Fundamentale Einsichten in die Grundlagen für das Zustandekommen eines Dark Age
Geschrieben von Andreas am 02. Oktober 2003 12:18:01:
Bei vielen inklusive mir selbst dürfte die Überzeugung vorherrschen, unsere Zeit sei zu weit fortgeschritten für ein derart katastrophales Ereignis wie ein Dark Age. Hochhäuser, Flugzeuge, Internet, Autobahn, Spitäler ... irgendwie kann man es sich sehr schwer vorstellen, dass unsere Gesellschaften eines Tages in die "Barbarei" zurückfallen sollen. kurz: Wir sind über einen "point of no return" hinausgelangt und können als Zivilisation gar nicht mehr abstürzen. Wenn dem so wäre, dann brauchten wir hier alle ja gar nicht mehr zu diskutieren, jegliche Angst wäre unbegründent und Johannes und Badland könnten ihre Läden dichtmachen.
Im theoretischen Teil seines Werks liefert Widdowson eine sehr interessante, Erklärung, warum uns der zivilisatorische Fortschritt keine Garantie gegen einen solchen Rückfall darstellt. Widdowson stützt sich auf das von Anthropologen festgestellte Phänomen der "Evodeviation". Leider kann ich den Begriff nicht übersetzen.
Der Begriff postuliert, dass der moderne Mensch im Grunde gegen seine Natur in grossen Ballungszentren lebt- und dies seit der evolutionsbiologisch sehr kurzen Zeit von 5'000 Jahren. In Übereinstimmung mit seinem wahren Wesen, das im Zuge der Selektion vor vielen 10'000 Jahren in der Jäger- und Sammlerzeit geformt wurde, neigt der Mensch vielmehr dazu, in kleinen Sippen zu leben. Widdowson untermauert diese Behauptung unter anderem, indem er auf die Tatsache verweist, dass der Mensch sich noch bevor die erste Stadt existierte, auf dem ganzen Globus verteilte. Infolge Streitigkeiten sollen sich Indianergemeinschaften geteilt haben - die eine Hälfte zog woanders hin. Weiterhin macht er auf die in Städten vorherrschende Kriminalität, Armut und den chronischen Stress aufmerksam, die auf eine "darker side" der Medallie hinweisen.
Wie kommt es aber nun dazu, dass die Menschen entgegen ihrer eigentlichen Natur in Ballungszentren leben und nicht den zentrifugalen Kräften nachgeben, die auf sie einwirken? Die Antwort liegt darin, dass starke politische (Zwang - Integration), ökonomische (Anreize zum Austausch - Organisation) und soziale (gleiche Ziele und Werte - Cohesion) unter den Menschen dem vorhin erklärten Trieb zur Zentrifugalität entgegenwirken können. Damit ist aber auch klar, dass wenn keine Integration, keine Organisation und keine Cohesion mehr vorherrschen die grosse, anonyme Gemeinschaft zerfallen kann.häufige Anti-Dark-Age-Argumente:
Zwei häufige Einwände betreffen den hohen Vernetzungsgrad unserer modernen Welt und die Geschwindigkeit des Wandels. Betreffend ersterem argumentiert Widdowson, dass eine quantitative, jedoch keine qualitative Veränderung stattgefunden habe. Es habe eine Zunahme der absoluten Interdependenz, jedoch nicht eine Zunahme der relativen Interdependenz (Scale, Verhältnis zwischen zwischen Binnen- und Aussenhandel). Was die Geschwindigkeit des Wandels betrifft, so kommt er etwas ins Schlingern. Obwohl er zugibt, dass auf einer hohen Stufe rascherer technischer Wandel möglich sei, argumentiert Widdowson, dass rascher Fortschritt bereits in den ersten Städten spürbar gewesen sei. Es sei dies in erster Linie eine Frage der psychologischen Wahrnehmung. Einen Autor, der eine "steigende Kurve" mit sinkenden Zeitabständen von der Dampfmaschine über den Verbrennungsmotor (100 Jahre) zum Atomkraftwerk (40 Jahre) präsentiert, konfrontiert er mit der Tatsache, dass 50 Jahre seit der Errichtung von Atomkraftwerken im Bereich der Energieegewinnung nicht viel geschehen ist - ein Zeichen für einen Stillstand?
Gruss
Andreas
- Re: Fundamentale Einsichten in die Grundlagen für das Zustandekommen eines Dark Age Pez 02.10.2003 12:42 (0)