Warum unser Wirtschaftssystem ohne Rendite zusammenfällt, ...
Geschrieben von Bost am 08. Dezember 2003 20:13:06:
...wie die DDR-Wirtschaft ausgesaugt wurde und wie Regionalwährungen helfen könnten
Als - zynisch gemeinten, aber trotzdem leider sehr realen - Kommentar darf man auf Feldpolitik.de öfter lesen, daß es um "die Rendite" geht - vor allem bei Artikeln zu Themen, bei den Sinnlos-Produkte trotz aller Vernunft in den Markt gedrückt werden. So gab es heute z.B. die Meldung bei n-tv, daß ein nicht geringer Teil (um nicht zu sagen: der größte) der verschriebenen und verkauften Medikamente völlig wirkungslos sind. Warum solche Produkte trotzdem verkauft werden hat zwei Gründe (die hier z.T. etwas vereinfacht beschrieben werden, detailliertere Infos gibt es inzwischen viele im Netz und folgen sicher in Zukunft auch hier):
1. Mangelnde Moral. Keine Ahnung, wie das vor 1989 im "Westen" war, aber spätestens seitdem werden die Menschen gnadenlos auf Egoismus getrimmt. Gewinner ist nur, wer Erster ist. Daß immer nur einer Erster sein kann und der Rest trotz aller Mühe hintenan bleibt hält die Leute selten davon ab, das Spiel mitzuspielen. Und gespielt wird mit allen Mitteln. Ziel: Mein Haus, mein Auto, meine Yacht. Nebenwirkung: Wir machen alles, Hauptsache es bringt Geld.
2. Der Systemfehler. An der Universität lernt man etwas von "sinkendem Grenznutzen". Die Herren Professoren meinen damit, daß mit fortschreitendem Konsum der zusätzliche Nutzen einer zusätzlichen Konsumeinheit abnimmt. 1 Stück Kuchen bringt dem Esser sehr viel Nutzen, wenn er hungrig ist. Auch das zweite bringt ordentlich Nutzen, aber nicht mehr so viel, das dritte macht dann meistens pappsatt und läßt den ZUSATZnutzen weiter sinken. Jedes zusätzliche Stück erbringt entweder keinen zusätzlichen Nutzen oder kann irgendwann dazu führen, daß sich einem der Magen umdreht und das grade noch leckere Stück Kuchen zusammen mit seinen Geschwistern wieder das Licht der Welt erblickt.
Dieses Prinzip ist durchaus nicht nur auf eine einzelne Person, sondern auch auf eine Gruppe von Personen anwendbar. Unsere Wirtschaft besteht aus uns allen, also aus einer recht großen Gruppe an Menschen. Wendet man das Prinzip des "abnehmenden Grenznutzens" auch auf die Volkswirtschaft an, so ist es nur logisch, daß wir (die Wirtschaft!) irgendwann die Nase voll von neuen Gütern haben. Wir sind satt und wenn wir noch mehr essen, müssen wir eher kotzen. (Oder: Wir haben zwar noch Bedarf, aber kein Geld, ihn zu decken - was aber aufs gleiche hinauskommt) Daraus ergibt sich: Es kann kein ewiges Wachstum der Wirtschaft geben!
Auf der anderen Seite ist unser Geldsystem, welches es zuläßt, daß es einen Zins gibt. Auch zu diesem Thema finden sich auf Feldpolitik.de immer mal wieder Links, es ist wichtig zu erläutern, warum dies so ist. Ein positiver Zinssatz läßt Geld "wachsen". Die Formulierung stimmt zwar nicht ganz, aber wer sich mit Texten zu dem Thema vollpumpen will, kann dies bei Geldreform.de machen oder sich z.B. das wirklich empfehlenswerte Buch "Das Geld der Zukunft" von Bernhard Lietaer zulegen. Also: Geld jedenfalls wächst immer weiter, so lange es positive Zinsen gibt. Und es wächst nicht nur so, wie ein Baum wächst und hört dann irgendwann auf, sondern es scheint ewig weiterzuwachsen. Nach der Logik von Angebot und Nachfrage (was man auch an der Uni eingetrichtert kriegt) müßte also der "Preis" für Geld (der Zinssatz!) immer weiter runtergehen, weil ja immer mehr Kapital vorhanden ist und "angeboten" wird. Schaut man sich die Zinssätze der letzten Jahre an, so stellt man auch fest, daß die immer weiter runtergingen.
