England auf dem Weg in die Wirtschaftskrise ...

Geschrieben von Fred Feuerstein am 10. April 2003 17:03:18:

Als Antwort auf: Dollar wird crashen, Euro weiter steigen trotz weit. Kriege gg. Mächte des Bösen geschrieben von Fred Feuerstein am 10. April 2003 14:02:26:

Ende der 90er konnte das Vereinigte Königreich jahrelang
Haushaltsüberschüsse generieren. Als Gordon Brown (Labour)
1997 einen exzellenten Haushalt mit 2% Überschuß
von den Tories übernahm, schien er in den ersten beiden
Jahren den Konsolidierungskurs fortzusetzen.
Mittlerweile macht die exzessiven Ausgabenpolitik
ihn zu einem Risikofaktor innerhalb der ohnehin
strukturell angeschlagenen und überhitzten Wirtschaft.

Gordon Browns Haushalt (Fiskaljahr 2003):

Defizit 27 Mrd.Pfund bei 2,5-3% prognostiziertem Wachstum.
10 Mrd.Pfund off-balance für Network Rail. Ein Prozent
weniger Wachstum bedeutet 10 Mrd.Pfund zusätzliches
Haushaltsdefizit. Die Indikatoren zeigen im verarbeitenden
Gewerbe auf Rezession im dritten Jahr in Folge
(2001 -1,5%, 2002 -4,5%, Einkaufsmanager März: 46,1,
Produktion März yoy -0,7%). Im bis zuletzt boomenden
Servicegeschäft deuten die Indikatoren auf Stagnation
(50,5) hin. Bleibt die Stimmungslage gegenüber dem ersten
Quartal flach, so ist mit einem Wachstum von 1% eher als
den obengenannten 3% zu rechnen. Insgesamt ergibt das eine
Neuverschuldung von 50 Mrd. Pfund oder 4,5% des BIP.
Und das neuste Ausgabenprogramm (more teacher, more nurses,
more police) wird erst 2004 voll greifen. Steuererhöhungen
hat Brown zwar ausgeschlossen, aber es bestehen Zweifel
daran, ob er nicht doch dem unrühmlichen Vorbild Eichels folgt.

Immobilien-Blase

Wachstum 2002 der Immoblienpreise war knapp 30%.
Dieses Wachstum setzt sich nur leicht abgeschwächt auch
2003 fort.

Sinkende Sparquote

Ausgaben real um 4% gestiegen - trotz konstantem Realeinkommen.

Industrie
Prduktivität liegt bei 2/3 von der in Frankreich oder
Deutschland: In England wird Industrie deshalb häufig mit
Fließbandarbeit gleichgesetzt, ein enormes Nachwuchsproblem
ist die Folge. Die Zahl der Industriebeschäftigten liegt
gerade doppelt so hoch als in der Ex-DDR (bei 4mal so
viel Einwohnern): 3,6 Mio oder 14% der Gesamtbeschäftigten
mit einem erwarteten Verlust von weiteren 200.000
Arbeitsplätzen in diesem Jahr.

Ein Blick auf einzelne Unternehmen:

Corus: Die englischen und walisischen Produktionsstätten
der ehem. Bitish Steel fuhren in jedem der vergangenen
3 Jahre einen Verlust von über 400 Mio.Pfund ein, seit
1996 wurde so gut wie überhaupt nicht investiert.
Mein Tip: Abwicklung des größten Teils der Standorte,
Verlust des Großteils der 26.000 Arbeitsplätze.

Invensys: Aus den Elektromultis BTR und Siebe, die
zusammen mal über 20 Mrd.Pfund an der Börse wert waren,
hervorgegangen, wird die Nachfolgefirma Invensys nach
und nach zerschlagen. Einen neg.Buchwert und ein 1,1-Mrd.-
Defizit in der Pensionskasse machen das selbständige
Überleben unwahrscheinlich. In den vergangenen 3 Jahren
ist die Zahl der weltweit beschäftigten um 100.000 auf
50.000 zurückgegangen.

