Re: HotelNoir? mal ne Frage an dich...
Geschrieben von HotelNoir am 23. September 2003 07:43:39:
Als Antwort auf: Re: HotelNoir? mal ne Frage an dich... geschrieben von JeFra am 22. September 2003 23:48:22:
Lieber JeFra,
>Soweit es geht, versuche ich mich von allen Ego-Allüren zu trennen.
>Ich glaube nicht, daß das sehr weit geht. Ich erinnere mich dunkel an ein Gedicht von Wilhelm Busch, über einen Asketen, der von einer Biene in die Nase gestochen wird und sich dann sehr menschlich und sehr lebendig verhält.
Unsere Säugetierischen Eigenschaften werden wir nie verlieren, schliesslich sichern sie uns das Überleben. Mit Ego-Allüren meine ich das Sich durch *irgendeine* Moral definierende und sich dadurch besser als etwas anderes fühlende Ich.
>Das Gewissen des Menschen ist biophil,
>Klar, die meisten Leute lieben das Leben. Ist es das, was Sie mit `biophil' meinen?
Biophil bedeutet "lebenserhaltend". Lebenserhaltend kann aber durchaus mit einer Tötung im Zusammenhang stehen, dann wenn das eigene (Über-)Leben und das der anvertrauten Lebensformen geschützt werden muss. Der Begriff hat Erich Fromm in seinem sehr empfehlenswerten Buch "Anatomie der menschlichen Destruktivität" geprägt.
>>es ist die Moral die ihn zum Schlächter macht.
>Das verstehe ich nicht. Ich denke, es sind gerade die traditionellen Moralvorstellungen, die manche Leute davon abhalten, einen Mord zu begehen, wenn sie das straflos tun könnten.Gewissen und Moral sind nicht dasselbe. Das Gewissen ist das Wissen des Körpers ums Überleben. Es hat keinerlei zerstörerische Aspekte, obwohl Tötung - z.B. bei einem Angriff oder für die Nahrungszufuhr - nicht ausgeschlossen ist. Das Gewissen ist niemals grausam, es bestraft auch nie, es wehrt sich nur und sorgt für das Überleben des Individuums und der Spezies.
Die Moral ist ebenfalls eine evolutionäre Einrichtung und bezieht sich in seinem Ursprung auf die Regulierung der Fortpflanzung. Das Gewissen will das Leben soviel und sooft reproduzieren wie nur möglich, die Moral ist quasi die Bremse für dieses Vorhaben.
Moral ist somit eine notwendige Manipulierung des Gewissens, um eine evolutionäre Konstanz zu schaffen. Der Preis für diese sinnvolle Konstanz ist unsere Unschuld. Moral kann nur da greifen, wo sich der Mensch schuldig fühlt. Er muss also glauben gemacht werden, dass sein Gewissen (das auch seinen Trieb miteinschliesst) etwas schlechtes ist, das unter Kontrolle gebracht werden muss.
Die unangenehme Nebenwirkung dieser Evolutions-Strategie ist, dass das sich-schuldig-fühlen vom Menschen kompensiert werden will: Er strebt nach dem Guten, und hält die Moral, mit der er geprägt wurde, für das Gute. Dieses "Gute" kann vielerlei Qualitäten haben, und was für Sie das "Gute" ist, kann natürlich für jemand anderes das Sinnbild des "Bösen" sein, die Moral kennt keine Verbindlichkeit. Warum waren z.B. Menschenopfer und Kannibalismus auf Inseln besonders verbreitet? Weil es dort besonders wichtig war, die Einwohnerzahlen im Griff zu behalten. Natürlich war das nicht die Begründung, warum die Opfer dargebracht wurden. ;-)
Doch zu Töten ist nicht zwangsläufig eine Sünde (etwas abgesondertes). Es ist bloss eine Sünde, für etwas anderes als für Dein biophiles Gewissen zu töten.
>Also mal angenommen, ich möchte Sie töten, weil mir Ihre Beiträge in diesem Forum nicht gefallen. Mein biophiles Gewissen sagt mir, daß es besser ist, wenn nicht mehr Sie auf der Welt sind, sondern statt dessen irgendwelche andere Organismen, mit denen Sie um Nahrung konkurrieren oder die Ihnen als Nahrung dienen.
Wenn Sie so denken und Fühlen ist das die Folge der Manipulation ihres Gewissens durch eine Moral. Ich habe ihnen eigentlich nichts getan, doch als moralisch geprägter Mensch haben sie wahrscheinlich das Gefühl, ich verderbe die Gesellschaft, wenn sie mich töten wollen. Sie fühlen sich durch das Fremde von mir an Leib und Leben bedroht, sonst würden sie mich nicht töten wollen. Es sei denn wir beide befänden uns alleine auf einer öden Insel ohne Nahrungsquelle...
