Thema Altenheime

Geschrieben von Bonnie am 07. Juni 2003 16:49:42:

Als Antwort auf: Re: Reise zurück ins 21. Jahrhundert.... geschrieben von Artemis am 05. Juni 2003 15:04:29:

Hallo Artemis, du schreibst:

meine Mutter ist z.B. jetzt 63 Jahre alt, ich bin der einzige Mensch auf der Welt den sie noch hat, ich könnte es überhaupt nicht übers Herz bringen, sie in irgendein Heim abzuschieben.

Ich häng einfach mal einen Kommentar zum Thema "Altenheime" ran. Mir begegnet immer wieder diese Vorstellung, Altenheime seien Quälanstalten.
Ich bin in einem Altenheim groß geworden, meine Eltern waren Inhaber eines privaten Altenheims, deshalb kenne ich den Bereich aus erster Hand.

Natürlich sind Altenheime KEINE Quälanstalten.
Altenheime werden sehr genau überwacht. Die meisten Heimverträge laufen sowieso über eine öffentlichen Institution (heute Pflegeversicherung). Aber auch schon in den 70iger Jahren waren immer wieder Prüfungen vom Sozialamt oder anderen Einrichtungen. Auch die Buchhaltung wird offengelegt. Die Heimpflegesätze werden zusammen mit öffentlichen Einrichtungen festgelegt, es gibt z.B. Pflegeschlüssel, so und so viele Pflegekräfte auf so und so viel Bewohner, je nach Pflegebedürftigkeit, da gibt es mehrere Stufen.
Man kann sich mit so einem Heim keine goldene Nase verdienen, weil alles genau festgelegt wird.
Spätestens seitdem Angehörige durch die Pflegeversicherung durch Pflege der eigenen Angehörigen zuhause sich Geld verdienen können, landen im Heim fast nur noch Schwerstpflegebedürftige. Was das bedeutet, kann man sich als Normalmensch kaum vorstellen. Die Alten müssen mehrmals am Tag gehoben, gefüttert, gedreht werden (wegen Dekubitus). Es gibt welche, die so verwirrt sind, daß sie ihr eigenes Leben gefährden. Die rennen bei Minustemperaturen im Nachthemd nachts auf der Strasse rum, wenn man gerade mal nicht aufpaßt. Es gibt welche, die schmieren ihren eigenen Kot an die Wände.
Alte Menschen werden wieder wie Säuglinge, nur sind sie nicht so süß und ihre Endprodukte riechen weitaus unangenehmer.
Wenn Otto Normalbürger hört, ein armer alter Heimbewohner wurde "fixiert", regt er sich auf. Hätte er diesen Menschen bei sich zuhause, würde es nicht länger als eine Woche dauern und Otto Normalbürger kauft sich das Fixiermaterial. Es gibt diese Fälle ! Entweder man organisiert eine Rundumbewachung, die den Alten daran hindert, sich das Zeug aus dem Hintern rauszupulen und an die Wände zu schmieren (Alternativ: auf das Essensgeschirr oder so *ggg*) oder man fixiert.

Die Menschen, die in Altenheimen arbeiten, tun das freiwillig. Sie sind sehr idealistisch und sehr menschenfreundlich. Sie werden nicht sehr gut bezahlt und sie haben ihre Ausbildung zum Teil selbst bezahlt. Sie arbeiten im Schichtdienst und haben nach einer Weile einen kaputten Rücken.

Ich wehre mich absolut dagegen, Altenheime als verlotterte "Altenverwahranstalten", die von geldgierigen Inhabern betrieben werden, bezeichnen zu lassen, in die man alte Leute abschiebt. Wir hatten auch "jüngere Alte" bei uns, die sich sauwohl gefühlt haben und noch Jahrzehnte glücklich im Heim gelebt hatten. Es gibt ein kritisches erstes halbes Jahr. Wenn ein neuer Heimbewohner das überstanden hat, kann er noch Jahre glücklich in dem Heim leben. Es gibt auch Freizeitaktivitäten für die Alten, es gibt "grüne Damen", die auf ehrenamtlicher Basis regelmäßig vorbeischauen und mit den Alten basteln oder spielen.

"Verwahranstalt": Wie gesagt, es gibt diesen Pflegeschlüssel, der festgelegt und eingehalten wird und der ist ziemlich hoch. Wir hatten beispielsweise 50 Angestellte auf 90 Heimbewohner. Man kümmert sich rund um die Uhr um die Alten. Es ist vorgeschrieben, wie oft die Alten gebadet werden etc..

Es mag sein, daß es schwarze Schafe gibt (obwohl da auch irgendwer von der Heimaufsicht versagt haben muß). Aber solche Berichte sind dann auch gleich in den Medien, weil es dem gängigen Vorurteil gegen Altenheime entspricht. Wahrscheinlich, weil man bei dem Thema so schön auf anderen rumhacken kann (Leute, die ihre Eltern ins Altenheim "abschieben" und wahrscheinlich nur eigene Ängste damit kaschiert) Die Mehrzahl der Heime werden gut geführt.

Passieren kann das jedem: Daß er einen Angehörigen hat, der einfach nicht mehr zuhause gepflegt werden kann, weil er sich und andere gefährdet.

Immer wenn ich erzähle, ich sei im Altenheim groß geworden, habe ich mitleidige Mienen gesehen :-). Als ob das gleich nach der Hölle käme oder so. Ich kann das nicht verstehen, solche Meinungen können nur aus der Distanz entstehen. Das Altenheim war einfach eine Stätte mit vielen Menschen. Die Alten (manche waren gar nicht so alt und viele waren fit) hatten sich gefreut, die Kinder der Heimleiter um sich zu haben und wir hatten uns gefreut, die Alten zu haben, gerade weil die Eltern natürlich auch nicht soviel Zeit hatten. Ich habe es immer gut gefunden.

Ich hoffe, ein paar freundlichere Gedanken zum Thema "Altenheim" provoziert zu haben :-)

Liebe Grüsse, Bonnie


Antworten: