N: Putin und die Scharfmacher im eigenen Land

Geschrieben von Freiwild am 09. April 2003 02:10:37:

Als Antwort auf: N: NACHRICHTEN (o.T.) geschrieben von MP42 am 09. April 2003 00:00:04:

Das Geschehen erinnert mich irgendwie an die Warnung von 'deGard'
vor der Täuschung des Westens.....
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Porträt

Schmallippig im Kreml

Wladimir Putin wollte Russland nach Westen führen. Das ist schief gegangen. Jetzt streitet er mit Amerika – und mit den Scharfmachern im eigenen Land

Von Johannes Voswinkel

Moskau

Als US-Präsident George W. Bush seinen russischen Kollegen Wladimir Putin zum ersten Mal traf, schaute er ihm tief in die blauen Augen und sah, wie er dann erzählte, „in seine Seele“. Vielleicht würde Bush heute in einen Abgrund blicken. Monatelang haben es die beiden Staatsmänner vermocht, ihre Freundschaft trotz aller unterschiedlichen Positionen zu wahren. Doch mit dem Krieg im Irak, scheint es, gerät das Fundament der Anti-Terror-Koalition ins Wanken. „Zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Krieges wird die internationale Gemeinschaft mit einer solch ernsten Krise konfrontiert“, warnte Putin am vergangenen Freitag. Zwar lieferte Moskaus höchster Außenpolitiker im Kampf um den UN-Sicherheitsrat ein taktisches Glanzstück ab. Im Angesicht der irakischen Schlachtfelder könnte er aber die guten Beziehungen zu Washington verspielen.

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Wochenlang spielte das russische Diplomatenorchester unter Leitung von Wladimir Putin meisterlich eine Symphonie, aus der jeder seine Lieblingsweise heraushören konnte.

Mal lockend, mal bedrohlich und dann wieder einlullend klang die Melodie.
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Die Welt lauschte gebannt und ignorierte das Ergebnis des Verfassungsreferendums in Tschetschenien mit einer verdächtig sowjetischen Zustimmung von knapp 100 Prozent.

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Der Präsident folgt seiner alten Vorsichtsregel, mit einem Sphinx-Blick abzuwarten, bis sich andere den Mund verbrennen. Eine Taktik, die seiner früheren KGB-Schulung entspringt: Wenig reden, viel zuhören, nicht hastig entscheiden. Doch nun ist er Präsident und überlässt so den Traditionalisten der Außenpolitik die Bühne. Sie wollen das Land in Schaukämpfe um Russlands Großmachtbild zurückführen.

Die Duma verabschiedet eine Resolution gegen die amerikanischen „Aggressoren“ im Irak und verschiebt die Ratifizierung des Abrüstungsvertrages mit den USA, obwohl gerade er für die unterfinanzierten Streitkräfte ein Segen wäre. In den extremistischen Reihen kommt gar die Forderung nach einem Kriegseintritt an der Seite der Iraker auf. Und der Armee-Hardliner Leonid Iwaschow redet einer europäischen Koalition gegen die US-Hegemonie das Wort. In Amerika, empört sich der General, herrsche ein „strenges Polizeiregime mit Medienzensur“. Russische Fernsehsender schüren derweil die Hysterie, um danach das Publikum über den gewünschten Sieger der Schlacht um Bagdad abstimmen zu lassen – wie bei einem Schlagerwettbewerb.

Noch finden auch die nüchternen Betrachter Gehör. Sie werfen sich in die Bresche, wo Putin schweigt. Der Vorsitzende des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik, Sergej Karaganow, konstatiert: „Für die USA sind unsere gemeinsamen Beziehungen nicht so wichtig wie für uns, denn wir sind ärmer und schwächer. Wir müssen rational entscheiden und den Schaden gering halten.“ Denn Russland bleibt bei der Abwehr des Terrorismus aus Mittelasien, bei der Vernichtung von Waffenplutonium und Chemiekampfstoffen und selbst der Quotenvergabe für Stahlimporte von Washington abhängig.

Der Präsident steckt im selbst verschuldeten Dilemma: Wenn er sich vor Amerika stellt, wird ihm dies als Kapitulation vor dem Erzfeind angekreidet. Bricht er jedoch seine außenpolitische Linie der Partnerschaft mit den USA, handelt er gegen die Interessen Russlands und bestärkt die Falken. Er wird sich entscheiden müssen. „Jemand, der sich so verschlossen gibt“, orakelt eine Bekannte des Präsidenten, „ist zu überraschenden Handlungen in der Lage.“

(c) DIE ZEIT 15/2003





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