Die Moral ist eine notwendige Einrichtung der Evolution. Gleichzeitig ist sie DAS Mittel der Manipulation. Jeder Krieg wird aus moralischen (auch ideologischen) Gründen geführt. Die Römer wie auch Hitler betrachteten es als "gut" ein vereinigtes, starkes Europa zu haben. Es war nicht bloss: Lasst uns diese Fremden niedermetzeln. Zusätzlich muss man verstehen, wie Soldaten seit eh und je - ebenfalls durch Manipulation des Schuldgefühls - zu Bestien abgerichtet werden, die auf Befehl Alles tun, sei es noch so grausam. Ein Mensch, dessen Gewissen nicht durch die Moral manipuliert wurde, würde dies niemals tun!
Fazit: Die Moral ist einerseits notwendig und regulativ und andererseits der Grund für Grausamkeit und Leid. Meine Beobachtungen der menschlichen Entwicklung stimmen mich zuversichtlich, dass diese Dualität von Moral und Gewissen überwunden werden wird. Das ist die Geburt des neuen Menschen an der wir heute Anteil nehmen dürfen.
Ich verweise auf den Spruch den jeder Militärdiensverweigerer früher oder später zu hören bekommt: Was machst Du wenn Deine Frau vergewaltigt wird? Schaust Du zu, Du Pazifist?>Der Spruch ist durchaus berechtigt.
Selbstverständlich.
Völker existieren eben nicht im luftleeren Raum, sondern konkurrieren miteinander um begrenzte Ressourcen.
Dies ist ein typisches Beispiel von Manipulation. Unsere Ressourcen wären niemals begrenzt, wenn wir nicht dermassen viele Schuldgefühle kompensieren müssten. Es ist ein Teufelskreis... Auch Eingeborenenstämme haben sich bekriegt, obwohl es im eigenen Wald genug Holz und Bananen hatte. Man kann nicht sich selber schlecht fühlen und den Fremden für gut halten. Das Fremde ist immer eine Projektionsfläche der eigenen Ängste, die aus einem Minderwertigkeitsgefühl und schlussendlich aus einem Schuldgefühl heraus entstehen.
Carl Schmitt sinngemäß gesagt hat: Wenn ein Volk nicht die Kraft oder den Willen hat, sich in der Sphäre des politischen zu halten, so verschwindet dadurch nicht das politische aus der Welt. Für Sie persönlich mag die Rechnung vielleicht aufgehen, aber auf Kosten der Generationen nach Ihnen, die nicht mehr selber entscheiden dürfen, ob und in wessen Interesse Sie in den Krieg ziehen. Und daß Sie sich als Individuum ohne Tradition und ohne Verpflichtung gegenüber Ihren Mitmenschen oder Ihrem Volk sehen, besagt noch lange nicht, daß die Leute, die Ihnen diesen Floh ins Ohr gesetzt haben, genauso denken. Wir verdanken nämlich die Verbreitung derartiger Ideologien in unserem Lande durchaus einem Volk, das auf diese Weise seine Interessen vertritt.
Eines sollten Sie nicht missverstehen: Ich wettere zwar manchmal gegen die Moral und das mangelnde Bewusstsein darüber was sie anrichtet, bin aber am Ende überzeugt, dass alles genau so ist, wie es sein muss. Die Evolution ist kein kapputes Uhrwerk, das von uns geflickt werden muss, sondern eine perfekte Sache. Und egal was die Menschheit tut oder lässt, sie schreitet unbeirrbar fort und bringt uns zusammen als Brüder und Schwestern. Da ich diesen Zustand beschleunigen möchte, weil dies für mich die Liebe bedeutet, arbeite ich auf diese Art und Weise. Und weil ich es einfach schade finde, wie wenig Liebe und wieviel Moral die Menschen leben.
>
>Was den freien Willen betrifft, so sehe ich, wie gesagt, nicht ein, warum die moderne Naturwissenschaft dagegen sprechen soll.Ich habe nur gezeigt, dass die Sache mit dem freien Willen nicht so selbstverständlich ist, wie alle immer glauben. Es gibt sogar Wissenschafter die belegen wollen, dass er nicht existiert. Natürlich sind die vielleicht bezahlt dafür, dass sie solchen "Unsinn" verbreiten, ich weiss es nicht. Aber eines ist klar: das Paradigma vom freien Willen hat keinerlei Grundlage ausser unser menschliches Empfinden, das uns bewiesenermassen immer wieder hinters Licht führt.
Grüsse HotelNoir
>
>MfG
>JeFra