OT--Mann sprach 29 Jahre kein Wort

Geschrieben von H.Joerg H. am 09. Juni 2003 15:51:20:

Tag verehrte Pfingstgemeinde

Da über Pfingsten etwas Ruhe im Forum herrscht, erlaube ich auf einen Mann aufmerksam zu machen, der sage und schreibe 29 Jahre kein einziges Wort geredet haben soll. In der Beilage der Süddeutschen Zeitung wurde Rainer Herpel, mittlerweile 51 Jahre alt, porträtiert. Ich fasse zusammen:

Die Beweggründe für sein Verhalten lagen nahe: der Vater verbot seinem Sohn damals mit 22 Jahren, auf die Kunstakademie zu gehen und Künstler zu werden. Denn dieser hatte zeitweise 3 Schuhläden in guter Lage im Kurort Bad Ems, und sein Sohn sollte natürlich einmal die Nachfolge des Vaters antreten. Doch daraus wurde nichts.

Seit diesem Zeitpunkt wechselte Rainer H. kein Wort mehr mit ihm und dem Rest der Welt. So gewöhnte er sich das Rauchen ab, denn am Kiosk sollte man schon den Mund aufmachen, um seine Wünsche kund zu tun. Er grüßt niemanden mehr, läuft meist mit einem Ohrenschützer - einem Lärmschutzmodell für Fluglotsen durch die Straßen, und gilt schnell als Sonderling. Er meidet nach und nach jeglichen Kontakt zu seinen Mitmenschen, keine Familienfeste konnten ihn aus seinem Zimmer herauslocken, auch nicht wenn seine Cousine vor der Tür stand, mit der er immer so gut konnte.

Rainer geht viel lieber in den Wald, wo er sich als Forstarbeiter mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält. Aber auch dort hält es der Sonderling nur kurz aus. Er beginnt nur noch nachts aktiv zu sein, wenn andere schlafen. Zeichnen wird seine Leidenschaft. In Obstkartons bewahrt er 29 Jahrgänge die in 29 Jahren Arbeit entstanden sind auf; nur eine Auswahl, der Rest liegt verpackt im Speicher und Keller. Im lange geschlossenen Schuhladen des Vaters hängen nun einige seiner Werke, Ölgemälde, denn er möchte den baldigen Durchbruch als Künstler schaffen. "Ich muss nicht mehr berühmt werden. Ich habe auch keine Angst mehr vor der Meinung anderer. Aber ich werde berühmt. Ich habe noch viel Zeit. Ich werde sicherlich hundert Jahre alt", sagt er, denn die 51 Jahre sieht man ihm nicht an - eher wie dreißig schaut er aus, glatte Haut vom langen Schweigen und sich nicht der Sonne ausgesetzt zu haben, scheinen Vorteile in sich zu bergen.

Denn er spricht ja wieder, seit sein Vater mit 87 Jahren letzten August verstarb.
Da saß er wochenlang am Sterbebett seines Vaters, und hat auch dort bis zuletzt nicht sein Schweigen gebrochen. Erst kurz nach dem Tod desselben, begann er wieder seine Nachbarn zu grüßen, bagann auch wieder mit seiner Mutter zu sprechen und mit seiner Cuosine zu telefonieren. Doch was soll man mit einem Menschen schon reden, der 29 Jahre kein Wort mehr von sich gab?

"Natürlich habe ich gelitten. Als Idiot angesehen zu werden ist nicht schön. Aber das größte Unglück im Leben kommt meist aus dem Umgang mit anderen Menschen. Und wir Künstler", sagt Rainer Herpel alias Iwan Smith (sein Künstlername), "müssen nicht unbedingt reden." Er hat einen IQ von 147, wo doch alleine nur 2 Prozent der deutschen Bevölkerung einen Wert von über 130 erreichen. Sein Deutschlehrer prophezeite ihm:"Entweder du wirst ein Verrückter oder deine Bilder werden für alle Zeiten im Museum hängen."

Seine Mutter ist nun wieder glücklich das er spricht, auch wenn weiter Phasen auftreten, wo Rainer ihr nur Zettel hinschiebt. "Ob denn damals, als er einfach nicht mehr reden wollte, kein ärztlicher Rat eingeholt wurde", fragt der Reporter die Mutter. "Der Rainer wollte nie. Er meinte, die verstehen ihn ja eh nicht, und vergiften ihn bloß mit ihren Medikamenten."

Mutismus nennt die Psychologie das nicht selten auftretende Symptom einer plötzlichen Sprachlosigkeit. Auslöser können Depressionen, Schizophronie und weitere Persönlichkeitsstörungen sein. "Das mit der Krankheit glaube ich eher nicht", sagt seine Cousine. Denn der Sohn wollte einfach nicht ins Schuhgeschäft des Vaters eintreten, und machte seine Drohung war:" wenn ich nicht auf die Akademie darf, dann rede ich nie wieder mit dir."

Und dies tat Rainer Herpel, alias Iwan Smith 29 Jahre lang nicht mehr...und nicht nur mit seinem Vater...

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"Reden ist Silber, Schweigen ist Gold." Eine anrührende Geschichte, wie ich finde. Und wer ertappt sich nicht dabei, oft viel unnötiges zu reden, wo doch im insgeheim stillen Schweigen manch Schlüssel für so manche Frage verborgen liegt, die der Menschheit weiterhelfen könnte, und der man mit labern und krackelen sicher nicht auf die Schliche käme. Es müssen ja nicht gleich Jahre und Jahrzehnte daraus werden. Ich für meinen Teil sitze auch oft tagelang zu Hause, oder gehe im Wald spazieren und rede mit niemandem ein Wort, nicke höchstens mit dem Kopf für meinen Anwesenheitsbeweis, und denke oft für mich: Ihr könnt mich alle mal ganz gewaltig"...und dies tue ich auch schon seit vielen Jahren...schaden tut es nicht-mir jedenfalls nicht;-)

Sollten sich einige zu Herzen nehmen, und mal (lautlos) drüber nachdenken...

Stille Grüße

Jörg




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