Dürer Apokalypse (Holzschnitte 1498)mit Anm. aus: Weltkaiser der Endzeit
Geschrieben von Fred Feuerstein am 15. Juni 2003 13:05:30:
Hallo zusammen,
In meinem neuesten Wälzer: Hannes Möhring, Der Weltkaiser der Endzeit, Jan Thorbecke Verlag, 2000 fand ich die komplette Sammlung der Holzschnitte von Albrecht Dürer (z.B. am bekanntesten: die apokalyptischen Reiter (->die dritte figura)), in der Dürer versuchte die Johannes-Apokalypse bildlich darzustellen.
Die Anmerkungen, Erklärungen von Hannes Möhring sind dabei sehr hilfreich.
Ich finde insgesamt sehr interessant, da man ja sagt, Bilder sagen menr als tausend Worte:
Albrecht Dürer:
Apokalipsis cum figuris
1496-1498Trotz der großen Verbreitung der Endkaiser-Weissagung gibt es zu ihr keine zeit-genössischen Illustrationen, die Erwähnung verdienten. Der Wucht und Phantastik im christlichen Mittelalter herrschender Endzeit-Vorstellungen auch bildlichen Ausdruck zu verleihen, sind die 1498 an der Wende zur Neuzeit, auf einem Höhe-punkt endzeitlicher Erwartung, von Albrecht Dürer geschaffenen Holzschnitte zur Offenbarung des Johannes besonders geeignet, zumal diese einzige Prophetie des Neuen Testaments die Popularität der Endkaiser-Weissagung sogar noch übertraf und die endzeitlichen Motive in der Kunst des christlichen Abendlandes prägte. In Dürers Holzschnitten finden sich die künstlerischen Ausdrucksmittel des Mittel-alters mit Formen verschmolzen, die schon dem Geist einer neuen Zeit Rechnung tragen. - Die hier gegebenen Erläuterungen folgen trotz einiger Abweichungen weitgehend den Ausführungen von SCHILLER, Ikonographie, Bd. 5, Textteil, S.329-343.
Die erste figura (Off. Joh. 1,10-20)
Die Siebenzahl beherrscht die Offenbarung des Johannes. So heißt es an deren An-fang (1,10-20): »Am Tag des Herrn wurde ich vom Geist ergriffen und hörte hinter mir eine Stimme, laut wie eine Posaune. Sie sprach: Schreib das, was du siehst, in ein Buch, und schick es an die sieben Gemeinden: nach Ephesus, nach Smyrna, nach Pergamon, nach Thyatira, nach Sardes, nach Philadelphia und nach Laodizea. Da wandte ich mich um, weil ich sehen wollte, wer zu mir sprach. Als ich mich um-wandte, sah ich sieben goldene Leuchter und mitten unter den Leuchtern einen, der wie ein Mensch aussah; er war bekleidet mit einem Gewand, das bis auf die Füße reichte, und um die Brust trug er einen Gürtel aus Gold. Sein Haupt und seine Haa-re waren weiß wie weiße Wolle, leuchtend weiß wie Schnee, und seine Augen wie Feuerflammen; seine Beine glänzten wie Golderz, das im Schmelzofen glüht, und seine Stimme war wie das Rauschen von Wassermassen. In seiner Rechten hielt er sieben Sterne, und aus seinem Mund kam ein scharfes, zweischneidiges Schwert, und sein Gesicht leuchtete wie die machtvoll strahlende Sonne. Als ich ihn sah, fiel ich wie tot vor seinen Füßen nieder. Er aber legte seine rechte Hand auf mich und sagte: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, doch nun lebe ich in alle Ewigkeit, und ich habe die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt. Schreib auf, was du gesehen hast: was ist und was danach geschehen wird. Der geheimnisvolle Sinn der sieben Sterne, die du auf meiner rechten Hand gesehen hast, und der sieben goldenen Leuchter ist: Die sieben Sterne sind die Engel der sieben Gemeinden, und die sieben Leuchter sind die sieben Gemeinden.«
Die für Dürer charakteristisch erhabene Gottesgestalt und der Leitgedanke des Gerichts sind bereits in diesem ersten der 14 Holzschnitte erkennbar. Der Men-schensohn sitzt auf einem doppelten Bogenthron. Dieser ist ebenso wie das die Na-men der Rechtgläubigen enthaltende Buch des Lebens (3,5), das der Thronende mit der linken Hand hält, und das darüber von seinem Mund diagonal nach unten wei-sende Schwert als Zeichen des Richters zu verstehen. Traditionelle, den Menschen-sohn deutende Chiffren des Textes sind gegenüber früheren Darstellungen im Aus-druck deutlich gesteigert: Die Hoheitsgebärde seiner ausgestreckten rechten Hand mit den sieben Sternen, die von seinen Augen ausgehenden Flammen und die um ihn herum angeordneten mächtigen Leuchter mit den brennenden Kerzen.