Bringt man jetzt die beiden Seiten der Medaille zusammen - das wachsende Geld auf der einen und die irgendwann stagnierende Wirtschaft auf der anderen Seite - so stellt man fest: Wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst, dürfen auch die Geldvermögen (eigentlich) nicht mehr wachsen. Die Geldvermögen werden ja aus der Wirtschaft gespeist und man kann auf Dauer einem Fluß nicht immer mehr Wasser entnehmen, als zusätzlich nachfließt. Sonst ist der Fluß irgendwann leer. Also müßten die Zinsen eigentlich auf Null Prozent sinken. Nun sträuben sich die Zentralbanken aber noch, die Zinsen auf 0% festzusetzen. (Jaja - man glaubt es kaum - aber im "marktwirtschaftlichen" Westen werden die Zinsen planwirtschaftlich festgesetzt!)
Nun ist es aber eine besondere Situation, wenn die Zinsen auf 0% FESTGESETZT werden. Seit Jahren darf man das in Japan beobachten: Es regt sich nichts in der Wirtschaft. Und erklären kann man das wie folgt: Wenn die Zinsen bei 0% liegen, so verleiht niemand mehr Geld. Die Leute legen sich ihr bissl Geld lieber zuhause hin, denn das Geld auf Japans Banken zu bringen können nur Leute tun, die den Markt nicht beobachten. Dort kriselt es gewaltig - und wer will schon sein Geld verlieren, wo er es zu "sinnlosen" 0% verleiht? Also: Bei 0% Zins zieht sich das ganze Geld vom Markt zurück. Und jetzt stelle man sich unsere heutige Wirtschaft ohne genügend Geld vor - sie würde nicht sehr lange mitspielen!
Also steckt unser Wirtschaftssystem in einem Dilemma: Auf der einen Seite müssen die Zinsen in einer stagnierenden Wirtschaft auf Null sinken, damit die Geldvermögen nicht weiterwachsen und das System wie einen Fluß "aussaugen", auf der anderen Seite dürfen die Zinsen nicht auf Null sinken, da "das scheue Reh Kapital" sich sofort zurückzieht und lieber alles zusammenfallen läßt, als nicht genügend entlohnt zu werden. Damit hat "Kapital" eine Art Eigenleben, die sich durch die unbewußte Psychologie der Marktteilnehmer ergibt. Und dieses Eigenleben sorgt dafür, daß jeder Scheiß zum Verkauf steht, daß alles zu Geld gemacht wird, um die Rendite rauszuquetschen, die das Geld in der Wirtschaft hält... Das beginnt bei dem Verkauf von Placebomedikamenten, geht weiter mit Gütern, die gleich nach Ablauf der Garantie auseinanderfallen und endet beim Ausverkauf öffentlicher Einrichtungen - in Orwellschem Neusprech mit "Privatisierung" verharmlost.
Es ist demzufolge auch nicht verwunderlich, daß die Regierungen nicht gegen den Betrug der Firmen an ihren Bürgern einschreiten. Täten sie es, würden sie das System kollabieren lassen und dann wird man so schnell nicht wiedergewählt...Es gibt mehrere Gründe, die für den Einsatz von Regionalwährungen sprechen. Zum einen existiert dort der Ansatz einer zinsfreien Währung, indem das Entziehen von Geld aus dem Wirtschaftskreislauf BESTRAFT wird. Wer Geld hortet, muß eine Gebühr zahlen. Praktiziert wird das bereits seit März im Chiemgau und wie es aussieht starten immer mehr entsprechende Initiativen. Durch die Bestrafung der Geldhortung sinkt der Zins automatisch auf 0%, da jeder sein übriges Geld lieber gegen 0% verleiht, als Gebühren für die Hortung zu bezahlen (soweit zumindest die Theorie, die man aber nur in Experimenten überprüfen kann!)
Der andere Grund, der für Regionalwährungen spricht, ist die Regionalität. Versuch mal mit einem Geld, das nur im Chiemgau gilt, in Hamburg zu bezahlen! Geht nicht. Also bleibt das Geld in der Region, in der es geboren wurde und fließt dort von einem Wirtschaftsteilnehmer zum anderen. Wenn jetzt also ein Hamburger kommt und seine Hamburger im Chiemgau verkaufen will, so kriegt er dafür Chiemgauer. Er muß diese aber dort ausgeben, somit kann das Geld nicht so einfach wegfließen. Im heutigen globalen System, wo der Euro im Grunde fast in der ganzen Welt akzeptiert wird, kann das gute Stück jederzeit abhauen - und mit ihm ein Stück Kaufkraft, die der Region, aus der er kam, schadet.
