Dekadenz: Wörterbuch BASISRELIGION
Geschrieben von Pez am 07. Oktober 2003 12:12:50:
Als Antwort auf: Re: @Bonnie: Widdowson's Dekadenzbegriff, Kritik und eigene Überlegungen geschrieben von Bonnie am 06. Oktober 2003 21:40:22:
DEKADENZ bedeutet soviel wie Verfall einer Gesellschaft oder einer Idee. Dekadenz hat etwas mit der Umkehrung von alledem zu tun, was in jeweiligen Dingen das Naheliegende, Sinnvolle und vor allem Produktive wäre.
Dekadenz kommt weder aus heiterem Himmel, noch sind die Ursachen dafür irgendwelche geheimnisvollen und unerforschbaren Mächte, auch sind die Verursacher nicht nur immer nur die anderen oder die da oben, sondern wir alle sind daran direkt beteiligt, entweder weil wir direkt etwas BÖSES tun oder als NÜTZLICHE IDIOTEN in irgendeiner Weise (etwa nach dem Motto "Der Hehler ist genauso schlimm wie de Stehler") mitmachen.
Besonders zu leiden haben unter dieser Verkehrtheit, die immer auch mit SITTENVERFALL verbunden ist, die jungen Menschen, die dadurch von vornherein ein verzerrtes Bild dieser Welt erhalten und größte Schwierigkeiten haben, ein LEBENSKONZEPT aufzubauen, das ihrem wirklichen GLÜCK förderlich ist. Letzte Ursache der Dekadenz ist vermutlich, daß die mit unserer VERANLAGUNG zusammenhängenden NATÜRLICHEN MECHANISMEN gestört oder sogar zerstört sind.
Interesse an solchen Störungen haben wohl immer die ESTABLISHMENTS in den jeweiligen KULTUREN, weil sie glauben, sich dadurch Vorteile vor allem an MACHT und Bequemlichkeit (nicht körperlich arbeiten zu müssen) zu verschaffen und ihr im Grunde ausbeuterisches Sexualverhalten nicht ändern zu müssen (oder daß solches in ihrer Vergangenheit vertuscht wird).
Natürlich ist man auch in dekadenten Gesellschaften moralisch - und wie! Und es gibt sogar Gesetze gegen die Unmoral!
Doch die gelten nur für den Sex von Erwachsenen mit Kindern und für VERGEWALTIGUNG - und hier oft schon hysterisch und paranoid und regelrecht verklemmt, als ob man etwas damit selbst seine Probleme und gut zu machen hätte oder wie bei den Hühnern auf dem Hühnerhof jemanden sucht, der noch schlechter ist als man selbst und auf dem man daher herumhacken kann - und sonst sozusagen nie!
Jedenfalls wird in dekadenten Gesellschaften echte MONOGAMIE immer mehr zum Fremdwort und in diesem Zusammenhang wird Moral nicht mehr nach GEBRAUCH ODER MISSBRAUCH unterschieden, sondern es dreht sich immer um eine MORAL im Sinn von Sittsamkeit und nie von wirklicher Sittlichkeit (und die ist nun einmal für wirkliche Moral kontraproduktiv).
Und religiös ist man oft auch noch, nur man kommt immer mehr vom wirklichen MONOTHEISMUS ab und landet ersatzweise bei einer typischen PRIESTERRELIGION.
Kennzeichen ist, daß das Pferd immer mehr vom Schwanz her aufgezäumt wird: Es wird etwa in einer PÄDAGOGIK, die sich christlich nennt, aber es nicht ist, weil sie sich nicht an der NACHFOLGE JESU orientiert, bei der entscheidenden Thematik GLAUBE UND MORAL immer beim GLAUBEN angesetzt, als ob man nicht wüßte, daß dieser Weg allenfalls bei ganz wenigen frommen Leuten funktioniert und ansonsten immer nur zur HEUCHELEI führt.
