FACTS (CH): Artikel über Survival-Bücher

Geschrieben von KLL am 21. Dezember 2000 19:13:26:

Die Schweizer Boulevardzeitschrift FACTS bringt diese Woche einen Artikel über Survivalbücher, für den ich interviewt wurde.

Eine Bitte an die Schweizer Leser: Könnte mir vielleicht jemand das Heft oder Scans von den Seiten schicken? In Österreich ist es nämlich nicht zu bekommen.

Hier die Online-Fassung, die sich im Original derzeit unter

http://www.facts.ch/stories/0051_ges_leben.htm

befindet. Da dergleichen Beiträge oft bald verschwinden, füge ich den Text unten ein.

Viel Vergnügen,

KLL

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Rette sich, wer kann

Survival-Bestseller bedienen die neue Lust an der Katastrophe. Der Mann wird zum Indiana Jones, die Frau zum Bond-Girl - oder aufgegessen.

Von Michael Marti

Wenns ums Überleben geht, sind Frauen einfach zarter. Insbesondere der weibliche Unterarm, in Stücke zerteilt und gut gebraten, soll eine Delikatesse sein, geschmacklich wie auch in der Konsistenz vergleichbar mit Schweinefleisch. Und reich an Proteinen. Wem der Verzehr von Leichen als Ultima Ratio in Krisenzeiten Gewissensbisse bereiten sollte, wird vom österreichischen Überlebens-Spezialisten und Buchautor Karl L. von Lichtenfels eines Besseren belehrt: «Man kann Hunger-Kannibalismus als extremste Form von Organspende betrachten, die der Verstorbene wohl gerne geleistet hätte.»

Guten Appetit. Die Aussicht auf kleine Gaumenfreuden darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Überlebenden einer Katastrophe die Toten womöglich bald einmal beneiden würden. Zum Thema Schutz vor Radioaktivität ist im neu erschienenen «Lexikon des Überlebens» von Lichtenfels zu erfahren: «Als Ersatz für eine Strahlenmaske ist ein in Urin getränktes Tuch sich vors Gesicht zu binden.»

Was sonst noch ist zu tun, wenn der Lauf der Dinge die schlimmstmögliche Wendung nimmt? Nach einem Asteroiden-Einschlag, nach dem Weltkrieg Numero drei? Oder wenn nicht der Untergang der Welt droht, sondern nur der persönliche - etwa im Treibsand? Survival-Bücher wie Lichtenfels' «Lexikon des Überlebens» geben Antwort. Und kein Krisenszenario ist zu irr, kein Ernstfall zu abstrus, um nicht die Leser in den Bann zu schlagen.

Überlebens-Fibeln sind der Renner auf dem Buchmarkt. Beinahe eine Million Mal ging alleine in den USA das dieses Jahr erschienene «Worst-Case-Szenario Survival Handbook» von David Borgenicht und Joshua Piven über den Ladentisch. Der Leitfaden für Ernstfälle, nun in deutscher Übersetzung erschienen, lehrt seine Käufer so nützliche Dinge wie die Selbstbefreiung aus dem Rachen eines Alligators («Schlagen Sie dem Tier auf die Schnauze») oder das Verhalten in einem im Wasser versinkenden Wagen («Halten Sie die Luft an»).

Rette sich, wer kann - eine Flut weiterer Notfallbücher widmet sich allen möglichen und unmöglichen Gefahrensituationen: Die Überlebensprosa heisst «Allein im Wald», «Barfuss im Dschungel», «Überleben vor der Haustür» und zeigt auf, wie man eine Bärenattacke überlebt («toten Mann spielen»), eine Geiselnahme übersteht («Schau dem Geiselnehmer nie in die Augen!») oder aus Tropenholz eine Schrotflinte bastelt («sehr einfach»).

Es ist nicht eine neue Panik vor dem mathematischen Jahrtausendwechsel, die erwachsene Menschen zur Lektüre von Pfadfinder-Manuals antreibt. Gruselige Lust ist der Ansporn für die gedanklichen Überlebenskämpfe. «In diesen fiktiven Bewährungsproben inszeniert sich in einer kuriosen Form das Individuum», sagt der Zürcher Soziologe Kurt Imhof. «Das sind Heldenspiele in der Fantasie - dabei handelt es sich letztlich um eine Metaphorisierung des sozialen Überlebenskampfs.»

