Re: Karl Marx im O-Ton / Die Kommunistische "Weibergemeinschaft"

Geschrieben von Arno_Nühm am 23. April 2003 16:00:52:

Als Antwort auf: Re: Karl Marx im O-Ton / Die Kommunistische "Weibergemeinschaft" geschrieben von Swissman am 23. April 2003 13:50:05:

Hallo


Ganz offensichtlich gibt es auch Millionen von Individuen, welche die
weibliche Genitalverstümmelung als etwas ganz tolles empfinden - Wäre dem
nicht so, würde dieser barbarische Brauch ja gar nicht praktiziert, und die
Welt hätte ein Problem weniger!

Es gehört vielleicht nicht gerade zum Thema, aber da die Beschneidung
hier schonmal angesprochen wird muß ich einfach mal etwas dazu posten.

Siehe folgender Artikel:

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Tabuthema Beschneidung von Jungen

Es ist fast schon Routine geworden, bei internationalen Missständen und Menschenrechtsverletzungen sich grundsätzlich allein über die weiblichen Opfer zu erregen und die männlichen Opfer gleicher oder schlimmerer Maßnahmen zu übergehen. Was Gendercide Watch beispielsweise hinsichtlich staatlich angeordneter Massenmorde oder oft tödlich verlaufender Zwangsarbeit anprangert (siehe unten), gilt genauso für den Brauch der Beschneidung. Am letzten Wochenende erhielt ich ein Mail von unserer Leserin Kathrin Passig, die mir vorschlug, mich einmal diesem Thema zu widmen. Herzlichen Dank für diese Idee, das will ich gerne tun.

Der Brauch der Beschneidung wird vor allem in Afrika, Asien und dem Nahen Osten ausgeübt: Jährlich werden schätzungsweise zwei Millionen Mädchen an den Geschlechtsorganen verstümmelt, weltweit rechnet man mit etwa 130 Millionen betroffenen Frauen (amnesty international z. B. nennt aber noch höhere Zahlen). Dieser Eingriff reicht von der Abtrennung der Vorhaut der Klitoris über die Entfernung der kompletten Klitoris und der kleinen Schamlippen bis hin zur "pharaonischen Beschneidung" oder Infibulation, bei der die großen Schamlippen bis auf eine winzige künstliche Öffnung zusammengenäht werden. Der Eingriff wird mal kurz nach der Geburt vorgenommen, mal bei Mädchen zwischen vier und sechs, mal bei Siebzehnjährigen. Oft geschieht er ohne Betäubung, die verwendeten Instrumente sind häufig nichts besseres als Messer, Scherben oder Rasierklingen. Aber nicht nur deswegen prangert unter anderem die Unicef diese Sitte als barbarisches Ritual und schwere Menschenrechtsverletzung an, es geht auch um die möglichen Folgen: Dazu gehören schwere Blutungen, Schock, Infektionen, große Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, chronische Entzündungen, seelische Traumata wie Depressionen, Angstzustände und Psychosen. Geburten können lebensgefährlich sein. Auch in Deutschland gibt es Ärzte, die auf Wunsch Beschneidungen vornehmen, obwohl dies hierzulande als schwere Körperverletzung geahndet wird.

Mehrere prominente Frauen, darunter die Unicef-Botschafterin Sabine Christiansen sowie die Wirtschaftsexpertin Christa Müller (die Lebenspartnerin Oskar Lafontaines) haben auf dieses Problem aufmerksam gemacht. Das Top-Model Waris Dirie hat ihre eigenen Erlebnisse in ihrer Autobiographie "Wüstenblume" verarbeitet. Diries Buch wurde weltweit zum Bestseller.