Am deutlichsten ist dies am Beispiel des Ausverkaufs der DDR zu erläutern. Dieses Prinzip, wie die Kolonialisierung mittels Währungen funktioniert, war den damaligen Funktionären auf beiden Seiten sicher nicht klar. Helmut Kohl mag zwar völlig realitätsfremd sein, aber er ist sicher kein dermaßen raffinierter Lügner - das wäre der Ehre zuviel. Er weiß schlicht nichts von den Zusammenhängen! Also, wie war das mit der DDR? Die DDRler bekamen für ihre Mark eine sogar sehr vorteilhafte Umtauschrate in DM. Daraufhin flossen alle im Westen produzierten Güter in den Osten, die Leute kauften für ihr neues Westgeld und das floß natürlich in entgegengesetzte Richtung, aus der die Güter kamen - in den Westen. So weit, so gerecht. Das Problem ist nur, daß irgendwann im Osten einfach kein Geld mehr da war. Alles floß in den Westen und sorgte dort für eine kurze Zeit für blühende Landschaften, aber dann war der Osten "ausgesaugt", die Ossis konnten einander nichts mehr abkaufen - und das ist bis heute so, denn neue Fabriken, in denen die Leute Geld verdienen können, um es in ihrer Region auszugeben, gibt es vergleichsweise wenige.
Hätte die "Ostzone" ein eigenes Geld behalten, so hätten sie, um die Waren aus dem Westen kaufen zu können, erst "Ostmark" in "Westmark" umtauschen müssen. Wenn dies aber alle getan hätten, so wäre der Preis für Ostmark gesunken, die Westmark wär teurer geworden und mit ihr die Westprodukte. Also wäre es für die Ossis besser gewesen, eigene Fabriken marktwirtschaftlich aufzubauen und (mit Hilfe?) des Westens ihre Technologien auf den neusten Stand gebracht. Vorteil: Aus dem Osten wären tatsächlich blühende Landschaften geworden. Nachteil: Die Krise Ende der 1980er hätte den Westen nicht mehr so schnell verlassen, wie sie es dank Währungsreform getan hat.
Es ist dank Zins-Geldsystem immer so, daß sich Kapital dort anhäuft, wo schon welches ist. Vor allem die USA saugen mit ihrer starken Wirtschaft die ganze Welt leer, in der Dollars akzeptiert werden. Würden sich die Länder durch eigene Regionalwährungen ("regional" ist relativ, das kann ein Dorf, ein Bundesland oder ein ganzes Land sein!) abgrenzen, das monopolisierende Patentrecht der westlichen Länder mit einem Lächeln ins Klo kippen und ausgebildete Leute zum Zwecke der Ausbildung der eigenen Bevölkerung ins Land holen, so würde die Welt in wenigen Jahren ganz anders aussehen...Aber da gibt es einen Song von "Schwarz" in dem heißt es so schön: Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten....
PS: Und sagt mal bitte einer den Leuten von etwas weiter Links, die sollen beim Thema "Zins" nicht immer gleich den "Antisemitismus" vor Augen haben! Es ist schlicht zum Kotzen, wenn man sich mit Logik einem Problem zu nähern versucht, aber immer in die "Judenhasser-Ecke" gestellt wird, nur weil irgendwelche Vollidioten im Laufe der Geschichte im Wahn der Paranoia diesen Zusammenhang hergestellt haben. Juden sind Menschen wie alle anderen auch. Und Arschlöcher gibts überall, egal an welchen "Gott" man glaubt oder welche Hautfarbe man hat oder was diese Welt sonst noch an interessanten Abwechslungen zu bieten hat. "Zinsen" sind ein real existierendes und problembereitendes Etwas aus der Wirtschaft. Also geht mit euren Ideologien woanders spielen und behelligt nicht anständige Leute, die sich genauso Sorgen um den Untergang der Welt machen wie ihr - oder vielleicht sogar mehr. Thx.
- Lange nicht mehr so Fundiertes hier gelesen. owT. Phil Dick 08.12.2003 21:43 (0)