Die zweite figura (Off. Joh. 4,1-11; 5)
Dürer verbindet den Text des vierten und fünften Kapitels in einem Bild der großen Anbetung, in das die Übergabe des Buches mit den sieben Siegeln an das Lamm ein-bezogen ist.
Die beiden schweren hölzernen Flügel des steinernen Himmelstores sind weit geöffnet. In ferner Höhe thront Gott, umgeben von einem Regenbogen »wie ein Smaragd« (4,3). Über dem Thron brennen sieben Fackeln als die »sieben Geister Gottes« (4,5) und weiter unten umschweben ihn »vier Lebewesen voller Augen« (4,6) und mit jeweils sechs Flügeln (4,8) - einem Löwen, Stier, Mensch und Adler gleichend (4,7). In der Form einer Mandoria drängen sich um den Thron die 24 Älte-sten in weißen Gewändern (4,4). Sie haben sich von ihren hölzernen Kirchenstühlen erhoben und spielen Harfe (5,8) oder bringen huldigend ihre unterschiedlich geformten Kronen beziehungsweise goldenen Kränze (4,4) dar.
Auf seinem rechten Knie hält Gott das Symbol der kommenden Ereignisse, ein aufgeschlagenes Buch mit sieben Siegeln. Neben Gott steht auf den Hinterbeinen ein darin lesendes Lamm mit sieben Hörnern und sieben Augen, die für die sieben Geister Gottes stehen, »die über die ganze Erde ausgesandt sind« (5,6). Über dem auf einer Wolke knienden Johannes fliegt ein Engel, der auf das Buch weist und mit lauter Stimme ruft: »Wer ist würdig, die Buchrolle zu öffnen und ihre Siegel zu lösen?« (5,2). Einer der 24 Ältesten hat sich von Gott weg- und Johannes zugewandt, um ihn zu trösten: »Weine nicht! Gesiegt hat der Löwe aus dem Stamm Juda, der Sproß aus der Wurzel Davids; er kann das Buch und seine sieben Siegel öffnen« (5,5).
Hohe Flammen, die um die 24 Ältesten herum aus dem Himmelstor und den Wolken herausschlagen, und Donnerstimmen, die wie traditionell die vier Haupt-winde als blasende Köpfe (oben sechs und unten zwei) dargestellt sind, verheißen nichts Gutes. Die Wolken haben sich tief herabgesenkt, doch die friedliche Land-schaft darunter ahnt noch nicht, was mit der Öffnung der sieben Siegel bevorsteht.Die dritte figura (Off. Joh. 6,1-8)
Im Gegensatz zur Offenbarung des Johannes erscheinen die vier apokalyptischen Reiter bei Dürer nach dem Vorbild der Koberger-Bibel nicht nacheinander, sondern gleichzeitig. Im Galoppsprung brechen sie mit wilder Entschlossenheit in diagona-ler Linie hervor und jagen über die zu Boden geworfene, ihre Machtlosigkeit erken-nende Menschheit hinweg. Ein über ihnen schwebender Engel gibt ihnen als Zei-chen des göttlichen Willens das Geleit. Mit den von links oben herabfallenden Strah-len möchte Dürer wohl die Donnerstimmen jener vier Lebewesen sichtbar machen, durch die Gott die Reiter herbeirufen läßt.
Der Reiter auf weißem Roß, der nach der Öffnung des ersten Siegels durch das Lamm erscheint, befindet sich in Dürers Darstellung ganz rechts hinten. Zum größ-ten Teil von dem zweiten Reiter verdeckt, sind vor allem seine beiden Merkmale, der zum Schuß gespannte Bogen und die als Siegeskranz zu deutende Krone (6,2) zu erkennen.
Der zweite, auf feuerrotem Roß sitzende Reiter neben ihm soll der Erde den Frieden nehmen (6,4). Sein Kennzeichen ist ein großes Schwert. Dürer läßt es ihn voller Angriffslust mit der rechten Hand über dem Kopf schwingen.