Typisches Beispiel ist die SEXUALERZIEHUNG. Statt den jungen Leuten von Anfang an knallhart an realistischen Beispielen nahe zu bringen, wie sie REINFALLEN können (siehe etwa das erste und das zweite GESPRÄCH mit dem Jungfrauenknacker, doch auch den Bericht von der ABTREIBUNG unter KINDERERZIEHUNG), damit sie motiviert werden, STRATEGIEN für ihr eigenes Leben zu entwickeln und sich um eine geeignete MENSCHENKENNTNIS zu kümmern, werden genau die entscheidenden Themen tabuisiert. So bringt man ihnen bei, daß gerade das Reden über alle diese Dinge entweder unanständig (so war das früher) oder unwichtig ist (so ist das heute, wenn nämlich genau darüber gar nicht geredet wird, dann muß ja dieser Eindruck bei jungen Leuten entstehen) oder man reduziert alles Reden wie in der modernen SEXUALERZIEHUNG auf den Gebrauch von VERHÜTUNGSMITTELN und die Vermeindung von GESCHLECHTSKRANKHEITEN (außer einigen halbherzigen Pflichtübungen).
Dekadente Menschen bejammern immer nur den SITTENVERFALL, hocken aber wie das Kaninchen vor der Schlange (siehe LETHARGIE) und sehen und nutzen aber nie ihre eigenen Chancen, wo sie etwas tun können, und sind daher noch typische NÜTZLICHE IDIOTEN, daß sich ja nichts ändert!
Typische RATIONALISIERUNGEN für die eigene Unfähigkeit und Mutlosigkeit und Phantasielosigkeit heute sind die Hinweise auf die MEDIEN, als ob die nicht auch mit Wasser kochten!
Dekadente Verzerrungen und Tabuisierungen durchziehen unser ganzes Leben, daher können gar nicht alle genannt werden. Typische Kennzeichen einer dekadenten Gesellschaft sind etwa, wenn PLAUSIBILITÄT durch DENKSCHEMA, MORAL durch SITTE UND ANSTAND und SCHAM, FURCHT durch ÄNGSTE, INFORMATION, REALITÄTSBEWUSSTSEIN durch TABUS, verstandesmäßig Akzeptierbares und Begreifbares durch IRRATIONALES, UTOPIE durch ILLUSION, Wissen und Einsicht in LEBENSKONZEPTE durch eher zusammenhanglose VERBOTE und RATSCHLÄGE, unbeweisbarer GOTT durch vermeintlich beweisbaren Götzen (siehe GÖTZENDIENST), gläubiges GEBET durch abergläubisches Gebet, LIEBE durch VERLIEBTHEIT, ERZIEHUNG durch MANIPULATION, ich-gesteuertes GEWISSEN durch über-ich-gesteuertes Gewissen, EMANZIPATION durch KULTUR, Vernunft durch TRADITION und "Opfer des Verstands" (siehe SACRIFICIUM INTELLECTUS), GLÜCK im Diesseits und GNADE dafür durch VERGEBUNG und ewiges Heil in einem angeblichen LEBEN NACH DEM TOD ersetzt werden. Und gerade in den Dingen der Moral verwechselt man vielfach URSACHE UND WIRKUNG. Das alles kann natürlich mit zahllosen und letztlich doch mehr oder weniger an den Haaren herbeigezogenen RATIONALISIERUNGEN, die als WISSENSCHAFT ausgegeben werden, entschuldigt und sogar begründet werden.
Der sinnvollste und naheliegendste Weg, von vermeidbarer geistiger Dekadenz wegzukommen, wäre vor allem einmal eine unverfälschte Wiedergabe der Wirklichkeit gegenüber jungen Menschen zu einem Zeitpunkt, bevor sie sich selbst auf das dekadente Verhalten der Alten eingelassen haben (siehe KAIROS), damit sie von daher zu wirklicher Moral kommen.
Doch hier gibt es unwahrscheinlich bombenfest gemauerte MAUERN IN DEN KÖPFEN! Einerseits sind die Elterngenerationen wegen ihrer eigenen LEICHEN IM KELLER nur zu oft voller eigener VERDRÄNGUNGEN, andererseits werden sie auch von ihrer EGOZENTRIK daran gehindert, sich um das wirkliche Glück anderer Menschen zu kümmern. So wie sie selbst ihre Wirklichkeit nicht wahrhaben wollen und vermutlich ohne Anstoß von außen auch gar nicht können, verdrängen sie sie auch gegenüber den jungen Menschen. Heute gibt es ja auch noch die famose Ausrede von wegen der POLITICAL CORRECTNESS, nichts zu unternehmen.
