Re: 95% gehts schlechter (viel) als den Deutschen.
Geschrieben von Artemis am 07. Juni 2003 18:26:16:
Als Antwort auf: Re: 95% gehts schlechter (viel) als den Deutschen. geschrieben von Bine am 07. Juni 2003 14:55:28:
Hallo Bine,
unsere Ansichten, allein schon die Blickwinkel, unterscheiden sich wirklich sehr. Das ist auch okay. Ich will jetzt garnicht mehr auf die einzelnen Punkte eingehen und weiter argumentieren, daraus würde sich vermutlich nur eine Endlosdiskussion entwickeln. Allgemein möchte ich noch kurz bemerken, dass ich in dem Moment, wo ich hier weggehe, in erster Linie ein besseres Leben für meine Familie und mich selbst suche und nicht, um Entwicklungshilfe zu leisten. Damit möchte ich nicht ausdrücken, dass mir die Ureinwohner Paraguays egal sind, ich betrachte sie als ebenbürtige Mitmenschen - nur sehe ich meine Lebensaufgabe nicht darin ihr Leben zu verbessern, zumal ich mir nicht anmaße zu wissen wie man das anstellt. Wenn sich jemand konkret an mich wendet und um Hilfe bittet, so werde ich sie selbstverständlich leisten, sofern mir dies möglich ist.
Für uns ist es schlichtweg so, dass wir in Paraguay das abgeschiedene, ruhige, naturverbundene Leben suchen welches wir hier nicht finden konnten. Unser Hintergrund und unser bisheriges Leben unterscheidet sich von Deinem und so individuell wie unsere Lebensgeschichten sind, sind auch unsere Vorstellungen vom weiteren Lebensweg, unsere Illusionen, Wünsche, Träume. Paraguay ist unser Traum, jetzt. Wo wir in 5 oder 10 Jahren oder morgen hinwollen, das kann ich nicht sagen.Was die Rückzugsmöglichkeiten angeht: wir bleiben ja Deutsche, mit deutscher Staatsangehörigkeit...also dürfte das kein Problem darstellen. Ebenso für die Kinder. Wir gehen aber zunächst einmal davon aus, dass wir nicht wiederkommen werden :-)
Gruß,
Artemis, noch immer nicht abgeschreckt...
>Hallo Artemis,
>>@Bine: ich habe den Bericht von AI über Paraguay gelesen. In den Jahren nach Stoessners Diktatur haben sich die Menschenrechtsverletzungen vermindert.
>Das mag richtig sein, und doch steht es in keinem Verhältnis zu hier. Soweit ich informiert bin gibt es dort nicht einmal das, was wir hier als Demokratie bezeichen (und was sicherlich auch noch verbesserunggswürdig wäre, ich sehe die Zustände hier nicht als rosarot). Diese Länder haben noch einen sehr weiten Weg vor sich, meiner Meinung nach einen weiteren als wir hier. Möglich, daß der Westen da nicht ganz unschuldig daran ist, jedoch würde ich das dann weniger auf die Masse der Bevölkerung schieben als viel mehr auf eine kleine Elite (die es allerdings in den Ländern ebenfalls gibt und die die eigenen Länder ebenfalls verraten und verkaufen)
>Der angebliche Normalzustand, den Du dort beschreibst, findet so nicht statt - das sind, genau wie hier, vereinzelte Vorfälle.
>Das sehe ich anders, wie die zahlreichen äußerst blutigen Demonstrationen beweisen. Da werden Menschen auf offener Straße erschlagen, von den eigenen Leuten, weil sie für ihre Rechte als Menschen auf Arbeit einstehen. Ist das menschlich ? Da werden Tausende von Jugendlichen quasi deportiert, in Heime gesteckt, in denen sie militärisch gedrillt werden, ja zum Teil schwer misshandelt. Soziales Netz gibt es so gut wie keines, von der von Dir unten genannten Suppenküche ganz zu schweigen.