ICI: Lage ähnlich wie bei Invensys: Katastrophale Bilanz,
weniger Investitionen als die Konkurrenz, sehr niedrige
Marge, langfristiges Überleben gefährdet. In England sind
nur noch 5.000 MA beschäftigt.

BAE Systems: Statt innerhalb der europäischen Konsolidierung
den Ton anzugeben, zieht man sich aus dem Zivilluftbau
nach und nach zurück und wird den Juniorpartner bei
einer Fusion mit Boeing oder Lockheed Martin machen.
Das Verhältnis zu dem mit Abstand bedeutendsten Abnehmer,
dem britischen MoD, ist nach mehreren starken
Kostenüberschreitungen stark zerrüttet. Seit Beginn des
Jahres 2000 Entlassungen angekündigt.

Marconi/GEC: Personal in Großbritannien auf 5% der Stärke
von 1975 (damals 250.000). Nach der Quasi-Insolvenz in
Folge der Konzentration auf das Telekommunikations-
Ausrüstungsgeschäft ist der Restbetrieb in keiner
Hinsicht in der Lage, mit den Branchengrößen wie Siemens,
Alcatel oder Cisco zu konkurrieren.

Vergleichbar mit Rover, wo ich mir keinen Grund
ausdenken kann, warum Rover im Wettbewerb mit Konkurrenten,
die das 10fache des Umsatzes von Rover investieren,
bestehen könnte.

Toyota und Honda drohen, ihre chronisch defizitären
englischen Produktionsstätten zu schließen. Alstom droht,
die englische Niederlassung (bestehend zum größten
Teil aus dem Schienenfahrzeugbau der vormaligen GEC)
auf 50% der jetzigen Personalstärke (14.000) zu kürzen.

Alle drei Unternehmen führen ihre Verluste in England
im wesentlichen auf die Nichteinführung des Euro
zurück. Die schlechte Stimmung gegenüber der Gemeinschaftswährung
innerhalb der Bevölkerung veranlassen die Regierung dazu,
einen Termin über eine Volksabstimmung bis zum Jahr 2005
auszuschließen. Gleichzeitig wird das Vereinigte
Königreich wahrscheinlich in diesem Jahr 4 der 5
Konvergenzkriterien brechen (alle bis auf das Kriterium,
daß die Gesamtverschuldung weniger als 60% des BIP
ausmachen sollte).


Weitere Probleme:

Fallende Ölpreise setzen die alternden Nordsee-Förderstätten unter Druck.

Leitzinsen (3,75%) sind zwar höher als in Amerika und der
Euro-Zone, aber trotzdem auf 48-Jahres-Tief.

Insgesamt (laut FT) beläuft sich das Pensionskassendefizit
auf 100 Mrd.Pfund allein für den FTSE 100 trotz
zugrundgelegter rosiger Renditeerwartungen von über 9%.

Blair hat dem linken Parteiflügel von Labour zugestanden,
den Mindestlohn von 4,20 bis 2004 um 10% gesetzlich
anzuheben.

Die Infrastruktur wurde sehr stark vernachlässigt - siehe
die jetzt notwendig werdenden Notbeihilfen für Network
Rail, der umbenannten insolventen Railtrack. Weitere
Unternehmen, die z.Zt.massiv vom englischen Steuerzahler
unterstützt werden, schließen International Power (größter
britischer Atomstromproduzent und Consignia (ex Royal Mail)
ein. Die Beihilfen sind nicht Bestandteil des
ordentlichen Haushaltes.

Fazit:
Ich sehe für England sehr schwarz. Die Industriestruktur
ist schwächer als in Ostdeutschland. Gleichzeitig
beruht das gesamte Wachstum auf einem Anheizen des
Immobilienmarktes und einer sinkenden Sparquote.
Ein Aufhellen der Weltkonjunktur hätte nur beschränkt
positve Auswirkungen auf England, weil die Industrie,
die über 60% des Gesamtexportes ausmacht, nicht
wettbewerbsfähig ist und so wenig investiert wie seit 20
Jahren nicht mehr. Gleichzeitig kann ein Platze der Blase
in England zu einer Abwärtsspirale führen, ohne daß der
Export die Lage großartig stabilisieren könnte.



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