kritisches Essay über David Wilkerson von 1991

Geschrieben von Fred Feuerstein am 02. Juli 2003 22:48:36:

Als Antwort auf: Wilkersons Schauungen (1973) zu den USA geschrieben von BBouvier am 02. Juli 2003 12:03:45:

Hier eine kritisches Essay über "Die Irrtümer der Endzeitspezialisten" von Franz Stuhlhofer von 1991.

Eig. Anmerkung: Ich würde sagen: mal wieder etwas vorschnell aus der Hüfte geschossen, Cowboy...


David Wilkerson


"D. Wilkerson will seine Vision nicht verteidigen. Sie soll daran geprüft werden, inwieweit sie in Erfüllung gehe.

Man kann solchen Visionen durchaus skeptisch gegenüberstehen. Tatsache ist, daß einiges von Wilkerson schon in Erfüllung ging, z.B. die weltweite Rezession, die von niemandem erwartet wurde. Wir dürfen die Weissagung nicht von vornherein ablehnen." (Zopfi 12)


David Ray Wilkerson wurde durch seine Arbeit unter Drogensüchtigen bekannt, sein Buch Das Kreuz und die Messerhelden wurde weltweit gelesen. Er gehört zur Pfingstbewegung. 1973 empfing er eine Vision: Die Vision - wie der Titel seines 1974 erschienenen Buches lautet.


a) ‚jetzt’ und ‚heute’


Bezieht sich Die Vision auf eine erst in weiter Zukunft liegende Zeit? Dafür, daß niemand auf einen solchen Gedanken kommen kann, sorgt schon das Cover des Buches. Inwieweit sich die deutsche Ausgabe hierin an das amerikanische Original hielt, und inwieweit Wilkerson selbst dafür verantwortlich ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Wer auch immer dafür verantwortlich ist - in dieser konkreten Gestalt wirkt das Buch auf den deutschen Leser.

Auf dem vorderen Buchdeckel liest man ganz oben in der ersten Zeile: "Eine Prophezeiung über die Endzeit!" Und in der zweiten Zeile: "Dinge, die jetzt geschehen!" Man beachte das Wörtchen "jetzt" - also nicht irgendwann!
Wilkerson empfing die Vision 1973; in deutscher Sprache wurde sie 1974 veröffentlicht. Wenn es damals hieß, daß diese Dinge "jetzt" geschehen, können wir Jahrzehnte später erwarten, daß diese Dinge mittlerweile geschehen sind.

Das hintere Deckblatt versucht mit kurzen Worten auf den Inhalt der Vision hinzuführen. Ganz oben, in großen Buchstaben, lesen wir: "Heute!" Für Leser, die nicht ganz begriffstützig sind, ist es also schon bei äußerer Betrachtung des Buches, noch vor dem Aufschlagen, klar: Es geht um heutige Dinge. Von unserem Zeitpunkt aus betrachtet: Um Dinge, die sich in der Zeit um 1974 zugetragen haben - oder etwa doch nicht?

Am Beginn stehen einige Vorbemerkungen; zuerst sagt Wilkerson, daß er die Vision im April 1973 empfing. Und er setzt fort:

"Viele Voraussagen dieser Vision haben sich in der Zwischenzeit schon erfüllt; andere werden in naher Zukunft in Erfüllung gehen; und noch andere in den Jahren, die vor uns liegen." (S.5; wurden diese Vorbemerkungen 1974 geschrieben?)

Wilkerson unterscheidet hier gemäß dem Zeitpunkt der Erfüllung drei Gruppen von Voraussagen:

Erstens bereits erfüllte (also 1973/74 geschehene Ereignisse),

zweitens sich "in naher Zukunft" erfüllende, und

drittens sich in den vor uns liegenden Jahren erfüllende.

Bei der dritten Gruppe handelt es sich also um Jahre - aber nicht um Jahrzehnte. 17 Jahre danach werden sich diese also wohl auch längst alle erfüllt haben. Die zweite Gruppe sollte sich noch früher erfüllt haben. Wilkerson baut ja auf: bereits erfüllt - in naher Zukunft - in den nächsten Jahren. Die "nahe Zukunft" ist daher noch früher als "in den nächsten Jahren". Sie meint also etwa die nächsten Monate, ungefähr die Jahre 1974/75 ...

Somit mag die ganze Sache nur noch das Interesse eines Historikers beanspruchen - handelt es sich doch um längst erledigte Ereignisse. Oder doch nicht?

"Die Botschaft dieser Vision kann nur durch den Ablauf der Zeit und die eintretenden Ereignisse geprüft werden." (S.6) So sagt Wilkerson selbst. Durch den Ablauf von wieviel Zeit?

Aufmachung des Buches sowie Wilkersons Äußerungen ließen die in seinem Buch beschriebenen Ereignisse in der Zeit um 1974 erwarten. So ist es jetzt sicherlich nicht zu früh, um uns an die Prüfung machen zu können.


b) Einige Unklarheiten


Wie wir oben lasen, sieht Wilkerson "viele Voraussagen" als bereits erfüllt an. Zu einem Zeitpunkt, der auf jeden Fall vor der deutschen Ausgabe liegen muß. Danach erst, nämlich im vom deutschen Leuchter-Verlag verfaßten Vorwort, lesen wir: "Mittlerweile, im Herbst 1974, also nur eineinhalb Jahre später, sehen wir manche dieser Dinge schon in Erfüllung gehen." (S.13) Hier sind diese Dinge also erst dabei, in Erfüllung zu gehen (anstatt bereits erfüllt zu sein), und es handelt sich hier lediglich um manche (statt um "viele") Dinge. Wilkerson und Leuchter-Verlag schätzen also das Ausmaß des bereits Erfüllten sehr verschieden ein.