Dabei müßte uns doch klar sein, daß junge Menschen ihre Gehirnzellen vor allem deswegen von der Natur mitbekommen haben, damit sie sich mit den typischen gefährlichen Situationen, die üblicherweise im späteren Leben schließlich auf sie zukommen, schon vorher beschäftigen und sie durchdenken. Denn nur so können sie ja die erforderlichen Folgerungen ziehen und STRATEGIEN für eigene LEBENSKONZEPTE entwickeln, um später einmal nicht irgendwelchen mehr oder weniger unrealistischen Versprechungen und Hoffnungen hinterherzulaufen. Und nach meiner Erfahrung sind besonders Kinder für solche KINDERERZIEHUNG absolut offen!
Wie auf den jungen Menschen auf der einen Seite über die Chancen und Risiken ihres Lebens von Anfang an klarer Wein eingeschenkt werden kann und wie sie dieses durch einen vernünftigen Glauben bewältigen können, siehe unter SPIELTHEORIE!
Damit könnten junge Menschen schließlich dann auch schon aus einem gesunden EGOISMUS heraus die Dekadenz einer Gesellschaft durchbrechen. Hier wäre auch die Aufgabe unseres CHRISTLICHEN GLAUBENS, der sich ja zur Zeit leider noch völlig im allgemeinen Strudel der Dekadenz befindet, doch das alles kann "man" ja auch ändern!
Ein typisches und drastisches Beispiel für das Funktionieren von Dekadenz ist die BESCHNEIDUNG der Mädchen im alten und neuen Ägypten und auch sonst in vielen afrikanischen und orientalischen Ländern.
Wir stoßen da auf einen für die Dekadenz typischen TEUFELSKEIS, der jegliches Nachdenken über diesen brutalen Brauch der Verstümmlung der Jungen durch die Alten von vornherein als unmoralisch abtut und somit auch automatisch unterdrückt: Wer selbst verstümmelt ist und Entscheidendes im Leben verpaßt hat, sieht darin schließlich auch nicht nur seinen eigenen, sondern den SINN DES LEBENS überhaupt und kann sich gar nicht mehr vorstellen, daß es auch anders sein könnte und kann schon gar nicht funktionierende Konzepte für andere Lebensweisen entwickeln, die auf INFORMATION aufbauen.
Doch sollten wir hier in unseren vermeintlich aufgeklärteren Ländern nicht zu früh frohlocken. Haben wir da nicht ähnliche Schwierigkeiten? Kennen nicht auch wir die RATIONALISIERUNGEN, daß Kinder nämlich das alles nicht verstünden oder zumindest darunter litten und sich nicht richtig entwickeln könnten, wenn sie genauer wüßten, was mit einem Mann-Frau-Lebenskonzept zusammenhängt?
Ein gutes Beispiel, wie ein Leben erheblich lebenswerter werden kann, wenn man - unromantisch und sogar äußerlich routiniert gefühlskalt - eine geringe frühkindliche Erschwernis akzeptiert, ist die Credé´sche Prophylaxe:
Vor etwa hundert Jahren hatte der Leipziger Arzt Karl Credé herausgefunden, daß die Blindheit vieler Menschen (durch den sogenannten Augentripper) vorbeugend verhindert werden kann, wenn man die Augenbindehaut Neugeborener unmittelbar nach der Geburt mit schwacher Höllensteinlösung behandelt. Und obwohl das den kleinen Wesen natürlich unangenehm ist und ihnen sogar weh tut, sie also vielleicht auch ein wenig seelisch schädigt, wurde diese Prophylaxe Gesetz. Man hat also nicht das einmalige Wehtun aller so in den Vordergrund gespielt, sondern die Verhinderung einer dauernden Schädigung mit ihrer ganzen Tragik weniger als wichtiger angesehen. Wie stellen wir uns demgegenüber mit unserer "Informations-Abgabe" an junge Menschen an, wobei von wirklicher Schädigung wahrscheinlich gar keine Rede sein kann (siehe STRESS) und von den Folgen lebenslanger Minderung und oft sogar Zerstörung der Einheit von Leib und Seele im Grunde alle betroffen sind?
Dieses Stichwort gehört zum Wörterbuchteil des Konzepts BASISRELIGION.
Der Verfasser weist ausdrücklich darauf hin, daß zum richtigen Verständnis des Einzelstichworts bisweilen das Verständnis des Gesamtzusammenhangs nötig ist. Folgen Sie daher bitte den entsprechenden Verweisen („Links“)!
>Hallo Andreas, mir war der Dekadenzbegriff eigentlich immer sehr klar, aber ich gebe zu, ich habe auch nicht "wissenschaftlich" drüber nachgedacht.