Im Dschungel der Imagination wird der Mann zum Indiana Jones und die Frau, sollte sie denn nicht vorzeitig verspeist werden, zum Bond-Girl. «Eine Art Ersatzbelohnung für Frustrationen im realen Leben», meint Imhof. Ob Alligator, Killerbiene oder Hungerattacke: In den Überlebensspielen ist der Gegner einfach auszumachen, wohingegen in der Wildnis der Wirtschaft Freund und Feind schnell einmal verwechselt werden. «Die Beschäftigung mit diesen Survival-Angeboten ist letztlich eine Regression, eine Übernahme kindlichen Denkens und Verhaltens», stellt Soziologe Imhof fest.

Zur abenteuerlichen Infantilisierung der Gesellschaft passt auch der Erfolg von TV-Sendungen wie «Expedition Robinson» in der Schweiz oder «Survivors» in den USA; die Darwinismus-Soaps gehören zu den erfolgreichsten Formaten der jüngeren TV-Geschichte. Auch Hollywood ist reif für die Insel: In «Cast Away» - einem aufwändigen Survival-Drama, das Mitte Januar in die Schweizer Kinos kommt - spielt Tom Hanks einen Geschäftsmann, der sich nach einem Flugzeugabsturz auf einer verlassenen Südseeinsel durchzuschlagen hat und dabei den Sinn des Überlebens entdeckt.

Nur logisch, dass neuerdings die amerikanische Coffee-Shop-Kette Starbucks den Bestseller von Piven und Borgenicht ihren Gästen anbietet. So kann sich der Businessman und die Businesswoman in der Mittagspause nicht bloss einen Cappuccino und ein Brötchen reinziehen, sondern auch eine Portion Abenteuer. Und Publicis, eine der grössten Werbeagenturen der Schweiz, gab sich dieser Tage katastrophal kreativ und verschickte ihren Kunden den Survival-Besteller als Weihnachtsgabe.

Auch der österreichische Überlebens-Experte von Lichtenfels ist überzeugt, dass viele Käufer seines Buches bloss eine «intellektuelle Lust am Grausen» suchen, auf einen fiktionalen Adventure-Thrill aus sind, den man am liebsten in aller Sicherheit, am besten daheim vor dem Kamin geniesst. Dabei meint es von Lichtenfels - hinter dem Pseudonym verbirgt sich ein Wiener Hauptschullehrer und studierter Physiker - mit seinem Ernstfall-Wälzer durchaus ernst. «Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein globales Unglück passiert. Durch die ansteigenden Siedlungsdichten und das sich verändernde Weltklima nehmen Häufigkeit und Opfer von Katastrophen zu.» Düster sind seine Prognosen, doch noch muss der Warner von Lichtenfels einräumen: Die grösste Katastrophe in seinem Leben sei bislang die Ära Claus Peymann am Wiener Burgtheater gewesen.

Dessen ungeachtet will von Lichtenfels' «Lexikon des Überlebens» nicht nur Rat für Kurzkatastrophen geben, sondern Wissen für das Leben nach der Apokalypse vermitteln. Wo andere Survival-Fibeln erklären, wie man mit gebrauchten Tampons Fische fängt, gibt von Lichtenfels detailliert Anleitung zum Getreide- und Gemüseanbau oder zur Herstellung von Jogurt und Käse. Sein Buch ist auch eine Art Enzyklopädie kultureller Basistechniken.

Schulmeister von Lichtenfels kann seinen Hang zum Pädagogischen als Buchautor nicht verbergen: «Trainieren Sie den Ernstfall mit Ihrer Familie, üben Sie das Aufsuchen von Schutzräumen, das Verstecken, die Flucht, das Tragen von Schutzanzügen und Gasmasken.» Ein Appell, der der den zivilgeschützten Schweizern nicht ganz unbekannt vorkommen mag. In der Tat, das Überleben ist eine schwere Prüfung, doch gottlob eine, auf die man sich schon früh vorbereiten kann: Eltern empfiehlt von Lichtenfels, ihrem Nachwuchs «Robinson Crusoe» als Pflichtlektüre zu verordnen. Selbst für den Fall, dass nur noch Beten hilft, ist vorgesorgt: Im «Lexikon des Überlebens» ist sowohl das Vaterunser wie auch das Ave-Maria integral abgedruckt.