Aber auch unter Wilkersons Aussagen gibt es Widersprüche. Er glaubt, "daß die allermeisten Dinge dieser Vision in unserer Generation geschehen werden" (S.5). Damit läßt er doch noch einen gewissen zeitlichen Spielraum. Denn demnach würden einige dieser Dinge der Vision - die ja sämtlich vor Jesu Wiederkunft liegen - von unserer Generation gar nicht mehr erlebt. Das Ende könnte sich dann noch eine geraume Weile, jedenfalls über mehrere Jahrzehnte hinziehen. Bei der weiteren Lektüre muß der Leser jedoch feststellen, daß Wilkerson glaubt, "daß alle Ereignisse, die Erwähnung fanden, in unserer Generation geschehen werden" (S.17). Nun ist von allen Ereignissen die Rede.

Eine weitere Unklarheit ergibt sich daraus, daß Wilkerson bei der Präsentation seiner Vorhersagen nicht eindeutig sagt, was Bestandteil seiner Vision war, und was lediglich darauf aufbauende Kombinationen und Überlegungen sind. Die Grenze zwischen dem von Gott Gegebenen und den Deutungen des Visionärs ist hier also nicht ganz deutlich.

Ein ähnliches Problem zeigt sich dann in einem späteren Buch Wilkersons, Wetterleuchten des Gerichts. Einerseits behauptet er, die darin enthaltene Botschaft sei "völlig durch die Voraussagen Jesu Christi selbst gedeckt" (S.14). Andererseits sagt er gleich im Anschluß daran, daß er diese Botschaft in seinem Gebetskämmerlein empfing. Bei letzteren Worten würde man eher vermuten, daß es bei dieser Botschaft um mehr geht als bloß um Aussagen, die ohnehin deutlich im Neuen Testament ausgesprochen sind. Der betreffende Abschnitt ist überschrieben mit "Amerika wird bald gerichtet". Eine solche für diese Weltregion spezifische Vorhersage wird man unter den im Neuen Testament überlieferten Worten Jesu kaum finden.

Weiter unten behandeln wir noch Diskrepanzen zwischen Aussagen der verschiedenen Bücher Wilkersons, und zwar bei der Wirtschaft (Gold) und beim Wetter (Katastrophen in den USA).


c) Wirtschaft: Währungen, christliche Programme, Gold, Banken


Wilkerson kündigt "fünf tragische Katastrophen" an (S.15). Stichwortartig können wir sie folgendermaßen benennen: Wirtschaft, Wetter, Schmutz, Jugend, Verfolgungen.

Beginnen wir mit der Wirtschaft. "Ein Zusammenbruch kommt", so lautet bereits die Überschrift des ersten Abschnitts. Dieser beginnt so: "Eine weltweite wirtschaftliche Verwirrung liegt unmittelbar vor uns." (S.19) Diese deutliche Zeitangabe könnte irreführen, denn Wilkerson sagt, daß vorerst noch einige gute Jahre kommen: "Trotz der Gefahrenzeichen des bevorstehenden wirtschaftlichen Unheils werden die nächsten wenigen Jahre (von 1973 an) einige der blühendsten der Menschheitsgeshichte sein." (S.20) Ende 1972 bahnten sich aufgrund steigender Rohstoffpreise bereits wirtschaftliche Schwierigkeiten an, die durch den Ölschock von 1973 noch verstärkt wurden. Das Jahr 1974 brachte eine echte Rezession. Zwar spricht auch Wilkerson von einer Rezession (S.19), damit kann er aber nicht die von 1974 gemeint haben, da er ja zuvor noch einige blühende Jahre ankündigt.

Wilkerson erläutert, was er mit wirtschaftlicher Verwirrung meint: "Nicht nur der amerikanische Dollar wird in sehr große Schwierigkeiten geraten, sondern auch alle anderen Währungen der Welt." Für den Dollar könnte man das eventuell noch gelten lassen, für die anderen Währungen der westlichen Welt gilt das bis heute nicht.

Wilkerson weiter: "Ich glaube, wir werden den Zusammenbruch einiger der größten und bekanntesten Industriegesellschaften miterleben." (S.22) Darauf warten wir immer noch. "Die meisten christlichen Radio- und Fernsehprogramme wird man einstellen müssen." Auch das geschah bislang nicht.

Etwas schwieriger ist die Beurteilung seiner Edelmetall-Voraussage:

"Die Goldpreise steigen ständig. Doch alle, die deshalb ihr Geld im Gold anlegen und so hoffen, eine gewisse Sicherheit zu finden, werden eine tragische Überraschung erleben. Der Goldpreis wird astronomische Höhen erreichen, wird aber nicht allzulange so hoch bleiben können. Auch Silber wird sich zu einem sehr, sehr kostbaren Metall entwickeln und einen wilden Preisauftrieb erleben. ... Leute, die Gold horten, werden sehr große Verluste erleiden. Dies ist eine der eindeutigsten Voraussagen dieses Buches." (S.27)

Zur Zeit von Wilkersons Vision bzw. der Veröffentlichung lag der Goldpreis bei etwa 100 US-Dollar, heute liegt er bei 400 US-Dollar. Nimmt man Wilkersons Aussagen wörtlich, ergibt sich folgendes: Er sprach in der Gegenwartsform ("ihr Geld in Gold anlegen", "Gold horten"). Wer das zur Zeit von Wilkersons Vision tat, erlebte weder eine tragische Überraschung, noch erlitt er große Verluste. Trotz aller Schwankungen seit 1973 gilt: Wer damals Gold kaufte, hat dadurch Gewinne erzielt.

Zwar gab es ein kurzes extremes Hoch anfangs 1980, wo der Goldpreis sogar 850 US-Dollar erreichte. Aber dieses Hoch währte nur einige Monate lang. (Zur selben Zeit stieg infolge von Spekulation auch der Silberpreis steil an, fiel aber rasch wieder.) Seit diesem Höhenflug bewegt sich der Goldpreis im Bereich von 500 bis 300 US-Dollar.

Die Aussage Wilkersons bezog sich nicht auf Spekulanten - deren Tätigkeit naturgemäß mit Risiken verknüpft ist -, sondern auf jene, die eine dauerhafte Geldanlage suchten. Diesen meinte er sagen zu müssen, daß das Geldanlegen in Gold zu großen Verlusten führen werde. Aber darin hatte er sich getäuscht. Wer in den 1970er Jahren in Gold investierte, hatte gute Gewinne. (In den 1980er Jahren gab es weder besondere Gewinne noch Verluste - derzeit ist Gold daher keine bevorzugte Geldanlageform.)