>Hungern müssen Menschen auch hier, Armut und Arbeitslosigkeit gibt es auch hier - ich kenne Fälle, wo Eltern mit ihren Kindern zur Suppenküche gehen müssen, damit die Kinder wenigstens ab und zu mal was warmes in den Magen kriegen.
>Das ist richtig, nuuuur: Hier gibts ne Suppenküche ;-)) Hier gibts medizinische Mindestversorgung und hier gibts wenigstens Obdachlosenunterkünfte. Nicht toll, aber wenigstens ist ein absolutes Existenzminimum hier gesichert, Das ist in anderen Ländern nicht nur keine Selbstverständlichkeit, sondern der graue Alltag ist, daß Leute nicht nur hungern, sonder VERhungern. Daß Leute nicht nur ungerecht behandelt werden sonder MIßhandelt und das mit staatlicher Duldung.
>>Ich hab die Augen schon immer aufgemacht, ich muss auch keinen Kopfstand machen um mich in bestimmte Mentalitäten reindenken zu können - im Gegensatz zu manch anderem, habe ich davon nämlich meinen Teil abbekommen.
>Glaube ich Dir gerne. Habe auch schon so einiges erlebt und gesehen, auf der Brennsuppe bin ich auch nicht dahergeschwommen. Nur habe ich es eben auch schon in anderen Ländern erlebt und gesehen, wie die Menschen da behandelt werden. Darum widerspreche ich Dir hier ja, daß es wo anders besser ist. Du wirst sicherlich Deine eigenen Erfahrungen machen, würde mich interessieren, wie Du in einigen Jahren darüber denkst.
>Die Wahrheit erfährt man übrigens nicht durchs Augenaufmachen, die erfährt man indem man sich mit den Menschen unterhält und mit ihnen lebt und selbst dann ist es eine subjektive Wahrheit.
>Mein "Augenaufmachen" war auch nicht wörtlich gemeint *lach* Ich meinte hier schon das "Hinschauen" und zwar ohne die rosarote Brille. Hier ist die Frage, aus welcher Perspektive Du Dich mit den Leuten unterhältst. Als Besucher ? Fern von der Heimat dieser Menschen ? In der Landessprache ? Sprichst Du hier mit menschen mit liberaler Einstellung oder mit eher nationalistischer Prägung ? Aus welcher Gesellschaftsschicht kommen sie ? etc. pp.
>>Um mal auf die bonzigen Deutschen einzugehen - diese Oberbonzen, wie Du so schön schreibst, sind in der Mehrzahl mittlerweile zu Einheimischen geworden und zwar, weil seit ca. 1880 in Paraguay leben. Sie sind damals eingewandert, haben dort Land besiedelt, Wein angebaut, Äcker bestellt, sind ihren Handwerksberufen nachgegangen und dergleichen. Unter anderem haben diese Bonzen für eine bessere Infrastruktur und mehr Arbeitsplätze gesorgt... schade, passt nicht ins Bild - gell? ;-)
>Das ist Ansichtssache. Habe hier Berichte gesehen, die aus mehreren Perspektiven heraus entstanden sind. Es ist auch nicht ganz unbekannt, daß sich nach Paraguay zum Teil Menschen ausgewandert sind, die extrem national-deutsch eingestellt sind/waren, auch wenn es deren Kinder sind, die dort nunleben setzt sich unter Umständen doch gewisses Gedankengut über die Generationen fort und ob das dan unbedingt der Umgang ist, den man pflegen möchte ? Hmmm, meins wärs jetzt nicht.
>>Die "Eliteschulen" haben einfachste Einrichtungen, mit Möbeln, die z.T. 60 Jahre und älter sind. (So dass ich schon überlegt habe, ob wir nicht von hier aus etwas rüberschicken können, aus alten BW Beständen z.B.)
>Das wäre sicherlich nicht schlecht, jedoch wäre hier zu überlegen ob eine Spende nicht vielleicht an eine Dorfschule für die Landbevölkerung sinnvoller wäre ? Aber das ist Eure Entscheidung.
