Re: Deutsches Sozialsystem / 'Bürgerversicherung'
Geschrieben von Johannes am 25. Juli 2003 15:58:28:
Als Antwort auf: Deutsches Sozialsstem. geschrieben von Guerrero am 25. Juli 2003 14:37:23:
> Ein deutscher Politiker sagte vor kurzem,
> das deutsche Sozialsystem sei nicht zu halten.
> Er sprach von einer notwendigen Änderung die er
> Bürgerversicherung nannte.
Hallo Guerrero,nein, Konkretes ist noch nicht bekannt, die Diskussion hat ja erst begonnen. Und so werden noch viele Ideen verworfen werden, andere hinzukommen.
Ich verfolge die Diskussion sehr interessiert, aber mit gemischten Gefühlen. Grundlage dafür, daß die Diskussion nitwendig ist, ist die allgemeine Pleite der Sozialversicherungen. Ein Beitrag hat mich z.B. erschreckt:
> Auch der Chef des Bundesverbandes der Innungskrankenkassen, Rolf Stuppardt,
> warnte vor Beitragssenkungen «auf Pump». Die Parlamentarische Staatssekretärin
> im Gesundheitsministerium, Marion Caspers-Merk, sagte dagegen im ZDF, man habe
> sich klar darauf verständigt, dass nur ein Teil der eingesparten Kosten für
> die Schuldentilgung verwendet werden soll. (nz)
[ganzer Artikel hier: http://www.netzeitung.de/spezial/sozialreformen/248552.html]Hintergrund: Die Kassen mußten Schulden machen, weil sie (teils aus politischen Gründen) die höheren Kosten nicht über höhere Beiträge weitergeben konnten. Als kurze Auffanglösung, wenn mal in einem Monat besonders viele Zahlungen anstehen, sind Schulden okay. Aber wenn ich höre, daß die Verschuldung auf Wunsch der Bundesregierung derzeit nicht abgebaut werden soll, damit sich statt dessen die Wähler über niedrigere (nicht kostendeckende) Beiträge freuen können, dann macht mir das etwas Angst. Wer soll eigentlich jemals die Folgekosten bezahlen, die sich da durch Zinseszins aufbauen werden?
Ansonsten wird über die "Bürgerversicherung" die medizinische Zwei-Klassen-Gesellschaft eingeführt werden, um dafür mal das negative Wort zu verwenden, daß die heutigen Befürworter gestern noch für die ähnliche Idee verwendet haben.
Es geht darum, daß in Zukunft jeder in die Sozialversicherung einzahlen sol. Hervorgehoben wird, daß damit nun auch endlich die Beamten und Selbständigen in das Sozialsystem einzahlen müßten. Selten erwähnt wird, daß die dann genauso auch Leistungen bekommen werden, sich also nicht viel ändern wird. Und bei den Beamten war es ja schon immer ihm Lohn mit berücksichtigt, daß sie Beihilfe statt Krankenkassenanteil bezahlt bekommen - was für den Staat im Endeffekt günstiger kam. Wenn die in Zukunft mit in der Krankenkasse sein werden, dann wird es dadurch jedenfalls keine Entlastung für den Rest der Versicherten zu erwarten.
Für die Masse der Beitragszahler wird die geplante Bürgerversicherung vordergründig Vorteile haben. Jetzt kann sich der, der gut verdient, aus den allgemeinen Krankenkassen ausklinken und das Risiko der Krankheit entweder selbst tragen (abgefedert durch die Sozialhilfe) oder in eine Krankenkasse gehen, in der sich Leute mit besserem Risikoprofil zusammentun (keine Subventionierung von Geringverdienern und Kindern, in der Regel keine Lohnfortzahlung versichert, d.h. geringe Kosten für die Kasse).
Der Anfang wurde jetzt beschlossen, daß die Zahnversicherung ausgegliedert werden soll, der normale Beitragszahler muß sich aber neu irgendwo zwangsversichern. Der Clou liegt darin, daß er hierfür nun keinen Arbeitgeberanteil erhält, sondern die Kosten vollständig selbst trägt. Die bisherige 50:50-Regelung wird somit durch die Bundesregierung abgeschafft.
(Ist das gut oder schlecht? Ist mir noch nicht klar, ich versuche es nur zusammenzufassen).
Die "Bürgerversicherung" wird kommen, weil sie der einzige Ausweg ist. Es wird darauf hinauslaufen, daß alle in einen Topf zahlen, und zwar vermutlich pro Kopf. Kinder werden hierbei evtl. vom Staat aus Steuermitteln subventioniert, aber nicht mehr von den anderen Beitragszahlern (dieser Punkt ist meine Vermutung, er wurde noch kaum besprochen).
In dieser "Bürgerversicherung" hast Du nun die guten Risiken dabei, die vorher kaum drin waren, also Leute, die selbst sehr viel für ihre Gesundheit tun (müssen), weil sie sich krank sein einfach nicht leisten können, außerdem kommen evtl. Zuschüsse für Kinder hinzu. Dadurch wird insgesamt etwas mehr Geld je Versicherten zur Verfügung stehen (daß Beamte "endlich" auch einzahlen werden, ist dagegen nur Augenwischerei, denn dafür bekommen sie dann ja auch Leistungen).
Dieses etwas mehr Geld wird aber nicht reichen. Gleichzeitig wird man hingehen und sagen, so Leute, hier haben wir nun eine Grundabsicherung für alle Bürger, an der sich endlich auch alle beteiligen. Aber wir wissen, werden die Politiker sagen, daß de Wünsche unterschiedlich sein werden, deshalb wird diese Zwangsversicherung auf ein Mindestmaß beschränkt bleiben. Wer will, der kann sich dann ja privat zusätzlich versichern.
Die Bürgerversicherung wird also der Einstieg aus dem Ausstieg aus der allgemeinen Kostenübernahme der Krankheitskosten durch die Versicherung sein - oder eben, um das böse Wort derjenigen zu verwenden, die das gleiche gestern noch abgelehnt haben, der Einstieg in die medizinische Zwei-Klassen-Gesellschaft.
Bei "Bürgerversicherung" geht es also keinesweg um bessere Leistungen oder auch nur eine für die Versicherten neutrale Kostenkonsolidierung, sondern es geht darum, den Wählern die in Zukunft geringer werdenden Leistungen möglichst noch als Vorteil zu verkaufen.
Die Einschränkungen werden wohl möglich sein. Daß aber dazu die Krankenkassen gezwungen werden, eine nur kurzfristig gedachte Verschuldung länger beizubehalten, um so niedrige Beitragssätze zu haben, ist eine Schweinerei. (@H.Jörg: Ich bin gespannt, wie Du für diese Politik unserer Bundesregierung wieder Herrn Seehofer beschuldigen wirst...)
Gruß
Johannes
>Weiss da einer mehr darüber?
>Saludos
>Guerrero
- Wie lange noch? Guerrero 26.7.2003 14:39 (0)