Es gibt nun mehrere Einwände gegen die extreme Einseitigkeit, mit der die Debatte hierzulande geführt wird. Beklagt wird zunächst die Verwendung des Standard-Rasters, das heute bei Mann-Frau-Themen grundsätzlich angelegt wird. Beschneidung diene demnach lediglich dem einen Zweck, die Sexualität der Frau zu kontrollieren. Christa Müller nennt sie ein Zeichen für "Männerherrschaft", die Unicef-Direktorin Carol Bellamy sieht darin "Frauenhass" gespiegelt und prangert diesen Eingriff an als eine "rituelle Form von Gewalt gegen Frauen und Mädchen". Wie kommt es, möchte man mit Claudia Heyne und Katharina Rutschky fragen, dass hier kein Wort darüber verloren wird, dass es Frauen sind, die solche Eingriffe vornehmen? Hier wie in anderen Fällen wird die Täterschaft von Frauen ausgeblendet und damit absichtlich oder unbewusst eine Täterschaft von Männern suggeriert. Die Anthropologin Galahad etwa weist es als abstrus zurück, wenn die Beschneidung von "frauenrechtlerischen Kreisen, die hier eine Wollüstlingslaune wittern, komischerweise" als ein "Gipfel männlicher Brutalität gegenüber entrechteter Weiblichkeit" gesehen wird. Davon könne "nicht die Rede sein. Gerade in den alten, mächtigen Matriarchaten wurde die Operation von Frauen an Frauen ausgeführt und ist heute noch gerade bei Mutterrechtsvölkern typisch." Verboten wurde die Beschneidung im Lauf der Geschichte vor allem von Männern, in erster Linie solch patriarchalischen Exemplaren der Gattung wie Priestern der katholischen Kirche. Auch die Feministin Mary Daly weist in ihrem Buch "Gyn/Ecology" darauf hin, dass Beschneidung etwas ist, das Frauen durch Frauen angetan wird, und zitiert einen Augenzeugen: "Als die Klitoris herausgerissen wurde, heulten die Frauen vor Freude und führten sie in einer Parade durch die Stadt."

Aktuelle Umfragen und Studien, die von Entwicklungshilfeorganisationen, der UNO und anderen Institutionen durchgeführt wurden, haben ebenfalls immer wieder ergeben, dass die weitaus größte Mehrheit der Frauen in Ländern, in denen Mädchenbeschneidung durchgeführt wird, für diese Praxis ist.

Es werden aber nicht nur Frauen als Täterinnen ausgeblendet, sondern ebenso stark Männer als Opfer. Auch die Beschneidung von Knaben nämlich wird in Ländern der Dritten Welt nicht unter Narkose und mit sterilisierten chirurgischen Instrumenten, sondern mit sehr primitivem Werkzeug vorgenommen. Diese "kulturell legitimierte Form des gewalttätigen Übergriffs auf Jungen" wird zwar in unserer sehr einseitig ausgerichteten Betroffenheitskultur nicht thematisiert, ist aber ebenfalls sehr weit verbreitet, etwa in Afrika, Vorderasien, Indonesien und Australien. Kritiker bezeichnen sie als eine "planmäßige Desensibilisierung eines höchst sensiblen und lustspendenden Organs des Mannes".

Die Beschneidung stellt bei beiden Geschlechtern einen Initiationsritus dar (oder zumindest einen Teil davon). "Initiationsritus" bedeutet: Ein Mensch wird in die Gemeinschaft aufgenommen, indem er bewusst in eine Krisensituation gebracht wird, die seine Persönlichkeit neu begründen soll. Oft muss er eine Reihe von schmerzhaften oder demütigenden Prüfungen ablegen. Mitglieder des nigerianischen Tiv-Stammes etwa betrachten die Fähigkeit, Schmerz auszuhalten, als Grundvoraussetzung für die Ehe. Die jungen Männer werden verstümmelt, ihnen werden z. B. Zähne ausgeschlagen. Bei den Aborigines, den australischen Ureinwohnern, sowie auf mehreren Inseln des Westpazifischen Ozeans ist es Brauch, jungen Männern einige Wochen nach Entfernung der Vorhaut den Penis aufzuschlitzen, was eine vollständige oder partielle Spaltung der Harnröhre bewirkt: "In solchen Fällen hängt die beschnittene Vorhaut wie ein häßlicher, brauner Hautlappen herunter." Diese außerordentlich gefährliche Prozedur, die als Ariltha bekannt ist, hinterläßt eine schmerzhafte Wunde, die erst nach langer Zeit verheilt. Während der Rekonvaleszenz kann der Jüngling nur auf dem Rücken liegen. Es können sich ausgedehnte Infektionen bilden, die durchaus nicht selten tödlich enden. In Indonesien werden den Jungen zu Beginn der Pubertät Bambus- oder Metallkugeln, sogenannte Ampallangs, in den Penisschaft oder die Eichel eingesetzt, weil dadurch die Klitoris ihrer zukünftigen Partnerin besser stimuliert werden soll. Zu Beginn sind es kleine Kugeln, dann immer größere. Koreaner und einige phillipinische Ureinwohner machen das ähnlich. In Indien nähen alte Prostituierte Jungen, sobald sie in die Pubertät kommen, kleine Gold-, Silber- und Bronzeglöckchen in die Haut des männlichen Gliedes. "Dadurch, so behaupten sie, hätten ihre Männer mehr Ausdauer und würden sie viel besser befriedigen als wir armen Europäer." Undsoweiter.