Wieso kam Wilkerson überhaupt dazu, dem Goldpreis "astronomische Höhen" zu prognostizieren? Es ist aufschlußreich, die Entwicklung dieses Preises kurz vor Wilkersons Vision zu betrachten. Nachdem der Preis die Jahre zuvor ziemlich konstant bei 40 US-Dollar lag, stieg er 1972 stark an und erreichte schließlich 65 Dollar; im Februar 1973 kam es zur Abwertung des Dollars, woraufhin das Interesse am Gold stark zunahm, so daß der Preis innerhalb von 10 Tagen einen Anstieg von fast 20 Dollar erzielte. Nur 2 Monate danach hatte Wilkerson seine Vision. Er stand also noch unter dem Eindruck eines seit kurzem steigenden Goldpreises. Von daher war es durchaus naheliegend, einen weiteren Anstieg zu prognostizieren.

In einem späteren Buch scheint es, daß Wilkerson die Verluste überhaupt erst für die Zeit des Gerichts ansetzt. So wird die Vorhersage aber zu einer trivialen Aussage. Natürlich, zur Zeit des Gerichtes Gottes werden materielle Reichtümer wertlos, nicht nur Gold. In jenem Buch (Wetterleuchten des Gerichts - mehr dazu weiter unten) sagt er: "Gold mag vorübergehend im Wert steigen, aber Gottes Wort sagt nachdrücklich, daß Gold am Tage des Gerichts wertlos sein wird. In der Stunde des Gerichts gibt es Millionen von Menschen, die Gold und Silber horten." (S.75)

Im selben Buch berichtet er auch: "Ich habe vor einigen Jahren davor gewarnt, daß eine Bankenkatastrophe die Schweiz überfallen wird; ... Die Schweizer Nummernkonten, die Glanzbeispiele für Sicherheit, werden total unsicher. ... Die Fundamente des Schweizer Bankensystems werden erschüttert, und der Schweizer Franken wird deshalb viel seines Wertes verlieren." (Wetterleuchten 76) Je mehr Jahrzehnte seit der Warnung vergehen, desto wertloser wird eine solche Warnung.

Wilkerson meint, daß "wirtschaftliche Aktionen in Europa die kommende Rezession auslösen werden" (S.34). Die Schuld an der Rezession werde man dann aber auf die USA schieben. Wohl als Folge dieser antiamerikanischen Stimmung sollte folgendes geschehen: "Drastischer USA-Truppenrückzug von Europa wird die Verwirrung noch vergrößern." Auch das fand nicht statt. (Im Zuge der Ost-West-Entspannung kann sicherlich auch die Zahl der in Europa stationierten US-Truppen reduziert werden. Aber der Ursache-Wirkungs-Zusammenhang ist in Wilkersons Vision ein ganz anderer.)


d) ‚Wetter: Erdbeben und Hungersnot in den USA, Epidemien’


Und wie sehen Wilkersons Wettervorhersagen aus? "Drastische Wetterkatastrophen und Erdbeben" heißt das 2.Kapitel. Wenn er sagt, daß es verstärkt Erdbeben und Hungersnot geben wird, so könnte man denken, daß da etwas dran ist. Doch das konnte man schon alleine aufgrund biblischer Aussagen bzw. aufgrund der bisherigen Weltgeschichte voraussagen - auch ganz ohne persönliche Vision. Wir werden also gut daran tun, auf die zeitlich und örtlich präziseren Voraussagen zu achten - bei solchen kann Erfüllung oder Nichterfüllung eher beurteilt werden.

"Die USA werden in nicht allzulanger Zeit das tragischste Erdbeben ihrer Geschichte erleben. Eines Tages, und zwar bald, wird die USA von der Wucht dieses schrecklichsten Geschehens unserer Zeit erzittern und taumeln. Alle Zeitungen werden voll sein von dem Verderben, welches dieses furchtbarste Erdbeben seit Menschengedenken anrichtet. ... Ich glaube, daß es viele Male schwerer sein wird als das große Erdbeben von San Francisco." (S.40f) Auf dieses Erdbeben warten wir immer noch. (1987 scheint Wilkerson darauf schon vergessen zu haben; nunmehr kündigt er eine nukleare Katastrophe an - Näheres im letzten Abschnitt.)

Wenn Wilkerson sagt, daß es in Indien und Afrika Hungersnöte geben wird, so ist das nichts besonders Neues - neu dagegen ist, daß auch die USA davon betroffen werden: "Die Lebensmittelvorräte der USA werden dahinschwinden, und zwar hauptsächlich der Dürreperioden und Überschwemmungen wegen, die dieses Land treffen. Weizen, Reis und Sojabohnenvorräte werden total aufgebraucht, und die Nachfrage nach Korn, Reis und Weizen wird nicht mehr befriedigt werden können." (S.43)

Wieder einmal wagt Wilkerson eine Zeitangabe: "Es wird immer häufiger Überschwemmungen, Hagel, Wirbelstürme und Orkane geben. Mehr als ein Drittel der USA z.B. wird man in einigen Jahren zum Katastrophengebiet erklären müssen." (S.45) Hier ist von "einigen Jahren" die Rede - mittlerweile sind etwa 20 Jahre vergangen ...

Lebhaft werden die künftigen Ereignisse ausgemalt: "Erdausbrüche, Verfärbungen wie Blut und Mondverschleierungen, seltsame Zeichen im Kosmos, wie kosmische Stürme, diese und andere, noch nie vorher dagewesene Ereignisse werden viele Menschen zum Nachdenken bringen. Der Dunst, der im Kosmos hängt, wird dazu führen, daß der Mond rot aussehen wird, und daß Perioden der Finsternis über die Erde kommen. Es wird manchmal so sein, als ob die Sonne nicht mehr scheinen wolle." (S.45)

Bei all dem möchte ich keineswegs ausschließen, daß es dazu tatsächlich einmal kommen werde - ich halte lediglich fest, daß in der bisher vergangenen Zeit nichts davon geschehen ist. Das gilt auch für das folgende: "Europa muß die härtesten Winterausbrüche hinnehmen, die es je gab." (S.47) Tatsächlich sind die Winter seit 1973 eher milder geworden.

