Hin oder her: Islam hat problematische Momente (genauere Analyse)
Geschrieben von Micha aus dem Süden am 16. Mai 2003 20:53:47:
Als Antwort auf: Eine schöne Geschichte - Was mich am Islam anzieht. geschrieben von Salim am 16. Mai 2003 03:36:01:
Hallo Salim, hallo an alle Christen an alle Andersgläubigen und Ungläubigen.
Zunächst mal eine Grundaussage: der gutgemeinte Kern aller Religionen zielt darauf, dass Menschen über ihr Ego hinauswachsen: alle Relgionen sind sich einig, dass auch die noch so optimierte Bewirtschaftung der Bedürfnisse des kleinen Ego weder Glück für das Individuum bringt, noch eine tragfähige Gemeinschaft zusammenhalten kann.
Alle Religionen kennen Methoden zur Arbeit des Menschen an sich selbst, um das trickreiche Ego zu überlisten und ein sinnvolles Leben - für einen selbst und die Gemeinschaft - zu leben. In allen Religionen weiß man darum , wie schwierig das ist, und dass es ein langer aber lohnender Weg der Charakterbildung und Persönlichkeitsentwicklung ist. Das unterschiedliche Wissen vom Menschen und den Methoden zur Überwindung des Ego ist ein riesiger Reichtum der Menschheit: hier gibt es ein jahrtausendealtes empirisches Wissen quer durch alle Kulturen, Kontinente und Zeitalter. Ich bin immer wieder beeindruckt und tief berührt davon, wenn muslimische, hinduistische, christliche, jüdische... Freunde von ihren Methoden und ihren Erfahrungen berichten!
Und jenseits der unterschiedlichen metaphysischen Konstrukte sprechen alle Religionen von einer Wahrheit: dass Liebe größer und wahrer sei als Hass; dass Großzügigkeit und Weisheit größer seien als Geiz und Ignoranz; dass Freude größer und wahrer sei als Schmerz. Darin sind sich auch die Menschen in aller Welt einig - sie schätzen Liebe höher als Hass, Großzügigkeit höher als Geiz... und alle Menschen teilen gemeinsame Werte: sie alle wollen respektvoll, ehrlich und gerecht behandelt werden, möchten frei sein und suchen nach Entwicklung/Entfaltung.
Ein Reichtum ist auch die unterschiedliche Herangehensweise der Religionen:
Der Buddhismus lehrt den Weg zur Überwindung des Egos durch das Prinzip des Geistes als weiten, offenen Raum ohne jede Einschränkung und berstend voll von Potential (Liebe, Weisheit...)."Der" Hindusismus lehrt den Weg der Einswerdung mit der Urenergie des Kosmos, sei sie namenlos als Energie, als Vielfalt von Göttern oder als ein schöpfender Gott interpretiert.
Das Christentum lehrt die Überwindung des Ego durch Liebe und Mitgefühl.
Das Judentum lehrt die Überwindung des Ego durch das Einhalten der Regeln, die Gott den Juden gab.
Der Islam lehrt die Überwindung des Ego durch den Gehorsam gegen Gott.
Soweit das große Licht, das die Religionen der Menschheit geben.
Leider werfen die Egos der Menschen aber auch Schatten - in allen Religionen.
Jede Religion wurde in ihrer Geschichte missbraucht, um Macht zu erlangen, Menschen irrezuführen und/oder zu beherrschen. Außerdem hat unser Ego die Eigenschaft, sich aufzublasen: wenn ich zu einem besonders tollen Verein gehöre, bin ich gleich viel wichtiger: FC Bayern; stloz ein Doitscher zu sein oder "unser Gott ist der Größte" oder ".. der einzig Wahre!"Und hier zeigt sich, dass Religionen von ihrer unterschiedlichen inneren Struktur her unterschiedlichen Anlass zum Missbrauch und unterschiedlich anfällig für Missbrauch sind.
Mit dem Buddhismus oder weiten Teilen des Hinduismus kann man keine Massen knechten - die Idee der offenen Weite des Geistes oder einer unpersönlichen Urenergie eignen sich nicht, Systeme der Unfreiheit zu begründen. Dafür gibt es andere Probleme - etwa die Schaffung einer Abhängigkeit bis hin zur sexuellen Ausbeutung von Schülern durch ihre "Meister". Das soll nicht sein, kommt aber zuweilen vor.
Der machtbewusste, gelegentlich sogar rachsüchtige Gott des Alten Testaments bringt Probleme für Juden- und Christentum: das damalige soziale System der patrichalen Stammesordnung wurde hier in den Himmel projiziert und zum Stand einer göttlichen Ordnung erhoben. Wie sagte ein alter griechischer Philosoph dazu: wenn die Enten einen Gott haben, dann ist das sicherleich eine gigantische, allmächtige Super-Ente. Der alttestamentarische Gott ist ein gigantischer, allmächtiger Super-Stammesführer.