>Dekadent war die römische Gesellschaft in der späten Phase.
>Zeichen für Dekadenz:
>- Gelage (Spaßgesellschaft) mit Bulimie !! (Leute haben das Essen ausgekotzt, um mehr essen zu können, im Grunde kein Unterschied zu heute, nur wir nennen es Krankheit, noch dekadenter *gg*)
>- Religionen waren erlaubt bzw. wurden geduldet (in Rom standen Isistempel etc), Parallele zu heute: Kopftuchurteil von neulich
>Wie kann man Dekadenz definieren ? Ganz sicher sehe ich Dekadenz nicht als etwas an, was sich gegen alte Werte richtet (das ist Revolution, Aufstand, Umsturz, Rebellion). Aber in gewisser Weise hast du recht, Dekadenz macht auch die alten Werte kaputt, aber auf eine sanfte Art und Weise. Die alten Werte werden "totgeknuddelt" *gg*.
>Ja, eine dekadente Gesellschaft stellt das Individuum in den Mittelpunkt und ist hypertolerant.
>Also stellt eine nicht-dekadente (was ist das Gegenteil von Dekadenz?) junge, sich im Wachstum befindende Gesellschaft das Gemeinschaftsinteresse in den Mittelpunkt (zu Lasten des Individuums) und ist notwendigerweise intolerant.
>Deckt das jetzt das meiste ab ?
>Nimmt man jetzt Dekadenz der Gesellschaft und wirtschaftlichen Niedergang, hat man dann die Zutaten für das Dark Age ?
>Liebe Grüsse, Bonnie
>>>Hallo Andreas,
>>>ich finde diese Thesen ja faszinierend und sehr gut, daß du sie dem Forum nahe bringst !!
>>>Wie würde Widdowson "Dekadenz" in sein Begriffssystem einordnen ?
>>>Für mich ist Dekadenz entscheidend. Eine dekadente Gesellschaft geht unter und wir sind es m.E., ich nehme mich da gar nicht aus *gg*.
>>>Liebe Grüsse, Bonnie
>>Hallo Bonnie
>>Zur Dekadenz schreibt Widdowson auf seiner "ersten" Homepage:
>>Political decadence
>>Having achieved peace and order, people become more concerned with their rights; they become insubordinate; the government finds it harder to push through unpopular measures.
>>zu Deutsch: Haben die Menschen einmal Frieden und Ordnung (Rechtsicherheit) hergestellt, wendet sie ihre Aufmerksamkeit zunehmend den Rechten zu; für die Regierung wird es schwieriger, unbeliebte Massnahmen durchzusetzen.
>>Economic decadence
>>Having achieved comfortable lifestyles, people become resistant to innovation; they prefer to enjoy their wealth than to work hard at creating more.
>>Übersetzung: Nachdem die Leute einen angenehmen Lebensstandard erreicht haben, widersetzen sie sich zusehends weiteren Neuerungen; sie ziehen es vor, ihrem Reichtum zu frönen anstatt hart zu arbeiten und mehr davon zu schaffen.
>>Social decadence
>>Having achieved success, people lose interest in religion (they do not need its solace); they are less tolerant of misfortune and more selfish; the attitudes that led to success are de-legitimised.
>>Übersetzung: Haben die Leute einmal Erfolg gehabt, verlieren sie das Interesse an der Religion (denn sie brauchen ihren Trost nicht mehr); mit Rückschlägen und Schicksalsschlägen können sie schlechter umgehen und sie werden egoistischer; die Werte, welche mit zum Erfolg führten, verlieren ihre Legitimitation.
>>* * * *
>>kurzer Kommentar:
>>1. Die erste Aussage zur politischen Dekadenz besagt im Grunde das, was ich im letzten Mail anhand der konkreten Ereignisse der französischen und 68er Revolution noch etwas ausgemalt habe. Bezüglich der "sozialen Dekadenz" lässt sich einwenden, dass der "Erfolg" etwas sehr offen definiert ist (Immunisierungsstrategie: "Erfolg" ist dann eingetreten wenn die Leute die Religion aufgeben?!). Das gleiche gilt für "comfortable lifestyles". Wann ist es so "comfortable", dass eine Gesellschaft träge wird und an weiteren Innovationen/Erleichterungen für das Leben unineteressiert ist? Auch habe ich mich bei der sozialen Dekadenz gefragt, welches denn die Werte sind, die zum Zeitpunkt X zum Erfolg geführt haben.