Von der Konjunktur des Überlebens-Schrifttums profitiert auch ein Autor, der schon seit Anfang der Siebzigerjahre mit der Vermittlung von Selbsterhaltungs-Know-how sein Leben verdient. Damals schrieb Rüdiger Nehberg vor allem für zivilisationsmüde Aussteiger, für Freaks und Hippies, die auf unsicheren Wegen um die Welt tourten. Ende Mai dieses Jahres erschien eine Taschenbuch-Ausgabe von Nehbergs «Survival-Lexikon». Schon über 10 000 Exemplare wurden verkauft.

Der heute 65-jährige Hamburger - Insidern auch als «Sir Vival» bekannt - hat eine ganze Reihe von Abenteuerbüchern verfasst und freut sich natürlich über das «markant gestiegene Interesse» an seinen Werken. «Je grösser die Abhängigkeit von der Technik ist, desto mehr wünschen sich die Menschen solche Survival-Kenntnisse», beobachtet Nehberg. «Selbst wenn sie dieses Wissen nie brauchen werden - es gibt ihnen Selbstbewusstsein. Und manch einer fühlt sich so auch für den Arbeitskampf besser gerüstet.»

Dass jedoch auch noch so kühne Lektüre-Erlebnisse aus einem Bürohengst keinen Crocodile Dundee machen, erfährt Nehberg immer wieder in den Survival-Kursen, die er seiner Fangemeinde anbietet. «Da gibt es solche, die sich nur schon beim Biwakieren in einem deutschen Forst über Nacht die Hose voll pinkeln.» Vielleicht sollten es diese Laubbettnässer beim Lesen belassen - immerhin bedient sie auch Nehberg mit allerlei saftigen Details: etwa dass nach einer Notamputation in der freien Natur der abgetrennte Körperteil Eigentum des Patienten bleibe.

Ja, was soll denn der Ärmste noch damit? Der amputierte Körperteil, führt Sir Vival aus, ist zum Jagen und Fischen ein «geeigneter Köder».

Leser, die solche Lektüre-Schocks überleben, mögen vielleicht irritiert sein, dass die verschiedenen Survival-Publikationen für dieselbe Zwangslage oft verschiedenes empfehlen. So rät der dieses Jahr veröffentlichte Titel «Living Safe in an Unsafe World» für den Fall eines Luftangriffs durch Killerbienen, schleunigst in einen Swimming-Pool oder ein nahes Gewässer zu hechten. Aber genau davon raten Piven und Borgen in ihrem «Survival-Buch» ab: Die «leicht reizbaren» Insekten drehten nach der Flucht ins Nasse mitnichten ab. Sie würden warten. Und sobald das Opfer auftauche, ihm das Gesicht zerstechen.

Wie beruhigend, dass die Wahrscheinlichkeit, von Killerbienen gemordet zu werden, bloss 1 zu 5'500'000 ist. Ungleich wahrscheinlicher ist es, als Fussgänger von einem Auto platt gefahren zu werden. Doch unglücklicherweise ist das Repetieren von Verkehrsregeln weit weniger vergnüglich als das Lesen von Survival-Büchern.

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Survival-Tipps
«Auf die Schnauze schlagen»

Wenn der Alligator angreift oder das Bein amputiert werden muss: Tipps für ausgefallene Situationen.

Austricksen eines Pumas
«Rennen Sie nicht weg. Wenn Sie losrennen, lenken Sie die Aufmerksamkeit des Tiers noch stärker auf sich. Versuchen Sie sich durch das weite Öffnen Ihrer Jacke grösser zu machen. Der Puma greift selten ein grösseres Tier an. Bewegen Sie Ihre Arme, schreien Sie. Zeigen Sie, dass Sie verteidigungsbereit sind.»
Quelle: «Das Survival-Buch»

Folter
«Man versuche, sich unter der Folter auf eine bestimmte Sache zu konzentrieren (zum Beispiel Kopfrechen-Aufgaben). Man kann sich auch von der Liebe zu den Menschen ergreifen lassen, die man durch sein Schweigen zu schützen versucht, oder vom Hass auf die Gegner. Die dabei ausgeschütteten Hormone dämpfen die Schmerzen. Zudem kann der Glaube an ein Leben nach dem Tod sehr helfen. Das Folteropfer muss sich stets vor Augen halten, dass es nach der Preisgabe von Informationen wohl ohnehin getötet wird, weil es dann nutzlos, aber ein Mitwisser ist.»
Quelle: «Lexikon des Überlebens»