"Als Nachwirkung der Hungersnöte, Überschwemmungen und Erdbeben wird sich die Menschheit der Drohung neuer Epidemien ausgesetzt sehen. Eine große Cholera-Epidemie wird durch viele unterentwickelte Länder gehen. Indien und Pakistan werden erleben müssen, daß ungezählte Tausende an Seuchen und Hungersnöten sterben." (S.48) Vor kurzem beobachteten wir einen Cholera-Ausbruch in Peru, und müssen die Ausbreitung in Lateinamerika befürchten. Hat sich also Wilkersons Vorhersage erfüllt? Bei dieser Frage ist mehrerlei zu beachten: Erstens wurden seine Vorhersagen so präsentiert, daß man vor allem an die Zeit bald nach 1973 denkt, und damals geschah davon nichts. Zweitens nennt Wilkerson drei Ursachen, die aber alle nicht zutreffen: In Wirklichkeit ist mangelnde Hygiene in den Slums der Hauptgrund. Drittens nennt er zwei Länder ausdrücklich; man hätte demnach erwartet, daß die Cholera vor allem diese beiden Länder betreffen werde.

Da Wilkerson von den neuen Epidemien als Folge von Hungersnöten, Überschwemmungen und Erdbeben spricht, kann die Seuche AIDS nicht als Erfüllung dieser Vorhersage angesehen werden. An dieser Stelle hätte es sich übrigens erweisen können, wenn jemand tatsächlich von Gott eine Vision über zukünftige Dinge bekommen hatte. Wenn jemand etwa 1973 vorhergesagt hätte, es werde eine neue Geschlechtskrankheit auftauchen und sich verbreiten, so wäre das beeindruckend gewesen. Hier sehen wir die andere Möglichkeit, wie eine Vision überprüft werden kann: Wir fragen uns, was wirklich in der Zeit danach geschehen ist, was aufgetaucht ist, womit niemand gerechnet hätte. Nun untersuchen wir, ob der christliche Visionär das vorausgesagt hat. Können wir solche für die damalige Zeit wirklich überraschenden Vorhersagen bei ihm finden, oder hat er sich eher auf Entwicklungen beschränkt, die ohnehin auch zu seiner Zeit schon erkennbar waren, und hat lediglich das weitere Fortschreiten dieser Tendenzen "vorhergesagt"?

Wilkerson geht dann und wann auch auf die Frage des Zeitpunktes ein. Die vorletzte Zwischenüberschrift im Kapitel über das Wetter lautet "Das Jahrzehnt des Unheils". Ist damit gemeint, daß das auf 1973 folgende Jahrzehnt das in diesem Kapitel beschriebene Unheil bringen wird? Das bringt Wilkerson nicht ganz klar zum Ausdruck. Aber immerhin sagt er am Ende des Kapitels: "Einige der Voraussagen in diesem Teil meiner Vision werden in den nächsten Jahren schon beginnen, in Erfüllung zu gehen." (S.52)

Hier haben wir eine klare Aussage: "in den nächsten Jahren beginnen". Gibt es in diesem Kapitel solche Vorhersagen, auf die das zutrifft? In den Jahren nach 1973 sollten sie beginnen - dann sollten einige davon heute, ca. 20 Jahre danach, schon deutlich ausgeprägt sein. Von all jenen Voraussagen, die einigermaßen konkret sind und die nicht einfach eine Verlängerung eines bereits 1973 vorhandenen Entwicklungstrends darstellen, trifft das auf keine einzige zu. Überfliegen wir kurz die einzelnen Abschnitte. "die gewaltigsten Wetteränderungen der Geschichte ... durch Erdbeben, Überschwemmungen und andere schreckliche Katastrophen, die alles bisher je Geschehene weit übertreffen" (S.40). Das ist nicht geschehen. Das furchtbarste Erdbeben in den USA, das Drittel der USA als Katastrophengebiet ... Hungersnöte: Daß es solche etwa in Afrika geben werde, konnte man 1973 auch ohne Vision erwarten; das Sensationelle an der Vision Wilkersons ist, daß auch in den USA die Lebensmittelvorräte dahinschwinden, und davon ist nichts zu bemerken. Die noch nie dagewesenen Ereignisse im Kosmos, die neuen Epidemien ... Daß das Wetter unregelmäßiger wird, stimmt - aber das ist nicht sehr spezifisch und war wohl auch 1973 schon festzustellen.


e) Moralischer Schmutz: Sexuelle Liberalisierung


Wie steht es mit dem Kapitel 3? "Eine Flut von Schmutz" - gemeint ist moralischer Schmutz. Hier geht es um eine Entwicklung, die auch 1973 schon erkennbar war. Daß die oberflächliche Kirchlichkeit des Großteils der westlichen Welt immer mehr abgestreift wird und stattdessen die "Säkularisierung" um sich greift, ist eine seit langem erkennbare Entwicklung. Hier zu sagen, daß diese zunehmen werde, wäre noch kein Beweis für eine besondere göttliche Führung. Bei den konkreten Beispielen Wilkersons ist es schwierig zu beurteilen, erstens ob das Genannte nicht auch schon vor 1973 irgendwo vorgekommen war (so daß eine Voraussage dessen eigentlich gar keine Voraussage ist), und zweitens wie verbreitet die einzelnen Erscheinungen sind (ob es sich also lediglich um vereinzelte Ausnahmen oder um etwas für die Zeit seither Repräsentatives handelt).


f) Jugend: Sexdroge erfunden, andere Drogen nehmen ab


Im Kapitel 4 geht es um "Das Jugendproblem Nummer eins der Zukunft", nämlich den Haß der Jugendlichen auf ihre Eltern. Dabei sagt Wilkerson selbst über seine Gegenwart: "Schon jetzt macht sich dieser Haß gegen die Eltern überall wie Krebs breit." (S.77) Dabei geht es also um etwas bereits 1974 Vorhandenes, das sich in Zukunft lediglich noch verstärken sollte.

Unter der Zwischenüberschrift "Eine neue Sexdroge" wird es dann aber doch recht konkret: "Ich glaube, daß schon bald eine neue Sexdroge zusammengebraut und auf dem schwarzen Markt unter Jugendlichen und Studenten verteilt wird." (S.78) Davon war bislang nichts zu hören. "Zur selben Zeit wird in der gesamten Drogenszene ein gewaltiger Wechsel stattfinden. Abgesehen von dieser Sexdroge, von der ich voraussage, daß sie kommen wird, wird sich die junge Generation nicht mehr so sehr mit Rauschgift abgeben."

Hier hat Wilkerson leider nicht recht behalten. Das Rauschgift ist nach wie vor ein großes Problem, und verbreitet sich weiterhin. "Der Gebrauch von Marihuana wird legalisiert werden. ... Nach LSD, Haschisch und anderen Drogen wird man immer weniger fragen."


g) ‚Christenverfolgung auch im Westen, Super-Weltkirche entsteht’


Im 5.Kapitel geht es um "Wütende Verfolgungen", die alle Christen betreffen sollen, auch jene in der sog. "freien Welt": "Ich sehe eine Stunde der Verfolgung von solchem Ausmaß kommen, wie sie die Menschheit vorher noch nicht gesehen hat. Alle wahrhaft Jesusgläubigen werden unter dieser Verfolgung zu leiden haben, ... Die Verfolgung wird sich in den USA und Kanada ausbreiten und weiterhin auch in der ganzen Welt." (S.92)

Von einer solchen Verfolgung ist bis heute nichts zu sehen. Dafür sieht Wilkerson etwas anderes: "Ich sehe, wie aus der Vereinigung liberaler, ökumenisch gesinnter Protestanten und der römisch-katholischen Kirche eine Super-Weltkirche entsteht, ..." (S.92) Diese Vereinigung aller Kirchen, seitens mancher Evangelikaler schon seit langem als beinahe vollzogen dargestellt, ist derzeit in weite Ferne gerückt. Rom ist wieder auf konservativerem Kurs, und auch die orthodoxen Kirchen fühlen sich im Weltkirchenrat zunehmend unwohl. Manches an Wilkersons Beschreibung stimmt - etwa die Konzentration der Ökumene auf soziale und politische Fragen. Diese gab es aber auch schon lange vor 1973. Typisch ist folgende Feststellung Wilkersons: "Die offizielle politische Verschmelzung liegt noch einige Zeit in der Zukunft, aber der formlose Rahmen für diese Union ist schon im Entstehen begriffen." (S.94) Ein Teil des von Wilkerson Beschriebenen war also bereits 1973 beobachtbar, benötigte also keinen Propheten. Dieser ohnehin damals schon vorhandene Teil könnte dem oberflächlichen Leser nun im nachhinein den Eindruck vermitteln, daß Wilkersons Vision doch recht zutreffend sei. Doch der damals noch zukünftige Teil steht nach wie vor aus, auch zwei Jahrzehnte danach, und es sieht nicht so aus, daß wir das innerhalb der nächsten Jahre erleben werden.

Was sieht Wilkerson noch? "Ich sehe eine große und übernatürliche Vereinigung aller wahren Nachfolger Jesu Christi, ..." (S.98) Das würde ich auch gerne sehen, aber neben Bestrebungen in Richtung Einheit sehe ich leider auch sehr viel Abgrenzung, Warnung vor anderen, Konfrontation ... Wilkerson spricht hier ja von "allen wahren Nachfolgern Jesu". So ist Wilkersons Vision im wahrsten Sinne eine utopische Zukunftsvision: "Man wird sich nicht mehr so sehr um die Besonderheiten der einzelnen Bekenntnisse kümmern, sondern vielmehr die Aufmerksamkeit auf die Wiederkunft Jesu Christi richten." Er sagt aber auch, wodurch es zu dieser Einheit kommt: "Die wahnsinnigen Verfolgungen, die kommen, werden diese Christen immer enger zusammentreiben und immer näher zu Jesus Christus führen." Und da wir eben auch noch auf die Verfolgungen warten müssen, so wohl auch noch auf die Einheit.

Aber die Verfolgung kommt! "Katholische Charismatiker ... gehen einer Stunde der bittersten Verfolgung entgegen." (S.99)

Und auch die Evangelikalen müssen sich auf einiges gefaßt machen. "Zur Zeit gibt es enorme Freiheit für die Verkündigung des wahren Evangeliums in Rundfunk und Fernsehen." (S.101) Das war 1974. Aber nicht mehr lange! Denn "eine Strömung der Veränderung liegt in der Luft." (S.102) "Die Türen, die jetzt noch weit offen sind, werden sich langsam, aber sicher, schließen."

Die Verfolgung wird verschiedene Formen annehmen. Eine Form ist die Besteuerung der Kirchen: "Es wird die Zeit kommen, wo man versucht, die Kirchen und mit ihnen verwandte Organisationen zu besteuern. ... Es wird sich zunächst nur um eine geringfügige, ärgerliche kleine Abgabe handeln, doch bald wird daraus eine riesige Steuer werden, die manche unabhängige Kirchen und Missionsgesellschaften an den Rand des Bankrotts bringt." (S.105)

Im folgenden finden wir wieder eine Zeitangabe, nämlich "während". Zwei Ereignisse sollen also gleichzeitig stattfinden: "Während durch die freien Nationen eine Welle echter Verfolgungen geht, werden die Länder hinter dem Eisernen Vorhang und hinter dem Bambusvorhang eine kurze Zeit der geistlichen Erweckung erleben. Die, welche unter großen religiösen Verfolgungen leben mußten, werden sich einer beschränkten Periode religiöser Freiheit erfreuen. Gottes Heiliger Geist wird den Eisernen Vorhang und den Bambusvorhang durchbrechen und in Rußland, China und Osteuropa hungrige Herzen suchen und finden." (S.111)

Nun ist aber das zweite - die Öffnung in Rußland und Osteuropa - bereits eingetreten, während das erste weiterhin aussteht. Daß es gleichzeitig hätte geschehen sollen, sagt Wilkerson ausdrücklich: "Ironischerweise werden sich die Türen hinter dem Eisernen Vorhang und dem Bambusvorhang zu der Zeit öffnen, wenn sich die Tore auf dieser Seite zu schließen beginnen." (S.112)

Wilkerson weiß auch, wie das Evangelium nach China bzw. nach Rußland kommen wird: "Japanische und koreanische Christen werden von Gott gebraucht, um dann das Evangelium zu Tausenden in China zu bringen." Das ist so noch nicht geschehen, und wird vermutlich auch nicht geschehen, da es in China prozentual wesentlich mehr Christen gibt als in Japan. (Die große Zahl der Christen in China war zur Zeit von Wilkersons Vision noch nicht bekannt.) Die japanischen Christen können also durchaus daheim bleiben und ihre eigenen Landsleute evangelisieren.

"Der Weg nach Rußland wird sich durch Finnland öffnen." Ich würde eher sagen: "durch Gorbatschow". Wilkerson stellt sich diese Öffnung als Resultat einer Erweckung in Finnland vor, die sich nach Rußland hinein ausdehnen sollte.


h) 'Jesus warnt ausdrücklich vor falschen Prophezeiungen'


Wilkerson selbst stellt fest: "Gott wird mein Richter sein" (S.6). Und er ist sich des Risikos des falsch Vorhersagens durchaus bewußt, sagt er doch selbst in seinem Buch Es begann mit Kreuz und Messerhelden: "Auch in vergangenen Zeiten haben schon viele angenommen, daß das Ende nahe sei. Wieso können wir überzeugt sein, daß wir heute richtig sind, wo jene irrten?" (S.160) Er sieht also durchaus, daß in der Vergangenheit "schon viele irrten". Warum möchte Wilkerson dennoch riskieren, sich in deren Reihe einzuordnen? "In der Vergangenheit trafen manchmal einige dieser Zeichen zusammen, aber niemals alle." Also: Heute liegen alle Zeichen vor, von denen Jesus sprach, daher muß es gleich kommen. "Ist es nicht wirklich sehr, sehr wahrscheinlich, daß das Ende ganz nahe ist und nur noch wenig Zeit, bis die große Trennung stattfindet, ...?" (S.161) Also: "ganz nahe", "nur noch wenig Zeit". Der Leser kann sich darauf einstellen, daß es jetzt gleich kommt. Schwierig kann es werden, wenn diese "Demnächsterwartung" über Jahrzehnte hinweg aufrechterhalten werden muß. Irgendwann sollte dann doch jeder daraufkommen, daß seine Erwartung für „die nächsten Jahre“ falsch war. Und Wilkersons Buch Es begann ... erschien im Amerikanischen 1974 (dt. 1975).

Im selben Buch präsentiert Wilkerson sogar die Festlegung eines Christen, daß es bis zur Wiederkunft Jesu keine 15 Jahre mehr dauern werde. Anstatt eine solche Festlegung aber zu kritisieren, erwähnt Wilkerson diese Haltung durchaus positiv. Und zwar erlebte er "kürzlich" (also 1974 oder etwas früher) ein Interview, wo ein Reporter eine Gruppe von jungen Christen fragte: "Was wird in fünfzehn Jahren, von jetzt an gerechnet, sein, wenn ihr etwas älter geworden seid und dann die Verantwortung für alle Angelegenheiten übernehmen müßt?" Deren Antwort? "das ist keine echte Frage für uns. Wir glauben nämlich nicht, daß wir in fünfzehn Jahren noch hier sein werden." Begründung? "Wir leben in der Endzeit." (S.165)

Wilkersons Kommentar dazu? Warnt er vor einer solchen Festlegung? Erinnert er daran, daß niemand Tag oder Stunde weiß? Im Gegenteil: "Das war die Botschaft, die ich von jetzt an den jungen Leuten brachte, die sich Sorgen über ihre Zukunft machten."

Als ich in den 70er Jahren diese Seite las, hatte ich starke Bedenken dagegen, daß Wilkerson das so unkritisch präsentiert. Zwar konnte ich natürlich nicht ausschließen, daß Jesus tatsächlich in den nächsten Jahren kommen werde, aber einen solchen zeitlichen Rahmen dürfen wir doch nicht angeben? Mittlerweile sind die 15 Jahre vergangen, und nicht nur die jungen Leute sollten ihre Festlegung überdenken, sondern auch Wilkerson seine Einstellung dazu.

Dabei weiß Wilkerson sehr gut um die Gefahren, sagt er doch selbst: "Leider werden viele Christen von menschlichen Prophezeiungen, Briefen und Warnungen betrogen, die das Gericht für bestimmte Tage und Zeiten ankündigen. Sei vorsichtig und prüfe die Geister. Jesus warnt ausdrücklich vor falschen Prophezeiungen." Dieser Warnung möchte ich mich anschließen. So zu lesen übrigens in seinem Buch Wetterleuchten des Gerichts (1978, S.124), mit den Untertiteln Eine Botschaft von Prüfung und Triumph. Die Konsequenz aus dem Buch 'Die Vision'. Interessante Untertitel! Die Konsequenz aus seiner Vision? Diese hätte doch folgendermaßen auszusehen: Eine klare Abwendung von derartigen Festlegungen. Hat Wilkerson also erkannt, daß diese Vision nicht von Gott war? Mit Bedauern müssen wir feststellen, daß von einer klaren Abwendung jede Spur fehlt. Zwar sagt Wilkerson: "Ich bin kein Prophet und weigere mich, mich so nennen zu lassen. Aber ich bin ein Wächter." (S.7) Ich frage mich nur, warum Wilkerson dann prophezeit hat - und zwar ausgiebig! -, wenn er sich selbst nicht als Prophet sieht. Bist du ein Wächter? Dann führe deinen Dienst aus, aber mache keine Vorhersagen!


i) Wilkersons Worte = Gottes Worte?