Der dritte Reiter auf schwarzem Pferd bringt Teuerung und Hungersnot. In ganzer Gestalt dargestellt, dominiert er das Bild und erscheint so als die größte aller Plagen. Er ist besonders reich gekleidet, aber seine Augen sind tot - Zeichen wohl der Verblendung. Mit ausgestrecktem rechten Arm schwingt er eine Waage (6,5). Er ist als Vertreter des Kaufmannsstandes und Personifizierung von Wucher, Habsucht und Luxus zu betrachten.
Weit weniger kraftvoll als die drei anderen setzt das fahle Pferd des vierten Rei-ters, ein jämmerlich dürrer Klepper, über die Menschen hinweg. In diesem nur not-dürftig bekleideten, gespenstisch knochigen und fiebrig hohläugigen Reiter ohne Sattel ist unschwer der greise Tod zu erkennen. Ganz links vorne liegt unter seinem Pferd ein toter Kaiser, für den sich bereits der Schlund der Hölle geöffnet hat.
Die vierte figura (Off. Joh. 6,9-17)
Die Öffnung des fünften und sechsten Siegels durch das Lamm verbindet Dürer in seinem nächsten Bild miteinander. Dabei bezieht er in der oberen Szene der Beklei-dung der Märtyrer am Altar des Himmels (6,9-11) auch das Motiv der Auferste-hung des Leibes ein: Engel verteilen die weißen Gewänder vom Altar aus, vor die-sem aber liegen links drei (nackte) Seelen im Todesschlaf. In ihnen hat der Betrach-ter vermutlich Adam und Eva mit ihrem Sohn Abel zu sehen, obwohl die Stammeltern keine Märtyrer sind. Aber sie gehören zu den Gerechten des Alten Testaments, die auf Darstellungen des Abstiegs Christi in das Totenreich als erste von Christus herausgeführt werden. Deshalb mag Dürer sie den Märtyrern, denen Erlösung verheißen wird, zugeordnet haben. Was dagegen Abel betrifft, den sein Bruder Kain erschlug, weil Gott sein Opfer annahm, so beginnt mit ihm die Reihe der Märtyrer in der Heilsgeschichte. Freilich ist Abel nur durch die Verbindung mit Adam und Eva zu identifizieren.
Rechts neben dem Altar des Himmels werden den Märtyrern von Engeln weiße Gewänder gereicht, und rechts vor dem Altar knien diejenigen, die schon ein-gekleidet sind. Nicht der zuvor von den Seelen der Märtyrer erhobene Ruf nach Rache und Gerechtigkeit ist dargestellt, sondern die mit der Zuteilung der weißen Gewänder gegebene Zusage ihrer Aufnahme in das ewige Reich.
Durch die Öffnung des sechsten Siegels kommt es in der Offenbarung des Jo-hannes zu Ereignissen von kosmischem Ausmaß, mit denen der Tag des Gerichts anbricht (6,16-17): Ein schweres Erdbeben erschüttert die Erde, die Sonne wird schwarz und der Mond blutrot (6,12), die Sterne fallen flammend vom Himmel auf die Erde und deren Bewohner, so daß die Mächtigen und Reichen ebenso in Höhlen und Felsenklüften Schutz suchen wie ihre Untertanen und Knechte (6,14-15). In Dü-rers Darstellung ist ein Pilger auf freiem Feld von den herabfallenden Sternen über-rascht worden und versucht sich mit seinem Mantel zu schützen. Im Vordergrund hockt links eine vor Entsetzen laut schreiende Frau, die mit beiden Händen ihren kleinen Sohn festhält, während neben ihr ein Mann mit vor Schreck erhobenen Ar-men ebenso in einer sich öffnenden Erdspalte versinkt wie ein Orientale, von dem kaum mehr noch als sein Turban zu sehen ist. Auf der rechten Seite beugt sich der ins Leere starrende Kaiser schützend über seine Frau, während die Vertreter der Geistlichkeit von Ratlosigkeit und Verzweiflung befallen werden.
Die fünfte figura (Off. Joh. 7,1-8)
Die nächste Vision in der Offenbarung des Johannes unterbricht die durch das Lamm erfolgende Öffnung der sieben Siegel. Sie zeigt, daß das Unheil nur die Sün-der, nicht aber die Gläubigen trifft, und beginnt mit vier Engeln, die über die vier Winde der Erde gebieten. Diese sind von Dürer als vier in unterschiedliche Rich-tungen blasende Köpfe in den Wolken dargestellt. Zwischen ihnen erscheint am Himmel ein Engel mit dem Siegel (Kreuz) des lebendigen Gottes und ruft den vier Engeln zu, Land, Meer und Bäume so lange zu verschonen, bis den Knechten Gottes das Siegel (des Kreuzes) auf ihre Stirn gedrückt worden sei.
