Russland-Wahlen
Geschrieben von Pez am 07. Dezember 2003 18:38:53:
Als Antwort auf: [:::Nachrichten 7. Dezember 2003:::] (o.T.) geschrieben von MP42 am 07. Dezember 2003 14:19:08:
Hier mal was aus dem Osten!*g*
Große Manipulationen vermutet
Zeitung publiziert "amtliches Endergebnis" mit Kreml-Partei "Einiges Russland" als Sieger
Von
Eduard Steiner aus Moskau
"Wir werden nie faire Wahlen haben", meint Boris Nemzow. Der Chef der liberalen Partei "Union der Rechten Kräfte" spricht gelassen aus, was 60 Prozent der Bevölkerung zumindest von der jetzigen Wahl denken: Der allmächtige Kreml reguliere Stärke und Aktionsradius der Parteien geNau. "Seit langem ist in Russland ein autoritäres Regime im Entstehen", konstatiert Igor Malaschenko, einer der Gründer des einst oppositionellen TV-Senders NTW.
"In einer normalen Demokratie sind die Regeln der Wahlen klar und das Resultat offen, bei uns ist es umgekehrt", definiert die Politologin Lilija Schewzowa vom Moskauer Carnegie-Institut die russische Realität. Die für ihre Enthüllungsrecherchen bekannte Zeitung Nowaja Gaseta sorgte kürzlich für Aufregung, weil sie unter Berufung auf eine anonyme Quelle aus dem Kreml das quasi amtliche "Endergebnis" der Parlamentswahlen publizierte. Präsidentenamt und die für das elektronische System der Stimmenerfassung zuständige Abteilung des Inlandsgeheimdienstes FSB hätten sich über flächendeckende Fälschungen verständigt. Demnach würden jeweils etwa die Hälfte der realen Stimmen von den Kommunisten und den liberalen Parteien zugunsten der Kremlpartei "Einiges Russland" abgezweigt.
Der mittlerweile abgesetzte Kreml-Ideologe Gleb Pawlowskij, der die Wahlkommissionen in klarer Abhängigkeit von der Kremlschen "Machtvertikale" sieht, nimmt zwar ein vorgeschriebenes Endergebnis nur in der entlegenen Provinz an, verweist aber auf subtile Fälschungsmethoden wie die Annullierung nicht genehmer Teilergebnisse unter dem Vorwand von Gesetzesverletzungen.
"Goebbels erblasst"
Einig sind sich Insider freilich darin, dass die großflächigen Manipulationen vor der Wahl stattfinden. Die internationalen Wahlbeobachter (500 allein von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa/OSZE) hielten bereits fest, dass die Wahlkampagnen "unfair verlaufen": Mit allen Mitteln – besonders im Fernsehen, das Putin unter Kontrolle gebracht hat – werde "Einiges Russland" in den Himmel gelobt und vor allem die Kommunistische Partei mit erfundenen Vorwürfen ausschließlich diskreditiert. Deren Chef Gennadi Sjuganow hat in einem Brief an Putin seinen Zorn über den Machtmissbrauch des Kreml Luft gemacht: "Goebbels erblasst vor den Machenschaften der Chefs des Staatsfernsehens."
Der Wahlzentrale attestieren die OSZE-Beobachter allerdings Transparenz und Professionalität. Was Letzteres unter anderem heißen kann, rechnet die Zeitung Nesawis^simaja Gaseta vor: Bei ständigem Bevölkerungsschwund der letzten zehn Jahre hat die Zahl der Wahlberechtigten umgekehrt proportional um 4,5 Millionen zugenommen. Allein im ersten Halbjahr 2003 aber schnellte sie auffällig um zwei Millionen nach oben: wie viele davon "tote Seelen" sind, sei nicht transparent. (DER STANDARD, Printausgabe, 4.12.2003)