Der Papst und sein langer Weg nach Moskau

Geschrieben von Nexus am 25. September 2003 10:45:58:

Als Antwort auf: NACHRICHTEN (o.T.) geschrieben von Napoleon am 25. September 2003 08:53:40:

Der Papst und sein langer Weg nach Moskau
Treffen mit Patriarch Alexei II. angestrebt - Verhältnis zur orthodoxen Kirche bleibt schwierig
Von Gernot Facius
Berlin - Kardinal Achille Silvestrini, im Vatikan für die Ostkirchen zuständig, verbreitet von Amts wegen Optimismus: Er hoffe weiter auf ein Treffen zwischen Papst Johannes Paul II. und dem Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche (ROK), Patriarch Alexei II. Auf den Zeitpunkt möchte Silvestrini nicht näher eingehen. Der gewiefte Kuriendiplomat weiß, dass im Augenblick alles andere denkbar erscheint, nur nicht eine Visite des Pontifex im dritten Rom. Selbst eine Begegnung der beiden Kirchenführer auf neutralem Boden bleibt im Bereich des Spekulativen.

In öffentlichen Äußerungen erweckt Alexei II. zwar den Eindruck, dass er sich ein persönliches Gespräch mit dem slawischen Papst durchaus wünsche. Er spricht gelegentlich mit großer Hochachtung über Johannes Paul II. Aber seine Erklärungen sind getränkt mit bitteren Vorwürfen an die Adresse des Vatikans: Die mit Rom verbundene griechisch-katholische Kirche in der Ukraine mache der Orthodoxie Gläubige abspenstig. Die Orthodoxen befänden sich im Zustand der "Verfolgung" (was von Kardinal Silvestrini entschieden bestritten wird). Es gebe "alte Wunden, die noch immer bluten". Nur wenn diese Probleme gelöst und entsprechende Abkommen vorbereitet würden, könne ein Treffen mit dem Papst sinnvoll sein, gab das Oberhaupt der ROK, von deren Diözesen rund die Hälfte außerhalb des russischen Staatsgebietes liegt, zu Protokoll.

Die große Frage ist, ob der Patriarch von Moskau und ganz Russland - so der offizielle Titel des Vorstehers der ROK - so denkt, wie er redet, oder ob er der Gefangene des antiökumenischen Flügels der Kirchenhierarchie ist. Dieser meldet sich immer vehementer zu Wort, je mehr die Spannungen im Lande zunehmen und beeinflusst möglicherweise auch Entscheidungen von Präsident Wladimir Putin, der Mitte Juni vom Papst empfangen wurde. Der russische Präsident verließ den Vatikan, ohne seinem Gastgeber eine förmliche Einladung zu einem Russland-Besuch überbracht zu haben. Alexei II. dankte ihm später für die "Respektierung" der Entscheidung der ROK. Das ließ den Schluss zu: Das Staatsoberhaupt hat sich, schon um von seiner scharf kritisierten Tschetschenienpolitik abzulenken, eine Moskau-Reise des Papstes gewünscht, aber er beugte sich dem Wunsch des Patriarchen.

Die Lage ist grotesk. Katholiken und Orthodoxe verstehen sich als Schwesterkirchen, theologisch ist man sich heute nah wie nie zuvor. Dennoch scheiterte jetzt ein katholisch-orthodoxer "Dialoggipfel" in Baltimore an der Frage der "Unierten". Es gilt schon als Fortschritt, dass man sich wenigstens auf die Fortsetzung der Gespräche hat verständigen können. Nach römischem Verständnis sind die katholischen Ostkirchen eine Art Brücke zwischen West und Ost. Auf dieser Grundlage könnte ein Modell für die künftige volle Einheit mit den Orthodoxen entstehen. Damit ist das Moskauer Patriarchat nicht einverstanden. Es sieht in der Existenz und der partiell wachsenden Attraktivität der "Unierten" eine Herausforderung, mehr noch: einen Angriff auf das von ihm beanspruchte kanonische (rechtliche) Territorium der Orthodoxie.