Der eine der beiden hinten im Bild stehenden Engel versucht den Sturm mit Schwert und Schild zu bändigen, der andere mit besänftigend erhobener Hand. Auch die beiden sehr männlichen Engel im Vordergrund begnügen sich mit be-schwörenden Gesten. Hinter den Engeln steht auf einer Bodenerhebung ein reiche Früchte tragender Baum, dem die Winde noch keinen Schaden zugefügt haben.
Auf der rechten Bildseite, etwas tiefer im Raum, knien die Auserwählten, die durch die Versiegelung vor dem Untergang bewahrt werden. Ein weiterer Engel vollzieht diesen Akt. Einen Abendmahlskelch haltend, zeichnet er den Auserwähl-ten mit dem Blute Christi das Kreuzeszeichen auf die Stirn. Der Offenbarung des Jo-hannes zufolge erhalten 144 000 Söhne Israels, 12 000 von jedem der zwölf Stämme, das Zeichen des Glaubens.
Die sechste figura (Off. Joh. 8; 9,1-12)
Auf die Öffnung des siebenten und letzten Siegels folgt im Himmel für eine halbe Stunde völlige Stille, ein Atemanhalten vor dem weiteren Vollzug des Strafgerichts. Dürer zeigt zugleich die Vorbereitungen, die Kundgebung an die Menschen und die Katastrophe.
Hoch oben, vor einer lichten Öffnung der Wolken, übergibt Gottvater die bei-den letzten von sieben Posaunen an zwei Engel, während fünf weitere bereits ihre Posaune erhalten haben und vier davon mit Macht auch schon in sie hineinblasen. Ein »anderer« Engel, der hinter den himmlischen Altar getreten ist, hält mit der rechten Hand eine Räucherampel, aus der verbrannter Weihrauch »mit den Gebeten der Heiligen« zu Gott emporsteigt (8,3-4). Derselbe Engel nimmt mit der linken Hand das Feuer vom Altar und wirft es zur Erde hinab. Dadurch werden weitere Naturkatastrophen ausgelöst, die mit den kurz nacheinander erfolgenden ersten fünf von insgesamt sieben Posaunenstößen über die Menschheit hereinbrechen. Das vom Altar hinabgeworfene Feuer flammt zwischen den beiden Engeln auf, die zwi-schen Sonne und Mond aufrecht in den tief hängenden Wolken schweben und ihre Posaunen blasen. Zwischen ihnen stößt in der Mitte des Bildes ein Adler aus den Wolken hervor und schreit: »Wehe! Wehe! Wehe den Bewohnern der Erde!« (8,13). Auf der rechten Bildseite fallen, von Heuschrecken begleitet (9,3-5), Feuer und Ha-gel aus den Wolken herab und verbrennen »ein Drittel des Landes, ein Drittel der Bäume und alles grüne Gas« (8,7). Weiter links sind Seeleute in Not und versinkt »ein Drittel der Schiffe« im Meer, während zwei aus den Wolken kommende Hände einen »brennenden Berg« (8,8) in das Wasser werfen.
In der linken Bildecke ist jener Stern zu sehen, der mit dem fünften Posaunen-stoß auf die Erde herabfällt. Wie es in der Offenbarung des Johannes heißt, wurde ihm »der Schlüssel zu dem Schacht gegeben, der in den Abgrund führt« (9,1).
Die siebente figura (Off. Joh. 9,13-21)
Dürer stellt das Strafgericht dar, dem nach des sechsten Engels Posaunenstoß ein Drittel aller Menschen zum Opfer fällt. Wie auf dem vorigen Holzschnitt erscheint Gottvater hinter dem Altar des Himmels, jedoch von einer Gloriole umgeben. Er hält in seinen Händen die Posaunen der vier Engel, die ihren Auftrag bereits erfüllt haben. Zu seiner Linken steht der sechste Engel, der nun die Posaune bläst und da-bei von einer aus den vier Ecken des Altars kommenden Stimme den Befehl erhält, die vier am Euphrat gefesselten Engel loszubinden.