(Die heftigsten Dinge lasse ich noch weg, man kann darüber aber ebenfalls in meinem Buch nachlesen.)

All dies sind aus unserer Perspektive grausame, hochgradig gefährliche und verantwortungslose Praktiken. Tatsächlich bleibt bei diesen Übergangsriten so mancher Junge verstümmelt oder tot auf der Strecke. Sie werden in der Regel von Männern an Männern ausgeführt, wenn auch oft zugunsten der Frauen – das exakte Gegenstück zur weiblichen Beschneidung.

Mit der Durchmischung der Kulturen fließt auch diese Tradition in unsere westliche Welt ein. So schnitt die 52jährige Joyce Moore aus dem New Yorker Harlem das Gesicht ihres Sohnes mit einem Paketmesser auf, bis es mit 120 Stichen genäht werden mußte. Ihre Familie stammte von dem nigerianischen Volk der Yoruba, wo dieser Brauch zum kulturellen Erbe gehörte. In solchen Fällen aber hört man KEINEN Aufschrei des Protestes, der durch die Welt geht.

Etliche Leser sind erschüttert von den Erlebnissen eines hübschen, weiblichen Fotomodells wie Waris Dirie, aber wer spricht z.B. von den Erfahrungen eines südafrikanischen Freiheitskämpfers und Nobelpreisträgers wie Nelson Mandela? Mandela schildert seine Beschneidung folgendermaßen:

"Ich hatte das Gefühl, dass Feuer durch meine Adern schoss; der Schmerz war so durchdringend, dass ich mein Kinn fest auf die Brust drückte. Viele Sekunden schienen zu verstreichen, ehe ich an den Ausruf dachte, dann erholte ich mich einigermaßen und stieß hervor: `Ndiyindoda!´ ... Ich schämte mich, weil die anderen Jungen viel stärker und tapferer gewesen zu sein schienen als ich. Ich fühlte mich elend, weil ich verstümmelt worden war ..."

Es gibt in den Gruppierungen, die sich mit dem Thema Beschneidung auseinandersetzen, eine intensive Diskussion darüber, ob man hier die eigenen westlichen Wertvorstellungen einer fremden Kultur aufdrängen darf. Die einen reklamieren für ihre Position, dass Menschenrechte unteilbar seien, die anderen sprechen von einem kenntnislosen Verurteilen anderer Vöker wie zu kolonialen Zeiten. In dieser Debatte kann und will ich hier nicht entscheiden. Was ich als Männerrechtler allerdings sagen kann, ist, dass es absurd und sexistisch ist, bei Frauen die Beschneidung als Zeichen von "typischem Frauenhass" zu beklagen und sie bei Männern vollkommen zu ignorieren.

Und damit diese Debatte auch korrekt in NEWS eingeordnet werden kann: Vorige Woche kamen bei einem südafrikanischen Initiationsritual, zu dem auch die Beschneidung von Jungen gehörte, zwanzig dieser Jungen ums Leben:

http://portal.telegraph.co.uk/news/main.jhtml?xml=/news/2001/07/23/wcirc23.xml&sSheet=/news/2001/07/23/ixhomef.html

Bereits am 14. August 2000 berichtete die britische BBC kritisch über Beschneidungen in Kenia:

http://news.bbc.co.uk/hi/english/world/africa/newsid_880000/880328.stm

Beide Seiten bieten Links zu diesem Thema; weitere Informationen und Quellenangaben gibt es in "Sind Frauen bessere Menschen?"

Arne, 28.7.01
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