Wann dürfen Staaten in anderen Staaten militärisch intervenieren?
Geschrieben von Hubert am 13. April 2003 22:01:10:
Wann dürfen Staaten in anderen Staaten militärisch intervenieren?
Beobachter weisen zunehmend auf humanitäre Erwägungen hin
NEW YORK, den 5. April 2003 (ZENIT.org).- Die monatelange Debatte über das Eingreifen der USA im Irak lenkte die Aufmerksamkeit auf das Thema Völkerrecht und die Rolle der UNO. Bis vor einigen Jahren galt die Souveränität der einzelnen Staaten als übergeordnet.
Wie Nicholas Wheeler in seinem Buch, Die Rettung Fremder: Humanitäre Intervention in der internationalen Gesellschaft, erklärte, beschränkt die UN-Charta den Einsatz von Gewalt seitens einzelner Staaten auf den Zweck der Notwehr. Auch die Anwendung von Gewalt, um Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu retten, wurde bis jetzt als Verstoß gegen die UN-Charta angesehen.
All dies könnte sich ändern. Verschiebungen in der internationalen Politik nach 1989 und eine höhere Gewichtung der Menschenrechte haben das Argument für humanitäres Eingreifen verstärkt. Wheeler, Dozent für Völkerrecht an der Universität von Wales, bemerkt dazu, dass ein solidaritätsorientiertes Verständnis von internationaler Gemeinschaft im letzten Jahrzehnt, bedingt durch eine realistische Weltsicht, an Bedeutung zugenommen hat. Dies habe dazu geführt, dass zunehmend anerkannt wird, dass die Staaten eine moralische Verantwortung haben, die Sicherheit von Bürgern anderswo zu schützen.
Humanitäres Eingreifen wird in zwei Situationen in Betracht gezogen; erstens in gescheiterten Staaten, in denen Chaos die Bevölkerung gefährdet; und zweitens, im Fall offensichtlich ungerechter Regierungen, die sich schwerer Verstöße gegen die Menschenrechte schuldig machen. In beiden Fällen fordert die öffentliche Meinung, schockiert durch Fernsehdarstellungen von Massentötungen und menschlichem Leiden, zunehmend, dass ihre Regierungen etwas tun.
Nichtsdestoweniger erzeugt der Gedanke an ein humanitäres Eingreifen Ängste davor, dass es für einzelne Staaten zum Vorwand dienen könnte, sich einzumischen -- oder dass es sie sogar in eine endlose Folge von militärischen Abenteuern verwickeln könnte.
Das Eintreten für ein militärisches Eingreifen um humanitärer Zwecke willen ist für Menschenrechtsverfechter immer eine problematische Forderung, räumte William F. Schulz, leitender Direktor von Amnesty International in den USA, in seinem Buch aus dem Jahr 2001 Zu unserem eigenen Besten ein. Militärisches Eingreifen sollte immer ein letztes Mittel sein, sagte er. Aber er beeilt, sich zu fragen: Was für Menschen wären wir, wenn wir es ganz und gar ablehnen würden, eine Intervention in Betracht zu ziehen, um dem Massenmord an unschuldigen Menschen Einhalt zu gebieten?
Eine Intervention wirft schwierige Fragen auf
Michael Walzer stellt im Vorwort zur dritten Ausgabe seines Buches Gerechte und ungerechte Kriege, fest: Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass die größte Gefahr, mit der die meisten Menschen in der Welt heute konfrontiert sind, von ihren eigenen Staaten ausgeht, und dass die Hauptschwierigkeit der internationalen Politik darin besteht, entscheiden zu müssen, ob gefährdete Menschen durch militärische Gewalt von außerhalb befreit werden sollten.Eine Intervention wirft eine Reihe schwieriger Fragen auf, stellt Walzer fest. Wie können wir bestimmen, was wichtiger ist: der Wert der Souveränität eines Staates oder die Rechte seiner Bürger? Welches Ausmaß müssen Massaker haben, damit man von systematischem Morden sprechen kann? Falls ein Eingreifen gerechtfertigt ist, wer soll es durchführen? Wie hoch dürfen die Verluste bei den Soldaten der Interventionsstreitmacht und bei der Zivilbevölkerung im Invasionsland sein? Welche Art von Frieden sollten die Invasionskräfte anstreben?
Ein Versuch, zu formulieren, wie eine Intervention durchgeführt werden sollte, war der im Dezember 2001 veröffentlichte Bericht der Internationalen Kommission über Intervention und staatliche Souveränität mit dem Titel Die Verpflichtung zum Schutz. Den Vorsitz der Kommission führten Gareth Evans, der Präsident der Internationalen Krisen-Gruppe und frühere Außenminister Australiens und Mohamed Sahnoun, der Sonderberater des UN-Generalsekretärs für Afrika - früher auch ranghoher algerischer Diplomat.
In einem Aufsatz, der in der November-Dezember-Ausgabe 2002 der Zeitschrift Foreign Affairs erschien, kamen sie erneut auf dieses Thema zurück. Dort bemerkten sie, dass die Erfolgsbilanz der internationalen Gemeinschaft bei der Lösung solcher Probleme, wie sie von Walzer angesprochen wurden, nicht durchgehend gut ist:
Der Einsatz der NATO im Kosovo im Jahr 1999 wurde ohne Zustimmung des UNO-Sicherheitsrats durchgeführt, weil sich die Mitgliedsstaaten nicht einig waren. Das Eingreifen in Bosnien erfolgte zu spät, und gegen die Massaker in Ruanda im Jahr 1994 wurde nichts unternommen.