Diese vollziehen in der unteren Bildhälfte mit zum Schlag erhobenen Schwer-tern, deren Schärfe bei Dürer förmlich spürbar wird, die Strafe Gottes an der sündi-gen Menschheit. Sie erscheinen als eine einzige übermenschliche Kraft, die in einer Unerbittlichkeit ohnegleichen von der Mitte nach allen Seiten hin wirkt. Zu dem Drittel der Menschen, das der Vernichtung anheimfällt, gehören wie in der vierten figura wieder die Spitzen der Gesellschaft: Papst und Kaiser liegen am Boden und erwarten den Todesstreich. Außerdem ist der Kopf eines toten Bischofs zu sehen, und mit dem spitzbärtigen Alten, der am rechten Bildrand seiner Strafe zu entkom-men sucht, ist wohl ein wucherischer Kaufmann, vielleicht ein Jude, gemeint. Ganz links im Vordergrund ist ein Ritter mit seinem Pferd gestürzt und versucht vergeb-lich, sich vor dem tödlichen Schwertstreich zu schützen. Da das Schwert in der christlichen Symbolik für das Wort des Geistes stehen kann (Eph. 6,17; Hebr. 4,12), gewinnt Dürers so realistische Darstellung die Dimension des geistigen Kampfes der für Gott Streitenden.
Über den vier Engeln und unterhalb des Altars, der von Dürer perspektivisch falsch dargestellt ist, um die Stimme aus seinen vier Ecken sichtbar zu machen, jagt zur Bestrafung der Menschen eine Schar gepanzerter Reiter zwischen den Wolken dahin. Ihre Pferde haben Schlangenschwänze und Löwenköpfe, aus deren Mäulern »Feuer, Rauch und Schwefel« schlagen (9,16-19).
Die achte figura (Off. Joh. 10,1-11)
Bevor der siebente Posaunenstoß erfolgt, ist in der Offenbarung des Johannes von der Begegnung des Sehers mit einein gewaltigen Engel die Rede. Von einer Wolke umhüllt, kommt er aus dem Himmel herab. Ein Regenbogen umgibt sein Haupt. Sein Gesicht strahlt wie die Sonne. Seine Beine sind wie Feuersäulen. Mit dem rech-ten steht er auf dem Meer und mit dem linken auf dem Land. Die Chiffren, mit de-nen die Engelerscheinung umschrieben ist, gibt Dürer in realistischen Formen wie-der, doch ist in keiner der mittelalterlichen Darstellungen der Eindruck einer Vision in einem solchen Maß erreicht wie bei ihm. Sparsame Schraffuren lassen den Körper des Engels wie in Licht verklärt erscheinen. Die Wolken verdichten sich nur an den wie Fackeln brennenden Säulenbeinen, der zum Schwur (10,5-6) erhobenen rechten und der nach unten weisenden linken Hand, die Johannes ein aufgeschlagenes Buch reicht.
Der weiter oben in den Wolken schwebende Engel fordert Johannes offenbar auf, das Buch entgegenzunehmen. Im Text (10,8-11) heißt es: »Und die Stimme aus dem Himmel, die ich gehört hatte, sprach noch einmal zu mir: Geh, nimm das Buch, das der Engel, der auf dem Meer und auf dem Land steht, aufgeschlagen in der Hand hält. Und ich ging zu dem Engel und bat ihn, mir das kleine Buch zu geben. Er sagte zu mir: Nimm und iß es! In deinem Magen wird es bitter sein, in deinem Mund aber süß wie Honig. Da nahm ich das kleine Buch aus der Hand des Engels und aß es. In meinem Mund war es süß wie Honig. Als ich es aber gegessen hatte, wurde mein Magen bitter. Und mir wurde gesagt: Du mußt noch einmal weissagen über viele Völker und Nationen mit ihren Sprachen und Königen.«
Der im Text realistisch beschriebene Vorgang ist von Dürer spirituell übersetzt:
Das von Johannes ergriffene Buch wird von Flammen des Geistes verzehrt. Das er-ste Buch, in das Johannes auf Weisung des Menschensohnes geschrieben hat, was er gesehen (1,19), liegt mit dem Schreibzeug vor ihm.
Der links oben am Bildrand zu sehende Altar kann als Hinweis auf die Gegen-wart Gottes gedeutet werden, eher aber wohl bezieht er sich auf den Anfang des elften Kapitels, in dem Johannes einen Stab erhält, um »den Tempel Gottes und den Altar« zu messen (11,1-2). Auf älteren Darstellungen empfängt Johannes Buch und Meßstab gleichzeitig.
