Re: Umfragen. Übereinstimmung mit eigener Ansicht.
Geschrieben von Johannes am 25. Juni 2003 16:15:06:
Als Antwort auf: Umfragen. Übereinstimmung mit eigener Ansicht. geschrieben von Guerrero am 25. Juni 2003 14:15:42:
> waren mehr als 70% der Meinung,
> aus eigenem Vorteilsdenken.
> Ca. 40% waren für einen Stationierung bis zu einer provisorischen Irakischen
> Regierung und ca. 50% bis zu einer festen Regierung.
> Danach sollen die Besatzer das Land verlassen.
Hallo Guerrero,
also, anders ausgedrückt: Sie kamen nicht, um uns zu helfen, sagen die befragten Irakis, sondern aus egoistischen Motiven. Jetzt aber, wo sie die Sicherheitsstrukturen zerstört haben, sollen sie bleiben, bis zumindest wieder eine provisorische irakische Regierung errichtet werden konnte.
Das ist doch die sachliche Aussage, oder? Und somit schon etwas anderes, als daß die Mehrheit der Irakis froh wäre, daß ihr Land angegriffen und besetzt wurde.
> Die Iraker wissen genau was passiert wenn jetzt die USA- und Britischen
> Soldaten abziehen.
> Ein offener Kampf um die Macht würde ausbrechen.Ja, nachdem die Sicherheitsstrukturen zerstört wurden, würde ein Gemetzel ausbrechen, das stimmt.
> Die Saddammafia, die als Volksparasiten ein gutes Leben führten
> und die ratikalen Islamisten würden versuchen die Macht zu erringen.Hier gebe ich Dir recht, und es wird durchaus einige Irakis geben, die daher den Einmarsch positiv sehen.
Ja, und natürlich hast Du recht, daß sich der Verdienst in den Händen von wenigen Leuten konzentriert hat, es gab Miß- und Vetternwirtschaft, wenige wurden auf Kosten vieler reich.
Nur, ist das in anderen Ländern wirklich so völlig anders?
Das ist mein Grund für die Antwort, nicht das Bezweifeln Deiner Argumente.
Stell Dir, um die Sache praktisch zu sehen, doch mal vor, der Irak hätte in Koalition mit den arabischen Staaten die USA erst belagert und dann angegriffen und besetzt. Wie würden wohl heute die Berichte in der arabischen Presse lauten? Da gäbe es doch bestimmt die folgenden Berichte:
- Die Herrscher-Clique hat sich abgesetzt, aber wir fahnden weiter, Top 8 auf der Liste konnte heute gefaßt werden
- Es wurden geheime Biowaffenlabore entdeckt mit waffenfähigen Milzbrandsporen. Wir sind uns sicher, daß auch an Pocken und Pest geforscht wurde, die Labore werden derzeit noch gesucht.
- Weitere Hinweise zu den Biowaffenforschungen, wegen denen wir die USA angreifen mußten, kamen von gefangen genommenen Wissenschaftlern, die gerade verhört werden.
- Es konnten über 1.000 Gefangebne befreit werden, die entgegen aller Menschenrechtskonventionen teilweise schon über ein Jahr ohne Prozeß und ohne Kontakt zur Außenwelt dahinvegetieren mußten (Fakt: Es sind derzeit mindestens 1.200 Gefangene, die entgegen der üblichen US-Gesetze behandelt werden, sondern nur auf Grund einer Art Kriegsrecht, ohne daß die Vorwürfe überprüft werden könnten).
- Es gab spontane Unterstützungsdemos für unsere Befreiungsaktion und Umfragen zufolge ist die Bevölkerung froh, daß die Herrscher-Clique der USA nicht mehr die Möglichkeit hat, Milzbrand einzusetzen und an Pocken etc. zu forschen.
- Besonders dramatisch ist das Ausmaß, mit dem sich kleine Herrscher-Clique auf Kosten der armen Masse bereichert hat. Einige wenige hielten auf Grund eines Systems, Aktien genannt, schließlich über 2/3 des Volksvermögens in ihrer Hand bzw. die praktische Verfügungsgewalt darüber, während Familienväter oft 3 Jobs annehmen mußten, um ihre Familie irgendwo über Wasser halten zu können.
- Ein Programm zur Versorgung dieser verarmten Teile der Bevölkerung wird gerade mit Unterstützung der Vereinten Nationen begonnen. Die Bevölkerung ist froh, daß ihr nun endlich geholfen wird.
Alles Unsinn?
Natürlich, die Zahlen sind schon unterschiedlich. Im Irak gibt es wohl prozentual mehr Häftlinge und auch das Verhältnis arm/reich dürfte dort extremer sein. Aber im Grundsatz sind es eigentlich die selben Argumente, die heute gebracht würden, wenn, ja wenn der Irak die USA angegriffen und gewonnen hätte und nicht umgekehrt.
Politische Gefangene: Doch nur im Irak, nicht bei uns. Hier weiß man, daß es verboten ist, NS-Vebrechen zu verharmlosen oder zu leugnen, während man das bei kommunistischen Verbrechen durchaus darf. Wer dagegen verstößt, obwohl die Gesetze politisch einseitig sind, gilt natürlich als normaler Verbrecher, nicht als politischer. Wir wissen, daß dies und jenes nicht sinnvoll ist zu tun und wir haben akzeptiert, daß es die "oberen Zehntausend" gibt und wir uns besser um das kümmern, was in unserem Bereich liegt, als andere zu stören. Und so haben wir (meist) Ruhe, Frieden und Freiheit und freuen uns daran.
Aber, ist das im Irak wirklich anders gewesen? Sicher, bei zuviel Einmischung in die Politik wurde es schwierig, aber als Gemüsehändler, KFZ-Mechaniker, Krankenschwester oder Verkäufer sein Geld zu verdienen und seine (im Rahmen des üblichen, gewohnte) Freiheit und Erfolg zu haben, das war genauso möglich.
Und so denke ich, gab es zwar einen quantitativen Unterschied, aber nicht so sehr einen wirklich qualitativen Unterschied, auch wenn Dein Blutdruck jetzt massiv steigen sollte. ;-) Aber versetze Dich doch mal in das jeweilige System und die Kultur hinein: Bleiben dem Einzelnen, der nicht gerade der Herrschaft der Regierung gefährdet, nicht in beiden Systemen seine Entwicklungsmöglichkeiten? Sind nicht sogar beide Systeme daran interessiert, daß die "kleinen Leute" (die Mehrheit der Bevölkerung) Ihr Auskommen haben und weitgehend zufrieden sind?
Der wirkliche Unterschied scheint mir doch der Blickwinkel zu sein. Wenn man es aus der Seite des US-Siegers betrachtet, dann war es eine Befreiung des irakischen Volkes. Hätten der Irak die USA besetzt, dann würde jetzt Bush als die Nummer 1 gejagt und erklärt, warum der Krieg wichtig war, um den Weltfrieden zu sichern.
Aber was ist dies im Endeffekt? Doch mehr oder weniger nur der Blickwinkel des Siegers.
Was ich vermisse, sofern es überhaupt in das Forum gehört, das wäre z.B. die Frage, welche echten Argumente es geben könnte. "Echte" Argumente in dem Sinn, daß es nicht nur Argumente sind, die aus der Position des Siegers heraus stammen und im umgekehrten Fall (z.B. Sieg Iraks) genauso gebracht werden könnten.
Denn sind es wirklich diese edlen Argumenten wie das, nur dem geknechteten irakischen Volk helfen zu wollen, das nun seine Dankbarkeit für die Befreiung zeigt?
Oder geht es nicht vielmehr nur um Macht?
Dann sollte man das aber auch beim Namen nennen. Daß es um Macht und Vormachtstellung der USA geht und z.B. (durchaus realistisch) um einen Kampf zwischen Rußland und den USA, in dem die USA versuchen, ein paar Punkte zu gewinnen. Und dabei vielleicht doch mit dem ganzen Westen in eine Falle gelockt werden? Aber die (meiner Ansicht nach) Schein-Argumente vom "Wahren, Schönen, Guten", das man erreichen wollte, der Kampf für die Menschlichkeit, Befreiung etc., das sollte man doch eher außen vor lassen, weil es nicht den Kern der Sache trifft.
P.S.: Besonders stört mich (nicht von Dir), welche erfundenen Berichte unsere Medien kritiklos übernehmen, die zwar nicht real sind, aber dennoch eine bestimmte Stimmung erzeugen sollen.
Beispiel 1): 2.000 Barren Gold à 18 kg in einem Klein-LKW beschlagnahmt. Der ausgerechnete Wert des Goldes stimmte zwar noch, aber daß der Klein-LKW mit gebrochener Achse nicht weit käme, interessierte die Journalisten kaum.
Beispiel 2): Saddam-Sohn kam mit einem Brief mit der Unterschrift seines Vaters, daraufhin wurden ihm von der Zentralbank 1 Milliarde US-Dollar ausgehändigt, mit denen er innerhalb weniger Stunden wegfuhr. Sicher, wir wissen jetzt, daß der Terrorismus unheimlich viel Geld hat und ihm nun mehr zuzutrauen ist, als man sich überhaupt vorsellen kann. Aber, es geht doch nicht um die Zentralbank von Klein-Timbuktu, sondern um das Gegenstück zur Bundesbank in einem Land, das auch als Wiege der Kultur gilt.
Daher sorry, aber ich glaube diesen Bericht hinten und vorne nicht. Die dortige Bundesbank wird genauso Sicherheitssysteme haben wie unsere Banken, so daß alleine schon durch Zeitschlösser keine Möglichkeit besteht, daß jemand mit Pistole und einem Zettel "Geld her" Unsummen an Geld bekommen an. 100.000 Dollar, okay. Vielleicht auch eine Million. Aber mit einem Brief des Vaters kommen und in wenigen Stunden 1.000.000.000 Dollar auf LKWs aufladen lassen, das hat nur die Bedeutung für uns, daß wir Saddam & Co in Zukunft alles zutrauen sollen. Real ist dieser Bericht nicht, wurde aber dennoch kritiklos in den Medien verbreitet.
Gruß
Johannes
- Wunschdenken. Guerrero 25.6.2003 17:00 (0)