Ein wichtiger Gesichtspunkt bei der Beurteilung ist die Sicherheit, mit der die Voraussagen verkündet werden. Jemand, der von bloßen Möglichkeiten spricht, ist anders zu beurteilen als jemand, der Sicheres behauptet: "Ich weiß sicher, daß dies die Wahrheit ist." (Vision 52). So sagt Wilkerson über seine Vision von 1973: "Bis tief in mein Herz hinein bin ich davon überzeugt, daß diese Vision von Gott ist, daß sie wahr ist, und daß sie in Erfüllung gehen wird." (S.16) Solche Worte drücken Sicherheit aus, nicht bloß eine Möglichkeit.

Und auch in seinem Buch Wetterleuchten tritt Wilkerson mit enormem Anspruch auf: "Ich weiß nur, daß Gott mich dafür verantwortlich macht, die Botschaft zu verkündigen, die Er mir gab. ... Ich gebe diese Botschaft mit innerem Frieden und Freude weiter, die nur Gott geben kann, ..." (S.6) Die Botschaft ist also von Gott, daher die logische Konsequenz für den Leser, daß er sie ernst zu nehmen hat, und zwar Wort für Wort: "Ich möchte, daß alle Christen dieses Buch erst beiseite legen, wenn sie den gesamten Inhalt aufgenommen haben ... Ich möchte, daß jeder, der noch nicht bereit ist Gott zu begegnen, dieses Buch mit ehrerbietiger Furcht liest; ... Bitte, lege dieses Buch nicht beiseite, ehe du nicht jedes Wort gelesen hast. Dein Leben mag davon abhängen." (S.8f)

Das Buch Lass die Posaune erschallen bringt ganz am Beginn das Selbstverständnis Wilkersons: "Ich kann mit Amos sagen: 'Ich war kein Prophet ... sondern ich war ein Hirte. Aber der Herr holte mich hinter der Herde weg, und der Herr sprach zu mir: Geh hin, weissage meinem Volk!' (Amos 7,14.15)" (S.4). Wilkerson handelt demnach im klaren Auftrag Gottes. Und im Vorwort zur deutschen Ausgabe hofft Bernd Ewert: "Möge die Gemeinde Jesu diesen von Gott gesandten 'Posaunenton' ... als endgültige Warnung und ultimativen Hinweis Gottes annehmen." (S.7)


j) Gott wird richten, aber wir wissen nicht, wann


Wilkerson beruft sich im Wetterleuchten darauf, daß sich der Inhalt aus der Bibel selbst ergibt (S.7). "Die Botschaft, die ich dir in diesem Buch sagen möchte, wird auch von vielen anderen verkündigt: Das Gericht kommt! Es ist eine Botschaft, die völlig durch die Voraussagen Jesu Christi selbst gedeckt ist. Ich empfing diese Botschaft in meinem Gebetskämmerlein; ..." (S.14) Nun präsentiert Wilkerson in diesem Buch tatsächlich viele Bibelabschnitte. Er möchte zeigen, wie Gott auf Sünde mit Gericht reagiert, und schließt aus einer Betrachtung der gegenwärtigen Weltsituation, daß diese Welt gerichtsreif ist. Soweit kann man ihm durchaus folgen. Aber können wir definitiv behaupten, daß dieses Gericht in den nächsten Jahren kommen wird? Oder könnte es sein, daß Gott noch einige Jahrzehnte zuwartet? Hier ist die Stelle, wo Wilkerson zu weit geht. Somit ist es nicht richtig, wenn er behauptet, daß seine Botschaft "völlig durch die Voraussagen Jesu Christi selbst gedeckt ist". Seine zeitlichen Festlegungen sind biblisch keineswegs gedeckt.

Wilkerson berichtet: "Ich habe die Arbeit an diesem Buch im April 1976 beendigt, dem Jubiläumsjahr der USA. Während ich Gericht predige, sagen die falschen Propheten aus Regierung und Wirtschaft 'gute Zeichen' voraus. Ich zitiere ... 'Wirtschaftsexperten reden von einer langen Periode guter Entwicklung. ... Der Aufwärtstrend wird anhalten, vielleicht sogar für viele Jahre. ...'" (S.77) Dem stellt nun Wilkerson ein Gerichtswort aus Jeremia 23 entgegen und verurteilt die Wirtschaftsexperten: "Diese Art falsche Prophetie bringt die Menschen dazu, weiterhin sorglos den Weg zur Hölle zu gehen. Diese glattzüngigen Propheten des Wohlstandes machen die Predigt vom Gericht lächerlich." (S.78) Ich fürchte, Wilkerson ist es, der "die Predigt vom Gericht lächerlich" macht. Denn was ist die Folge, wenn Leute wie Wilkerson auftreten und sagen: 'Jetzt gleich kommt es', es kommt dann aber nicht?

Man beachte, daß die von Wilkerson zitierten Wirtschaftsexperten keine Prognose für viele Jahrzehnte gemacht haben - so etwas wäre aufgrund der vielen Unsicherheitsfaktoren des Wirtschaftslebens sowieso unmöglich. Sie haben lediglich prognostiziert, daß die wirtschaftliche Entwicklung der nächsten Jahre gut sein wird, "vielleicht sogar für viele Jahre". In diesem Sinne haben sie durchaus recht behalten, denn seither sind bald zwei Jahrzehnte vergangen, und die wirtschaftliche Entwicklung war, insgesamt gesehen, für die USA tatsächlich gut. Wenn Wilkerson solche in ihrer Prognose erfolgreichen Experten als "falsche Propheten" bezeichnet, so wirft das in mehrfacher Hinsicht ein schiefes Licht auf ihn selbst.