Abspringen von Gebäuden
«Zuerst weiche Gegenstände vorauswerfen (Matratze, Teppich usw. - Vorsicht auf Passanten!), die den Aufprall dämpfen. Kopf mit einem Handtuchturban schützen. Man ziehe Bäume, Autodächer oder Schwimmbecken einer Betonfläche vor. Während des Fallens Füsse und Knie geschlossen halten, Beine gebeugt, die Arme schützen den an die Brust gedrückten Kopf. Nicht verkrampfen, locker bleiben! Beim Aufprall versuchen, Knie ganz zu beugen und über den Rücken abzurollen.»
Quelle: «Lexikon des Überlebens»

Befreien aus der Schnauze eines Alligators
«Wollen Sie zum Beispiel eines Ihrer Gliedmassen wieder aus dem Rachen eines Alligators herausbekommen, dann klopfen oder schlagen Sie dem Tier auf die Schnauze. Alligatoren öffnen meistens ihr Maul, selbst wenn man sie nur leicht antippt. Sie lassen dann möglicherweise alles, was sie in der Schnauze haben, fallen.»
Quelle: «Das Survival-Buch»

Rammen eines Autos
«Rammt man ein Auto am Heck, kann man es einfach ausser Gefecht setzen. Wenn das Hinterrad beschädigt ist, kann das Fahrzeug nicht mehr losfahren, und Sie haben genug Zeit, zu entkommen.
1. Schalten Sie, wenn möglich, Ihre Airbags aus.
2. Legen Sie den Sicherheitsgurt an.
3. Beschleunigen Sie auf mindestens 40 Stundenkilometer.
4. Fahren Sie mit der vorderen Beifahrerseite Ihres Wagens auf die Höhe der Hinterachse des gegnerischen Wagens. Rammen Sie das Auto im rechten Winkel.
5. Das gegnerische Auto sollte jetzt zur Seite schleudern - geben Sie Gas und fahren Sie so schnell wie möglich davon.»
Quelle: «Das Survival-Buch»

Hunger-Kannibalismus
«Hunger-Kannibalismus kann in Notzeiten die Ultima Ratio sein, um sein eigenes Überleben oder dasjenige von Angehörigen sicherzustellen. Man erinnere sich an den Fall der 1972 in den Anden abgestürzten Rugby-Mannschaft aus Uruguay: 16 Spieler überlebten nur, weil sie in der Schneewüste die Leichen der verstorbenen Kameraden assen. Nachträglich erhielten die gläubigen Katholiken vom Papst den Dispens für diese Tat; die Rettung des eigenen Lebens kommt vor der Pietät gegenüber den Verstorbenen.»
Quelle: «Lexikon des Überlebens»

Notamputation
«Das betroffene Glied wird auf eine feste Unterlage gelegt, möglichst angebunden und mit einem Messer oder Beil und Stein in einem Streich abgetrennt. Die nächst gelegene Schlagader zwischen Herz und Wunde wurde vorher abgetrennt. Nachblutende Adern werden mit einem glühenden Messer kurz angetippt und verschlossen. Oder der gesamte Stumpf wird ganz kurz in siedendes Fett getaucht.»
Quelle: »Survival-Lexikon»

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Survival-Bücher
Karl Leopold von Lichtenfels, «Lexikon des Überlebens. Das Survival- Handbuch für Krisenzeiten».
Herbig, München, 2000. 46 Franken.
Der Ratgeber für globale Katastrophen. Er zeigt nicht nur, wie man das Desaster übersteht, sondern widmet sich auch dem Wiederaufbau. Ein dreckiger Job, aber irgendjemand wird ihn tun müssen.

Joshua Piven, David Borgenicht,
«Das Survival-Buch. Überleben in Extremsituationen».
Ullstein, München, 2000. 14 Franken.
Der US-Bestseller in deutscher Übersetzung. Er gibt Tipps, wie man aus 40 scheinbar ausweglosen Situationen heil rauskommt.
Es gilt das Pfadfindermotto:
«Allzeit bereit!»

Rüdiger Nehberg,
«Survival- Lexikon».
Ungekürzte Taschenbuchausgabe. Piper, München, 2000.
19 Franken.
Der europäische Survival-Klassiker in handlicher Form. Doch der deutsche Überlebens-Papst Rüdiger Nehberg warnt: «Eines kann dieses Buch nicht: jemanden unsterblich machen.»




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