Wie weit dieser Anspruch reicht, gab der Pressesprecher des Moskauer Patriarchats, Wsjewolod Tschaplin, im Fernsehkanal NTW zu erkennen: "Wir betrachten alle als orthodox, die in der orthodoxen Kirche getauft sind, auch wenn die Taufe im frühesten Kindesalter erfolgt ist. Es gibt vielleicht auch Menschen, die nicht getauft sind, aber durch ihre historischen, kulturellen, geistigen und familiären Wurzeln zur Orthodoxie gehören." Mit den Prinzipien der Glaubensfreiheit, wie sie in demokratischen Gesellschaften selbstverständlich sind, lässt sich eine solche Vereinnahmungspolitik, wie sie letztlich im russischen Religionsgesetz ihren Niederschlag fand, nicht vereinbaren.

Auch unter den "Unierten" gab und gibt es nationalistische, chauvinistische Tendenzen. Orthodoxe Geistliche, die sich der griechisch-katholischen Kirche anschlossen, wurden ein zweites Mal geweiht. Vielerorts gerierte sich diese Kirche als religiöser Transmissionsriemen des ukrainischen Unabhängigkeitsdenkens und Nationalismus. Das alles macht den Monopolanspruch der ROK nicht besser. Der Vatikan und Johannes Paul II. persönlich haben auf diplomatischen Kanälen ihre Bereitschaft zu Gesprächen über Auswüchse und Fehlentwicklungen erklärt. Der Papst hat seine katholischen Glaubensbrüder der Ukraine daran erinnert, dass die dortige orthodoxe Kirche "wie die anderen orthodoxen Kirchen wahre Sakramente hat, vor allem - kraft apostolischer Sukzession - die Eucharistie und das Priesteramt". Diese römischen Mahnrufe werden vom Patriarchat in Moskau in der aktuellen Auseinandersetzung geflissentlich unterschlagen.

Das Blockieren eines offenen, geschwisterlichen Disputs durch die ROK ist aber offenbar nicht nur Resultat eines orthodoxen Anspruchsdenkens, sondern auch Ausdruck einer defensiven Gesinnung. Wenn die ROK missionarisch aktiver wäre, könnten ihr weder andere Kirchen und Traditionen noch Sekten und Kulte gefährlich werden, meint Marina Schischowa vom St. Petersburger Orthodoxen Institut für Missiologie, Ökumene und neue religiöse Bewegungen.

Das geht freilich nicht ohne einen aktiven Dienst von Laien. Doch leider, so das ernüchternde Fazit der Expertin in der Zeitschrift "Ost-West", sei gerade dieser Bereich besonders schwach entwickelt: "Politisch aktive orthodoxe Christen finden sich heute nur unter den monarchistisch und nationalistisch gesinnten Gläubigen. Oft stellt man sich die Frage, ob ihre Bekehrung nicht eher mit ideologischen als mit religiösen Motiven verbunden war." Diese Kräfte setzen Ökumene mit Verwestlichung gleich, sehen in den Kontakten mit der Katholischen Kirche in Rom einen Verrat an Russland.

So gewinnen wieder die kleinen Schritte, die der Papst zu gehen bereit ist, an Bedeutung. Für 2001 plant Johannes Paul II. einen Besuch in Armenien. Eine schon für 1999 vorgesehene Visite im "Land der Märtyrer" war wegen einer Krankheit abgesagt worden. Die Hierarchen der armenisch-apostolischen Kirche spielen im Dialog zwischen West- und Ostkirchen eine wichtige Rolle. Nach Rumänien 1999 demnächst also Armenien.

Informierte Beobachter kleiden ihre vorsichtige Zuversicht in eine fast poetische Formel: Der Papst ist auf dem Weg nach Moskau, nicht direkt, aber immer auf dem Weg, das Ziel vor Augen.





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