Wenn ein Mensch sorglos dahinlebt, ohne nach Gott zu fragen, so ist es durchaus unsere Aufgabe, ihm den Ernst von Gottes Gericht vor Augen zu stellen (wobei wir sicherlich nicht vergessen werden, auch von Gottes Liebe zu reden). Doch ich kann nicht sagen, ob diesen Menschen schon in den nächsten Jahren und schon hier auf der Erde ein göttliches Gericht treffen wird. Ich weiß es nicht, und kann es ihm daher auch nicht ankündigen. Und wenn ich in der Bibel von vielen Fällen lese, wo Gott tatsächlich bereits in der diesseitigen, irdischen Welt gerichtet hat, kann ich diese Beobachtung doch nicht so verallgemeinern, daß ich mich darauf festlege, daß das Gericht hier und jetzt kommen wird. Da ist der Punkt, wo Wilkerson zu weit geht. Bis zu diesem Punkt ist seine Botschaft wertvoll und herausfordernd, und so ist es durchaus denkbar, daß - wie der Leuchter-Verlag (im Vorwort zu Wetterleuchten S.4) behauptet - viele Menschen dadurch gesegnet wurden. Dieser Segen beruht nicht auf Wilkersons falschen konkreten Vorhersagen, sondern darauf, daß Wilkerson herauszustreichen versucht, wie radikal Gott Sünde verurteilt. An diese radikale Verurteilung müssen wir sicherlich immer wieder neu erinnert werden.


k) Großer Absatz, kleine Hilfe


Meine primäre Frage bei dieser Untersuchung ist: War das Buch Die Vision so, wie es sich präsentierte, für die Leser zur Zeit des Erscheinens eine Hilfe? Daß sich die Leser sofort auf dieses Buch gestürzt haben, wird schon daran erkennbar, daß die erste Auflage mit 5000 Exemplaren sofort vergriffen war, und im Monat danach eine zweite Auflage (mit 8000 Exemplaren) gedruckt wurde. (Die Nachfrage hält an: im März 1991 erschien die 13. Auflage.)

Meine Frage muß folgendermaßen beantwortet werden: Insgesamt gesehen, bot das Buch kaum eine Hilfe. Denn es führte den Leser dazu, für die nächsten Jahre eine Reihe von Ereignissen zu erwarten, die dann nicht eingetreten sind. Selbst wenn diese Ereignisse Jahrzehnte später doch noch eintreffen sollten - für die damaligen Leser führte das Buch eher zu falschen Erwartungen. Denn die Vorhersagen in dem Buch werden doch so präsentiert, daß der Leser an die nächsten Jahre, wenn nicht gar an die nächsten Monate denken mußte. Der Schaden eines solchen Buches ist nicht zu übersehen: Die Leser stellen sich darauf ein, daß in der nächsten Zeit Ereignisse stattfinden, zu denen es dann nicht kommt. Durch die Ankündigung von Gericht bzw. Jesu Wiederkunft in der allernächsten Zeit unter Berufung auf Gott kommt auch der christliche Glaube in Verruf.


l) Wilkerson - ein unbelehrbarer Prophet?


Anstatt nach den vergangenen Mißerfolgen zurückhaltender zu werden, macht Wilkerson weiter mit Vorhersagen: 1987 kam Wilkersons Buch Lass die Posaune erschallen heraus. Darin kündet er eine Katastrophe über die Bewohner der USA an, weil diese trotz massiver Präsenz des Evangeliums im Lande doch so schwer sündigen: "Amerika wird durch Feuer vernichtet werden! Ganz plötzlich wird es geschehen, und nur wenige werden entrinnen. Völlig unerwartet wird eine nukleare Katastrophe über diese Nation hereinbrechen, und innerhalb von nur einer Stunde wird Amerika ausgelöscht sein." (S.9)

Nun steht auf einmal eine nukleare Katastrophe bevor, die nur wenige Menschen überleben werden? Dabei warten wir doch noch immer auf das in der Vision angekündigte Erdbeben. Auch im Wetterleuchten hieß es noch: "Ich glaube, Gott wird unsere Nation besonders mit drei Instrumenten des Verderbens richten: mit Erdbeben, Dürre und finanziellem Zusammenbruch." (Am Beginn von Kap.5 mit dem Titel "Amerikas Strafe", S.63) Diese drei dramatischen Instrumente stehen noch aus, nun kündet Wilkerson ein ganz neues an?

Nach einem kleinen Erdbeben brachte eine Tageszeitung Erdbebenwitze. Wilkerson über das kommende, alles bisher Dagewesene weit übertreffende große Erdbeben in den USA: "Bald wird ein Tag kommen, da wird es mit solchen Witzen vorbei sein. ... Viele werden überleben. Unter den Überlebenden werden auch die sein, die sich vor Gott gedemütigt hatten ..." (Wetterleuchten 67)

Hier wird besonders deutlich, daß mit der nuklearen Katastrophe in der Posaune etwas völlig Neues gemeint ist, denn dieser werden dann ja nur wenige entrinnen, während das Erdbeben viele überleben.

(Eine nähere Beurteilung von Wilkersons Posaune spare ich mir auf, bis genügend Zeit vergangen ist, um die Treffsicherheit dieses Buches beurteilen zu können.)

Eine Gefahr für Männer in der Position Wilkersons liegt sicher in dem zustimmenden Verhalten ihrer Umgebung. Als eine solche Zustimmung kann gewertet werden, daß die Verlage seine Bücher weiterhin auflegen. Dann gibt es Christen, die allen Ernstes die Ansicht äußern, Wilkersons Vorhersagen seien eingetroffen. So lautet etwa das Urteil von Bernd Ewert, der in bezug auf Die Vision und auf Wetterleuchten des Gerichts im Jahr 1987 schrieb: "Viele darin enthaltene Voraussagen haben sich schon erfüllt oder sind im Begriff, es zu tun." (im Vorwort zur deutschen Ausgabe von Wilkersons Buch Lass die Posaune erschallen, S.7). Ewert verzichtet darauf, konkrete Beispiele solcher erfüllter Voraussagen anzugeben. (Es wäre ihm auch nicht leicht gefallen, solche zu finden!)

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