Die neunte figura (Off. Joh. 12,1-6 und 13-18)
Auf diesem ersten Bild zum zwölften Kapitel zieht Dürer zwei Textgruppen zusam-men. Er verlegt die Erscheinung einer mit Maria zu identifizierenden schwangeren Frau und eines feuerroten, siebenköpfigen Drachen vom Himmel auf die Erde und verbindet diese erste Konfrontation der beiden (12,1-6) mit deren zweiter in der Wüste (12,13-18). Der Akzent liegt auf der Verfolgung der Frau, obwohl diese - ent-sprechend der Himmelserscheinung (12,1) - mit den Strahlen der Sonne und einer Krone von zwölf Sternen auf einer Mondsichel stehend und nicht etwa als Fliehende dargestellt ist. Aber sie hat bereits die »beiden Flügel des großen Adlers«, mit deren Hilfe sie dem Drachen entkommt (12,14).
Den die Frau verfolgenden Drachen mit seinen sieben Köpfen auf sich schlan-genartig windenden Hälsen und den zehn Hörnern, die sieben Kronen tragen (12,3), läßt Dürer aus dem Abgrund der Hölle auf die Erde emporsteigen. Sein bis zum Himmel reichender Schwanz fegt »ein Drittel der Sterne vom Himmel ... auf die Erde herab« (12,4). Um die Frau zu ersäufen, speit der Drache Fluten von Wasser aus, die ihr aber nicht gefährlich werden können, weil die Erde sie verschluckt (12,15-16).
Die Mitte des oberen Bildteils beherrscht einmal mehr die Gestalt Gottes, die sich segnend dem von zwei kindlichen Engeln auf einem Tuch zum Himmel ge-brachten Sohn der Frau zuwendet, der zu Gott entrückt wurde (12,5), weil ihn der Drache bei der Geburt verschlingen wollte (12,4).
Die zehnte figura (Off. Joh. 12,7-12)
Den Ereignissen in der Wüste geht im zwölften Kapitel der Offenbarung des Johan-nes der siegreiche Kampf des Erzengels Michael gegen den im Text auch als alte Schlange, Teufel oder Satan (12,9) bezeichneten Drachen voraus, der zum Sturz des Drachen und seiner Engel vom Himmel auf die Erde führt. Ebenso wie in der Koberger-Bibel wiederholt Dürer nicht die siebenköpfige Drachenfigur des vorigen Holzschnitts. Vielmehr löst er sie in mehrere abscheuliche geflügelte Wesen mit Tierköpfen auf und stellt dem Erzengel Michael drei Engel als Kampfgenossen an die Seite. Das Durcheinander der Kämpfenden durch seine hohe Gestalt beherr-schend, stößt Michael dem Drachen mit beiden Händen die Lanze in die Kehle und setzt seinen Fuß auf den Besiegten. Der auf den Drachen tretende Erzengel Michael mit der Lanze war im christlichen Mittelalter eine der bekanntesten Symbolgestal-ten des Sieges über das Böse.
Die elfte figura (Off. Joh. 13; 14,14-20)
Der Drache hat seine Macht dem am rechten Bildrand »aus dem Meer« steigenden Tier gegeben (13,1-4). Wie der Drache im zwölften Kapitel hat es sieben Köpfe und zehn Hörner/ aber es trägt nicht sieben, sondern zehn Kronen (13,1). Es unterschei-det sich von dem Drachen auch dadurch, daß es keine Flügel und keinen Schuppen-panzer, sondern ein zotteliges Fell hat. Einer der sieben Köpfe ist zurückgeworfen, getroffen von dem Schwert eines zwischen den Wolken hervorkommenden Engels, der außerdem ein Kreuz trägt. Der Offenbarung des Johannes zufolge wird diese »tödlich Wunde« aber geheilt (13,3 und 12), kommt das mit dem Schwert erschla-gene Tier »doch wieder zum Leben« (13,14).
Alle Menschen, »deren Name nicht seit der Erschaffung der Welt eingetragen ist ins Lebensbuch des Lammes« (13,8), fallen vor dem Tier nieder, das »Gott und seinen Namen« lästert (13,6), die Heiligen besiegt und Macht hat »über alle Stämme, Völker, Sprachen und Nationen« (13,7). Dürer zeigt eine in der Bildmitte vor dem Tier kniende Gruppe von Menschen, unter denen sich ein König, eine Königin, ein Muslim mit einem Turban und ein vornehm gekleideter Kaufmann mit einer Geldtasche am Gürtel befinden.
