ungenannter Offizieller der EU habe
angedeutet, ein Eurokurs von 1,35 Dollar wäre vermutlich ein Auslöser für die Einführung von Kapitalkontrollen.
Die Europäische Kommission bezeichnete diesen Bericht zwar als völlig abwegig und die Europäische Zentralbank lehnte jeden Kommentar ab,
dennoch ist er nicht nur aus der Luft gegriffen. In dem am 26. November veröffentlichten Bericht der EU-Kommission Die EU-Wirtschaft: Rückblick
2003 werden 45 von 246 Seiten dem Thema „Determinanten der internationalen Kapitalflüsse“ gewidmet. Im Anhang hierzu findet sich eine detaillierte
Zusammenstellung der legalen Grundlagen für den Kapitalverkehr sowohl innerhalb der Europäischen Gemeinschaft als auch mit sogenannten
Drittstaaten. Es wird betont, die freie Kapitalbewegung zwischen Mitgliedsländern habe schon beim Vertrag von Rom (1957) zu den Kernprinzipien
der Gemeinschaft gehört. Aber dieses Prinzip wurde durch eine ganze Reihe Ausnahmen eingeschränkt; schließlich gab es damals noch die
Währungsordnung von Bretton Woods.

Lothar Komp




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