>>Einerseits glaubt Widdowson nicht an Webers Kapitalismusthese [verkürzt: Arbeitsethik der Protestanten führte zu Hochkapitalismus und Wohlstandsmehrung]*), andererseits steht hier diese Aussage mit Werten, "die zum Erfolg führen". Da ist für mich ein gewisser Widerspruch drin.
>>2. Im Nachhinein scheint immer alles nachvollziehbar, aber ob man auf diese Weise Prognosen erstellen kann, ist eine andere Frage
>>Ich habe den "Dekadenzbegriff" immer für sehr heikel gehalten und dies Widdowson auch geschrieben. Wenn man will, kann man zu jeder Zeit und in jeder Gesellschaft dekadente Erscheinungen erkennen. Widdowson würde mir entgegenhalten, dass dies stimmt, allerdings versuche eine kohäsive Gesellschaft solche "Laster" mehr oder weniger rücksichtslos einzudämmen, während in einer diskohäsiven Gesellschaft "moralische" Indifferenz vorherrscht. So gesehen kann ich mit dem Begriff doch wieder leben. Man muss nur aufpassen, dass man nicht in die Abgründe der politischen Ideengeschichte hineingerät und von hehren Worten und abstrakten Gedankenkonzepten zu einer sehr subjektiven Betrachtungsweise verleitet wird ("Demokratie" hat uns "zum Erfolg" geführt). In Ansätzen, so wie ich es mit der Französischen Revolution getan habe, kann es rückblickend fruchtbar sein, das Problem ist die Prognose.
>>M. E. sollte man in jedem Falle stets darauf bedacht sein, neben den Veränderungen im moralisch-ideellen Bereich, die politische und wirtschaftlichen Veränderungen zu betrachten. Wenn man das nicht tut, so hat man am Schluss die Wahabiten, die ohne ihr Erdöl noch immer in den Zelten leben würden als kohäsive Gesellschaft zum Vorbild - also eine im Grunde sehr statische Sicht der Dinge.
>>Ein hypothetisches Beispiel zur Illustration: Nähmen wir an, wir lebten - im Frankreich des Jahres 1780 und wir hörten schon - ich spekuliere jetzt mal- damals leise diffuses Gemurmel von "Freiheit" und "Gleichheit" und "Nation". Nun, für diese Zeit könnte man genauso argumentieren, diese Ideen seien "dekadent", weil sie sich gegen die alten Werte richten (absolutes Königtum, durch Gott legitimiert usf.) und die Autorität untergraben. Wie entscheiden wir nun, ob ein Dark Age folgt oder nicht?
>>Ich sehe vorerst nur zwei "Lösungen":
>>1. Geht es mit dem Land schon seit längerem (=Jahrzehnte, Jahrhunderte?) wirtschaftlich bergauf? Wenn ja, so liegt die Schlussfolgerung auf der Hand, dass zwar eine Revolution mit Umgestaltung der politischen Arena als Folge seit langem wachsender kurzfristig enttäuschter Erwartungen droht, ein wirklich langes Dark Age jedoch nicht vor der Tür steht. Eine solche Situation ist m. E. für China gegeben. Ich habe eine Kurve vor Augen, die nicht auf einmal "abknickt", zwischen wirtschaftlichem Aufstieg und Niedergang muss es eine Phase der Stagnation geben. Das Problem ist wie weit der Fokus reicht. Schaut man etwa nur von, sagen wir mal, von 1910 bis 1929, so hätte man in dieser Zeit wohl schon das Gefühl gehabt haben, vor einem Dark Age zu stehen.
>>
>>2. Wie offen/tolerant ist die neue Ideologie? Wird rücksichtslos gegen Gegner der neuen Ideen vorgegangen (man denke an Robbespierre oder Stalin) oder besteht ihr Ziel praktisch darin, dass alle alles tun können (Extremfall)? Je offener, schwammiger und indifferenter die Ideologie, desto dekadenter ist sie.
>>Vielleicht kann mit derlei Hilfskonstruktionen den Zustand einer Gesellschaft ermitteln.
>>Viele Grüsse
>>Andreas
>>*Für jene, die den Begriff der "protestantischen Arbeitsethik" nicht kennen. Weber sieht als herausragende Vertreter dieses Denkens so viel ich mich erinnern kann diverse Denominationen in den USA, die Presbyterianer und Puritaner Schottlands und Englands.