Von ihnen abgekehrt, kniet links eine andere Menschengruppe vor einem wei-teren Tier, das »aus der Erde« heraufsteigt. »Es hatte zwei Hörner wie ein Lamm, aber es redete wie ein Drache« (13,11). Dürer stellt es mit einem Löwenkopf und zwei mächtigen Hörnern dar. Dieses auch als »falscher Prophet« (19,20) bezeichnete Tier tut Wunderzeichen, läßt beispielsweise Feuer vom Himmel fallen. Von Dürer nicht dargestellt, fordert es die Menschen auf, ein Standbild zu Ehren des sie-benköpfigen Tieres zu errichten und es anzubeten. Wer sich weigert, dies zu tun, wird getötet (13,13-15).
Dem Herrschaftsantritt der antichristlichen Mächte auf Erden stellt Dürer die auf den Wolken thronende Gestalt Gottes gegenüber, die eine Krone auf dem Haupt trägt, mit einem edelsteinbesetzten Ornat bekleidet ist und ebenso wie der Engel in der Bildecke rechts oben eine Sichel in der rechten Hand hält. Nun, da die Zeit der Ernte gekommen, werden beide ihre Sicheln auf die Erde schleudern und deren Weinstock abernten, so daß aus der großen »Kelter des Zornes Gottes« Blut strömen und »bis an die Zügel der Pferde« ansteigen wird (14,14—20). Dürer deutet dieses er-neute Blutbad durch die beiden Sicheln nur an.
Die zwölfte figura (Off. Joh. 14,1-5)
Auf die antichristlichen Mächte läßt Dürer mit dem nächsten Holzschnitt die Dar-stellung des Lobgesanges jener 144 000 Erlösten vor dem siegreichen Christuslamm folgen, »die freigekauft und von der Erde weggenommen worden sind« (14,3). Doch während es in der Offenbarung des Johannes heißt: »Das Lamm stand auf dem Berg Zion« (14,1), steht das siebenäugige und siebenhörnige Lamm bei Dürer mit der Fahne des Kreuzes auf einem Bogen, umgeben von einer weit strahlenden Gloriole und jenen vier sechsflügeligen, am ganzen Körper mit Augen bedeckten Thron-wesen (4,6-8), die auch in der zweiten figura dargestellt sind. Auf die Identität des erhöhten mit dem eucharistischen Lamm weist Dürer durch das aus der Brust hervorsprudelnde Blut hin, das einer der an beiden Seiten des Bildes stehenden 24 Ältesten in einem Kelch auffängt. Nicht zufällig ist er durch seine Mitra als Bischof, also als Vertreter der Kirche, gekennzeichnet.
Die 24 Ältesten halten im Unterschied zur zweiten figura nichts in den Händen. Über unterschiedlichen Kopfbedeckungen tragen sie die ihnen verliehene Krone des Lebens. Ihre anbetenden Gesten verbinden sie mit der Schar derer, die in ihrem Erdenleben allen Versuchungen standhielten und nun mit Siegespalmen in den Händen (7,9) »ein neues Lied« anstimmen (14,3).
Johannes kniet auf einer in das Meer vorspringenden Klippe und ist dem Him-mel so nahe, daß sich ihm wie in der zweiten figura einer der Ältesten aus den Wolken zuwendet und die Vision erklärt. Dürer bezieht in dieser Darstellung das Gespräch aus der Anbetung des Lammes (7,13-17) ein.
Die dreizehnte figura (Off. Joh. 17-19)
Die Aufmerksamkeit des Betrachters zieht in diesem Holzschnitt vor allen eine jun-ge, nach venezianischer Mode gekleidete und frisierte Frau auf sich, die auf einem Tier mit wiederum sieben Köpfen reitet. In der Offenbarung des Johannes (17,3-6) heißt es: »Dort sah ich eine Frau auf einem scharlachroten Tier sitzen, das über und über mit gotteslästerlichen Namen beschrieben war und sieben Köpfe und zehn Hörner hatte. Die Frau war in Purpur und Scharlach gekleidet und mit Gold, Edel-steinen und Perlen geschmückt. Sie hielt einen goldenen Becher in der Hand, der mit dem abscheulichen Schmutz ihrer Hurerei gefüllt war. Auf ihrer Stirn stand ein Name, ein geheimnisvoller Name: Babylon, die Große, die Mutter der Huren und aller Abscheulichkeiten der Erde. Und ich sah, daß die Frau betrunken war vom Blut der Heiligen und vom Blut der Zeugen Jesu.« Im Unterschied zu dem Drachen (12,3) und dem aus dem Meer steigenden Tier (13,1) tragen die für die sieben Todsünden stehenden Köpfe des von der Hure gerittenen Tieres keine Kronen. Dü-rer zeichnet es als geflügelten Drachen mit schuppigem Körper. Durch den Kontrast zwischen der reizvollen Frauengestalt und dem abscheulichen Tier wird die Ver-führung zum Laster durch den schönen Schein deutlich.