Und der ausgeprägt autoritär-hierarchische Charakter des Islam birgt eine besonders große Missbrauchsgefahr: wer sagt denn, was Gottes Wille sei, der unbedingt (!) zu befolgen ist? Der Koran? Ist doch für eine ganz andere Zeit und Kultur geschrieben worden und muss heute ausgelegt werden. Aber welche Auslegung ist richtig? Wier sind die Suren auf unsere Zeit anzuwenden? Und wie geht man mit "anderen" Wahrheiten um - die Wahrheiten der anderen Religionen? Der Islam muss - falsch verstanden - aus seiner inneren Struktur heraus Recht behalten, sonst bricht er in sich zusammen. Leider hat diese Auslegung große Teile der moslemischen Geschichte bestimmt und den katastrophalen Ruf der Moslems als "Barbaren" in Zentral- und Ostasien begründet. Nicht nur die Christen und Juden haben ihre leidvollen Erfahrungen mit der aggressiven Missionierung durch islamische Gotteskrieger, auch Hinduismus und ganz besonders der Buddhismus hat unter islamischer Verfolgung in Indien gelitten. Die moslemischen Aggressoren haben im Namen ihres Gottes den Buddhismus in Indien physisch ausgelöscht (7.-9.Jh.).
Alle Religionen haben dunkle Flecken in ihren Geschichtsbüchern. Dem Islam haben die meisten aber voraus, an die Aufarbeitung der Widersprüche von Anspruch und Wirklichkeit zu gehen - in Europa hat das als "Aufklärung" eingesetzt und mit 1968ff noch lange nicht sein Ende gefunden: die Auseinandersetzung mit Hexenverfolgung, Frauenfeindlichkeit usw. dauert an, hat das Christentum aber von seiner dunklen Schwere befreit: katholisch sein lastet heute nicht mehr als Schicksal auf den Mädchen und Frauen vom Land, die ihre Intelligenz, ihre Lebens- und Liebeslust als satanische Versuchungen unterdrücken mussten. Und seelisch daran kaputtgingen. Die 68er frauen haben sich dagegen als Erste gewehrt - mit allem Lärm und Umtrieb, der so eine "revolution" mit sich bringt.
Aber arbeitet der Islam seine dunkle Seite auf? Weite Teile des Islam sind noch heute so eng mit diesen dunklen Seiten identifiziert, dass ihre Aufklärer gefährlich leben, wie die Ketzer im christlichen Mittelalter. Insofern ist allen Punkten der hier geäußerten Islamkritik leider zuzustimmen! Der Islam muss sich dieser Kritik stellen, wenn er nicht in einer blutigen geistigen Finsternis, ähnlich der des christlichen Mittelalters, befangen bleiben will!
Was glaubst du, Salim, was hier los ist, wenn die moslemischen Frauen in Deutschland, in ihren traditionellen Familien noch schlimmer unterdrückt als die katholischen Frauen auf dem Land, die Ketten brechen und die religiös bemäntelte seelische Verkrüppelung aufbrechen, öffentlich anprangern?
Anders als manche Islamkritiker sehe ich aber auch Licht im Islam - von dem sprach ich oben! Und, lieber Salim (wenn du es ertragen konntest, bis hierher zu lesen, was ich hoffe), messe den Islam nicht nur an seinen lichtvollen Seiten, sondern auch an seinem Bemühen, die schwarzen, blutigen Schatten des Missbrauchs zu überwinden!
Statt die Moderne (mit ihren fraglos sozial- und seelen-zerstörerischen Aspekten) in Bausch und Bogen zu verdammen, lieber Salim, und sie nur als satanischen Angriff auf die "einzige Wahrheit" des Islam zu interpretieren, wäre es ein großes Geschenk an die Menschheit, wenn die Islam positive moderne Errungenschaften an geistiger Freiheit, Frauenrechten usw. als Herausforderung für eine innere Reinigung (also für eine wohl überlegte Selbstmodernisierung) annähme - und den Perversionen der Moderne dann einen entlarvenden Spiegel zu bieten hätte, den sie dringend braucht und für den Christen- wie Judentum die Kraft nicht mehr haben. Den Milliarden Menschen wäre damit mehr an Orientierung gegeben (und der Welt eine positive Entwicklungsmöglichkeit), als die Milliarden Menschen in Armut zu belassen und sie bloß gegen alles aufzuhetzen, was die mittelalterliche Machtstruktur der islamischen Gesellschaften in Frage stellen könnte.
In diesem Sinne wünsche ich Dir, Salim, und allen Gläubigen und Ungläubigen der verschiedensten Arten, bedeutende Schritte auf dem Weg der persönlichen Befreiung aus dem Ego und bedeutende Schritte zum Miteinander der Religionen: dass sie endlich verstehen, dass sie das gleiche Anliegen haben: das Herz der Menschen, ihre Fähigkeit zur Liebe und zum Guten.
- Re: Hin oder her: Islam hat problematische Momente (genauere Analyse) Chromos 16.5.2003 21:59 (0)
- Dankeschön, Michael. Salim 16.5.2003 21:13 (0)