>Was Du über die deutschen Schulen dort schreibst hört sich für mich trotzdem noch nach Luxus gegenüber den Schulen der dortigen Kinder an(meines Wissens besucht das Gros der Kinder dort die Schule nur 6 Jahre lang) Kannst Du mir einen Grund nennen, was an den deutschstämmigen Kindern nun anders sein soll, daß die in dem jeweiligen Land das Privileg haben sollen schon von Hause aus priviligiert zu sein (und natürlich deshalb die dementsprechende Mentalität zu entwickeln, was in dem Land dann kaum ausbleiben wird) Und bitte sag mir nicht, daß es nicht so ist. Die wenigsten Deutschen in diesen Ländern sind die Idealisten, als die sie sich gerne präsentieren, das kann man unschwer am Lebensstil erkennen. Um was gehts hier bitte wirklich ? (Ausnahmen bestätigen sicherlich auch hier die Regel)
>>Die Hemmschwelle zu Folter, Gewalt und Mord ist hier mindestens so niedrig wie dort, ich empfehle jedem der das nicht glaubt, einen Blick in die Tageszeitung.
>Das wage ich zu bezweifeln.Schon alleine deshalb weil es hier nicht diese Armut gibt. Was bei uns als arm gilt, ist in diesen Ländern noch lange nicht arm. Hier muss keiner Verhungern, bis jetzt fängt das soziale Netz noch jeden auf. (was ich auch richtig finde, wenn es nicht missbraucht wird.) Soweit ich mir hier ein Urteil erlauben darf bemühen sich sehr viele Menschen hier ihre Kinder zu einer realtiven Gewaltfreiheit zu erziehen, das ist jedenfalls meine Erfahrung hier. Vielleicht ist es tatsächlich so, daß man sich hier zuviele Sorgen macht, ja alles richtig zu machen, was vielleicht auch nicht das Gelbe vom Ei ist. Jedenfalls sehe ich in meinem Umfeld, daß die meisten versuchen mit ihren Kindern über Gewalt etc, zu sprechen und sie anzuhalten andere Menschen zu respektieren, fängt ja bekanntlich schon in der Kindheit an sowas.
>Die Stellung der Frau ist hier gut?
>Sicherlich nicht optimal, da gebe ich Dir gerne recht. Aber was wirkliche Unterdrückung heißt, das kannst Du in diesen Ländern dann hautnah miterleben. Es ist sicherlich auch hier noch ein weiter Weg zu einer richtigen Gleichstellung.
>Tja, sicher...wenn man es als gut bezeichnet, dass man an jeder Ecke "nackte Tatsachen" präsentiert bekommt...dann ist die Stellung der Frau hier wohl geradezu hervorragend.
>Das dürfte wohl auch in diesen Ländern zu finden sein, insbesondere, da die Frauen dort bezeiten auf "typisch weibliche Eigenschaften" schon in frühester Kindheit dressiert werden. Ein Mädchen hat mit Puppen zu spielen und hübsch zu sein, später der Mutter im Haushalt zu helfen während die Jungs es da schon leichter haben, Die dürfen sich auch dreckig machen und geben schon als Kleine Kinder dort den Ton an. Das Wort "Macho" kommt aus dem Spanischenm soweit ich weiß, oder ? Ich kann wie gesagt hier in erster Linie nur von der Türkei sprechen, wo auch die Ansichten innerhalb der Familien was die Stellung der Frau anbetrifft in der Regel sehr konservativ bis reaktionär sind. Das Fernsehen quillt über von Fleischbeschau (damit meine ich jetzt nicht unbedingt die üblichen Schnackselsendungen, sondern schon die ganz normalen Abendprogramme, wo die Sängerinnen oft nicht mehr anhaben als wenn man am Strand liegt), wie ich finde, noch viel schlimmer als hier und die Frauen nehmen es als unveränderbatre Tatsache hin. Wie ists da in Paraguay ? Hier kann man wenigstens drüber schimpfen. In den Ländern wirst Du als Frau da gar nicht ernst genommen, weil Du bist ja eh nur eine Frau ;-))
>(Nur mal so zur Info: Frauen verdienen hier bei gleicher Leistung, im gleichen Beruf noch immer weniger als Männer...)
>Wäre mal nen extra Thread wert, das sind jetzt ein wenig Äpfel und Birnen, weil in diesen Ländern bekommst Du schon erst mal gar keinen Job um da Vergeliche ziehen zu können. Die wenigsten Frauen gehen dort arbeiten, zumindest die in unserem Alter (nehme mal an, weil Du 5 Kinder hast bist Du irgendwas zwischen 30 und 45 ?) nicht, die Kinder haben. (Ist einerseits vielleicht ein Vorteil, aber nur dann, wenn sie trotzdem sozial abgesichert sind, weil sonst ist auch fürn A.., oder nicht ?)
>>Wer hier gut leben kann, sich seines Lebens freut und mit den Umständen hier klarkommt, der hat meine Bewunderung. Wir werden hier nicht länger bleiben als nötig, dann packen wir unsere 5 Kiddies, die Oma und unseren bonzigen Allerwertesten zusammen und gehen nach PY - wofür mein Mann seinen gutbezahlten und "krisensicheren" Job als StOffz bei der Luftwaffe an den Nagel hängen wird, nur um dort nochmal ganz von vorne anzufangen, mit nichts.
>Ich hoffe für Dich, daß Du dort glücklich wirst. Trotzdem rate ich Dir dringendst Dir ein Hintertürchen offenzuhalten, damit Du wieder herkannst, wenn Du doch nicht klar kommst. Warum ich dies hier Alles schreibe ? Weil ichs durch habe, Artemis ! Vor 15 Jahren etwa dachte ich noch genauso wie Du. Hatte die Schnauze voll von hier und wollte nur noch weg. Natürlich ist jeder Mensch anders, und es kann durchaus sein, daß sich Deine persönliche Realität von meiner unterscheidet (unterscheiden wird), so wie Du auch andere Erfahrungen machen wirst. Ich möchte hier nur einige Punkte zu bedenken geben, die ich damals eben auch sehr rosarot gesehen habe. Die persönliche Sichtweise kann sich vor Ort sehr schnell ändern. Bei mir war es so, als ich das alles aus der Nähe gesehen habe. Und ich bin jetzt im Nachhinein verdammt froh, zuerst alles genauestens abgecheckt zu haben, bevor ich mich in das relativ Ungewisse stürzte, das ich ja nur aus Erzählungen (Beschönigungen sowie Warnungen) kannte.
>Übrigens war das mit den Bonzen im Text nicht auf Dich bezogen. Sondern auch das ist ein Punkt, den es zu bedenken gilt. Du hast es dort unter Umständen mit genau der Sorte Deutscher zu tun, die Du hier ablehnst, verstehst Du, was ich meine. Im Übrigen ist die dortige Regierungsform nicht eine nationalistisch-konservative ? Also schon alleine das würde mich abschrecken.
>Übrigens bin ich weit davon entfernt negativ zu denken. Allerdings kann ich mit dem Bekannten besser umgehen als mit Dingen, die mir weniger vertraut sind. Da bin ich (aufgrund von Erfahrungen) sehr vorsichtig geworden. Vielleicht nicht Dein Weg, meiner schon. Jetzt im Augenblick zumindest.
>Nun gut, wollte nur eine andere Sichtweise darstellen, die Dir bei Deiner Entscheidung auch ein wenig behilflich sein könnte, was Du damit anfängst ist selbstverständlich Deine Sache. Außerdem wollte ich eben auch anmerken, daß das Gras auf der anderen Seite nicht grüner ist und es daheim vielleicht doch nicht am Schlechtesten ist. Ich kenne hier so viele liebe warmherzige Menschen, daß ich schon alleine deshalb gar nicht wegmöchte von hier. Was Rücksichtslosigkeit und Egoismus anbelangt, so habe ich da eben ganz andere Erfahrungen gemacht als Du. Vielleicht setze ich auch andere Prioritäten. Meinungsvielfalt ist ja auch was Schönes, oder ?
>viele Grüße
>von der Bine :-))