Wieviel Etikette muss sein? - Ein Artikel von Paul Gisi
Geschrieben von Epidophekles am 26. Juli 2003 08:36:54:
Mittwoch, 23. Juli 2003
Appenzeller Zeitung
FreispielEine Frage der Etikette
Nein, wohin käme man ohne Etikette, nicht auszudenken! In unserer Gesellschaft zählt nichts ausser der Etikette; nur sie wird gewürdigt und anerkannt.Nehmen wir zum Beispiel eine Beerdigung.
Da salbadert der Trauerredner, in der Regel ein Priester, also ein Beamter irgendeiner der unzähligen allein selig machenden Religionen, etwas von Erlösung, Erfüllung und Sichfügen in den glorreichen Willen eines Gottes, der das Leben als Jammertal deklassierte, und da also kommt die Etikette zum Spielen:
Lachen Sie nicht laut heraus, es geziemte sich nicht.
Grimassieren Sie Trauer und Einsicht, auch wenn Sie nicht verstehen, um was es dem plagiierenden Schönredner zu tun ist, denn es war ja allen klar, dass der Verstorbene ein Lump, ein Halsabschneider, ein fieses Schlitzohr gewesen war. Und da kann Trauer nicht zutreffen. Und wenn der priesterliche Phrasendrescher vor Rührung sich schier verschluckt, unterdrücken Sie standhaft das Lachen. Die Etikette will das so.Oder nehmen wir ein anderes Beispiel. Die Hochzeit. Da treten Braut und Bräutigam im reinen Alabasterweiss und im schwarzen Frack vor den Traualter und geloben sich Treue bis in den Tod hinein ...
So ein lächerlicher widernatürlicher Unsinn!
(Spätestens zwei Jahre nach dieser Farce ist es mit der Treue dahin.)Auch in der Politik schreibt die Etikette vor, was zu denken sei.
So schwafelt man gemeinhin davon, dass die Politiker Verantwortungsträger gegenüber dem Volk seien. Was für eine hirnrissige Unvernunft! Politiker sind üble Raubritter, schamlose Sichbereicherer, aufgeblasene Nullen, schnöd raunzende Falschmünzer, Halunken und perverse Machtlüsterne, deren Horizont nicht über das eigene Portemonnaie hinausgeht. Der Staat ist das, was wenige bereichert. Arme, Alte und Kranke werden abgezockt, was das Zeug hält zum Wohle der bereits Reichen.
So will es die Etikette. Wer hat, dem wird gegeben; wem fehlt, dem wird genommen.
Nehmen wir das Beispiel der Arbeitslosen. Das sind Faule, also kürzt man ihnen das Taggeld.
Nehmen wir die Rentner, das sind ausrangierte Faulaufderhautliegende, die leider nicht zu sterben gedenken, kürzen wir ihnen die Rente;
nehmen wir die Drogensüchtigen, die nur Kosten verursachen, bevorschussen wir sie fürsorgerisch, damit wir sie später wie Zitronen auspressen können.
Der Staat ist schliesslich ein mafioses Gebilde, und da sind Schwächen nicht angebracht.
Richter decken Polizisten, Polizisten decken Richter, eine Hand wäscht die andere, ein Rabe hackt keinem Raben ein Auge aus, so will es die Etikette.Die Etikette ist allgegenwärtig, sie dominiert alles.
Nehmen wir die Religionen. Im Namen des friedfertigen Jesus wurden Millionen von Menschen grausam abgeschlachtet; - Muslime, Shintoisten, Hinduisten, Buddhisten, Patrioten und Kulturträger aller Unart wissen nicht viel mehr, als sich gegenseitig umzubringen, die Mystik der Götter besteht darin, sich gegenseitig meuchlerisch zu morden.
Die Etikette tut so, als wäre das picobello in Ordnung. Es lebe die Moral des jeweiligen Gottes!
Wenn zwei Menschen jahrzehntelang im Unfrieden leben, wenn der Papst ex cathedra ein unsinniges Dogma verzapft, wenn dem Armen das Letzte genommen wird und dem Reichen ein Überflüssiges gegeben wird, so findet das die Etikette gut. Schliesslich ist die Etikette Werbung, und wer könnte auf diese verzichten? Nur Banausen fragen sich, ob der Zweck die Mittel heilige.
Alles ist eine Frage der Etikette.Der Mensch möchte leben - doch das geht nicht! In den vier bis sechs Jahrzehnten, in denen sich sein Geist entfalten könnte, in denen er sich biologisch nicht bis zur Demenz abbaut, darf er nicht so leben, wie er könnte und wollte, denn die Etikette verbietet ihm das strikt. Die Macht des Polizeirichters, das Votum des Nachbarn, das Diktat des Priesters, die Gesetze des jeweiligen Staates einer jeweiligen Epoche, die Idiotie der Parteien erledigt jeden Menschen, der versucht, frei zu denken.
Die Etikette schreibt vor, dass es nichts gibt, was es im Herzen der Menschen gibt.
Über die Nachbarn will ich jetzt kein Wort verlieren, denn in der Regel sind sie das Dümmste, das Bornierteste, das Kleinstgeschuhschachtelte, was man in der Nähe erdulden muss.
Das Herz des Menschen suchte die Möglichkeit der individuellen Entfaltung in Freiheit, die grenzenlose Lust des Daseins, das Schöne des Augenblicks.
Die Etikette fordert Einschränkung, Eingliederung, Nivellierung, Kastration. - Banausen, Diebe, Knüppelausdemsack-Rüppel geben den Ton an, bestimmen, was als Recht zu gelten hat.
Demokratie ist Täuschung der Wirtschaft, Beweihräucherung der Korruption, bleierne Mafia. Gesellschaftsdominante Etiketten allerorten!Pfeif auf alle Etiketten - denn bald fällst du ins Grab!
Paul Gisi
- Naja..... Guerrero 26.7.2003 22:38 (0)