Evans und Sahnoun schlagen in ihrem Artikel vor, dass es hilfreicher wäre, von einer Schutzverpflichtung zu reden als von einem Recht, zu intervenieren. Auf diese Weise könnte eine größere Bereitwilligkeit bestehen, eine aufkommende kritische Situation aus dem Blickwinkel der Hilfsbedürftigen zu betrachten. Der Artikel lenkt auch die Aufmerksamkeit darauf, dass eine Intervention nur stattfinden sollte, wenn der betreffende Staat seine eigenen Bürger nicht schützen kann.
Einer solchen Änderung des Blickwinkels liegt eine begriffliche Verschiebung im Verständnis von Souveränität zu Grunde: von der Kontrolle zur Verpflichtung. Diese Verpflichtung, erklärt der Artikel, hat zwei Aspekte: einen externen, die Souveränität anderer Staaten zu respektieren; und einen internen, die Würde und die Grundrechte aller Menschen innerhalb eines Staates zu respektieren.
Auch der Papst meldet sich zu Wort
Johannes Paul II. hat ebenfalls die Frage der humanitären Intervention geprüft. In seiner im Januar 1993 an das diplomatische Corps am Vatikan gerichteten Ansprache, lenkte der Papst die Aufmerksamkeit auf das, was er eine der bedeutendsten rechtlichen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts nannte: das Aufkommen des humanitären Rechts.
Dieser Wandel, erklärte er, bedeutet, dass jetzt erkannt worden ist, dass es Interessen -- solche der menschlichen Person -- gibt, die über jene des Staates hinausgehen. Sobald die Mittel der Diplomatie erschöpft sind und eine Vielzahl von Menschen von einem ungerechten Angreifer bedroht wird, dann haben die Staaten eine Verpflichtung, diesen Angreifer zu entwaffnen, wenn alle anderen Mittel versagt haben. Das Prinzip der Staatssouveränität darf nicht zu einem Schirm werden, hinter dem Folter und (politische) Morde stattfinden, betonte der Papst.
Der Heilige Vater gab eine detailliertere Darstellung seines Denkens über das Problem in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag vom 1. Januar 2000, in den Absätzen 7-12. Verbrechen gegen die Menschlichkeit können nicht als eine innere Angelegenheit eines Staates angesehen werden, stellte er fest. Wir müssen Gott dafür danken, dass in den Gewissen der Völker und Nationen die Überzeugung wächst, dass die Menschenrechte keine Grenzen haben, weil sie universell und unteilbar sind.
Bewaffnete Konflikte innerhalb von Staaten sind zahlreich, bemerkte der Papst. Sie beruhen auf einer Vielzahl von Ursachen: ethnischen Rivalitäten und Rivalitäten zwischen einzelnen Stämmen; religiösen Konflikten; ideologischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Differenzen.
Angesichts dieser tragischen und komplexen Situationen, sagte Johannes Paul II., ist es dringend notwendig, den überragenden Wert des humanitären Völkerrechts und die sich daraus ergebende Pflicht zu bekräftigen, das Recht auf humanitäre Hilfe für leidende Zivilpersonen und Flüchtlinge zu garantieren.
Die Legitimität dieses Rechtes, zu helfen, erklärte er, beruht in der Tat auf dem Prinzip, dass das Wohl der menschlichen Person Vorrang vor allem anderen hat und über allen menschlichen Institutionen steht. Sobald andere Mittel sich als unwirksam herausgestellt haben, ist es deshalb legitim und sogar verpflichtend, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um den Angreifer zu entwaffnen.
Er fügt jedoch eine Anzahl Faktoren hinzu, welche die Anwendbarkeit eines solchen Eingreifens einschränken. Außer dem Erfordernis, alle diplomatischen Mittel vorher auszuschöpfen, sagte er, muss die Intervention von begrenzter Dauer und präzise in ihrer Zielsetzung sein. Zudem müssen die getroffenen Maßnahmen in uneingeschränkter Achtung vor dem Völkerrecht durchgeführt und von einer Autorität, die international anerkannt ist, garantiert werden. Der Papst empfiehlt: Daher müssen alle von der Charta der Vereinten Nationen vorgesehenen Maßnahmen so vollständig und gut wie möglich ausgeschöpft werden,- im Rahmen des Völkerrechts.
Johannes Paul II. forderte eine Erneuerung des Völkerrechts und der internationalen Institutionen, eine Erneuerung, deren Ausgangspunkt und grundlegendes Organisationsprinzip der Vorrang des Wohls der Menschheit und der menschlichen Person vor jeder anderen Überlegung sein sollte.
Der Krieg im Irak stellt zurzeit das Thema der humanitären Intervention in den Schatten. Aber es ist ein Problem, das uns noch lange beschäftigen wird.
- Ich würde sagen, wenn sie stark genug dazu sind. (owT) JeFra 14.4.2003 16:53 (0)