Der links neben dem Tier stehende Orientale, der dem Betrachter den Rücken zukehrt, redet auf die abwartend prüfenden Bürger einer Stadt ein, wobei seine rechte Hand auf die babylonische Hure und das siebenköpfige Tier weist. Da er ei-nen Turban mit Kronreif und einen Hermelinkragen trägt, ist mit ihm ein vorneh-mer Muslim, wahrscheinlich ein türkischer Sultan, gemeint, den Dürer als falschen Propheten auftreten läßt. Vielleicht handelt es sich um eine Anspielung auf »Des Türken Fastnachtspiel«, das vermutlich zwischen 1453 und 1460 in Nürnberg ent-stand. In dieser sozialkritischen Satire kommt der Türkenkaiser in eine deutsche Stadt und erbietet sich, im Reich sowohl Recht und Frieden als auch eine gerechtere soziale Ordnung herzustellen, ohne daß die Christen ihren Glauben aufgeben müß-ten (vgl. S. 202 Anm. 174).
Was den in der linken Bildecke knienden Mönch betrifft, so ist kaum zu ent-scheiden, ob er (als auf den Klerus zielende Kritik) den falschen Propheten bezie-hungsweise die babylonische Hure auf dem siebenköpfigen Tier anbetet und sein Blick auf den von ihr emporgehaltenen Pokal (statt auf den Kelch des Abendmahls) gerichtet ist oder ob er nach oben zu den beiden den Untergang Babylons verkün-denden Engeln (18,1-2 und 21) blickt, deren einer einen Mühlstein hält, um ihn ins Meer zu werfen.
Babylons Ende zeigt Dürer nur von ferne: rechts im Hintergrund des Bildes schlagen die Flammen einer brennenden Stadt bis zum Himmel.
Dürer fügt seinem Bild links oben in einer nur kleinen Öffnung der Wolken als einzige Vision des 19. Kapitels »die Heere des Himmels« (19,11-16) ein. Der mit dem Messias zu identifizierende Anführer, dessen Pferd eine Doppelkrone trägt, ist schwer gepanzert und schwingt sein Schwert. Im Gegensatz zur Angabe im Text (19,15) fährt es nicht aus seinem Mund heraus.
Die vierzehnte figura (Off. Joh. 20,1-3; 21,9-27)
Den Abschluß von Dürers Zyklus bilden wieder zwei Visionen, die in einem Bild vereint sind. Im Vordergrund ist jener Engel zu sehen, der »den Schlüssel zum Ab-grund und eine schwere Kette« trägt, den Teufel »für tausend Jahre« fesselt und ihn »in den Abgrund« wirft (20,1-3). Der als geflügeltes Schuppentier mit drei Hörnern und Krallenfüßen dargestellte Teufel streckt die Zunge heraus und steigt wider-strebend in einen mit einem schweren Deckel zu verschließenden Schacht hinab, aus dem ihm die Flammen des Höllenfeuers entgegenschlagen.
Dem Abgrund der Hölle rechts vorne ist links im Hintergrund des Bildes die heilige Stadt Jerusalem diagonal entgegengesetzt, »wie sie von Gott her aus dem Himmel herabkam« (21,10). Indem Dürer sie als typisch deutsche Stadt erscheinen läßt, löst er sich von der Darstellungstradition. Den Angaben über den Glanz und die Symmetrie des himmlischen Jerusalem (21,11-27) schenkt er keinerlei Beach-tung. Nur die Engel an den Stadttoren entsprechen der Beschreibung in der Offen-barung des Johannes.
Hinter dem das Bild beherrschenden Engel, der den Teufel fesselt, erhebt sich im rechten oberen Bildviertel ein Berg, auf den Johannes von einem anderen Engel entrückt worden ist, um ihm die Himmelsstadt zu zeigen. Durch die Schau vom Berge aus ist diese von ihrer Gegenwärtigkeit gelöst und als Vision zu erkennen.
mit freundlichen Grüßen
Fred