N Europa muß wieder mal 'nachsitzen'

Geschrieben von Freiwild am 05. April 2003 11:29:44:

Als Antwort auf: NACHRICHTEN! oT (o.T.) geschrieben von Guerrero am 05. April 2003 03:46:49:

wie im Flugzeugbau muß Europa wieder mal 'nachsitzen :
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Wer lenkt den Leitstern?

In Kriegszeiten wird das Monopol der Amerikaner in der Satellitennavigation besonders deutlich. Jetzt entscheiden die Europäer über ihr eigenes System

Von Dirk Asendorpf

Die Autolobby ist in Aufruhr. „Als Konsequenz des Irak-Krieges müssen Autofahrer auch in Europa mit Irrfahrten rechnen“, warnt der ADAC, und die Konkurrenten vom AvD sehen schon „Hunderttausende von Autofahrern“ orientierungslos an Straßenkreuzungen verzweifeln. Der Grund für die Aufregung: Rund 2,5 Millionen Autos in Deutschland und 4 Millionen in Europa sind mit Navigationssystemen ausgestattet, die Daten des Global Positioning System (GPS) nutzen. Die 30 GPS-Satelliten, die in einer Höhe von 23000 Kilometern im 12-Stunden-Takt die Erde umkreisen, gehören dem amerikanischen Militär. Während des Krieges, so die Befürchtung, könnte die zivile Nutzung des Systems abgeschaltet oder zumindest stark eingeschränkt werden, um zu verhindern, dass sich irakische Truppen damit orientieren. Technisch wäre das durchaus möglich, passiert ist es aber bisher nicht.

Und das hat auch einen politischen Grund. An diesem Donnerstag wollen die Verkehrsminister der EU nämlich endgültig über den Aufbau von Galileo, einem eigenen europäischen Satellitennavigations-System, entscheiden. Grundsätzlich wurde Galileo zwar schon vor einem Jahr beschlossen, ein Streit zwischen Italien und Deutschland um die Frage, wer die industrielle Führung bei der Entwicklung übernimmt, hat den Beginn der Arbeiten jedoch bis jetzt verzögert. Franco Bonacina, Sprecher der Europäischen Raumfahrtagentur, Esa, versichert zwar, der Einfluss des Irak-Krieges auf die europäische Entscheidung sei „sehr, sehr gering“. Und doch könnte eine Verschlechterung des amerikanischen GPS- Systems aus militärischen Gründen genau das Argument sein, das für die Überwindung des deutsch-italienischen Konflikts noch nötig ist. Damit könnte das Ende des amerikanischen Monopols auf die Technik hinter dem Milliardenmarkt der Satellitennavigation eingeläutet werden.

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...Schon im Kosovo-Krieg seien die Auswirkungen jedoch geringer gewesen. Der Grund dafür liegt vor allem im Einsatz so genannter Referenzsignale. Zahlreiche europäische Funkstationen senden Signale aus, mit denen die GPS-Satellitendaten abgeglichen werden können. Die Europäer betreiben sogar einen eigenen Satelliten namens Egnos, mit dessen Hilfe sich unscharfe GPS-Daten korrigieren lassen. „Mit Referenzsignalen kommen wir in Deutschland inzwischen auf 60 bis 70 Zentimeter Genauigkeit“, sagt Patrick Noack von der Firma geo-konzept, einem bayerischen Hersteller von Navigationssystemen. Selbst bei einer Konzentration der GPS-Satelliten über dem Irak bleibe die Kapazität des Systems hierzulande völlig ausreichend.

Das bestätigt auch das Hamburger Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie. „Es gab immer wieder Befürchtungen und Spekulationen“, sagt dessen Sprecherin Gudrun Wiebe, „bestätigt haben sie sich aber nie.“ Auch von angeblichen Problemen in der Adria-Schifffahrt während des Kosovo-Krieges weiß sie nichts. Und unerkannt würde so etwas gewiss nicht bleiben, denn in mehreren Ländern werden die GPS-Signale täglich überprüft und die Messergebnisse im Internet veröffentlicht.

„Vasallen der USA“

Aber wofür wird dann eigentlich noch Europas Galileo-System gebraucht? 1,1 Milliarden Euro soll die Entwicklung kosten, weitere 2,5 Milliarden die Installation der insgesamt 30 Satelliten. Das koste „nicht mehr als 150 Kilometer Autobahn“, versicherte die EU-Verkehrskommissarin Loyola de Palacio. Dazu kommen jedoch noch einmal jährlich 200 Millionen Euro Betriebskosten nach der für 2008 geplanten Fertigstellung. Zwar geht eine von der EU in Auftrag gegebene Wirtschaftlichkeitsstudie davon aus, dass der direkte ökonomische Nutzen von Galileo die Kosten um das 20-fache übersteigen werde und dabei über 100000 neue Arbeitsplätze abfallen würden, die Begeisterung der Geoinformations- Industrie ist trotzdem äußerst gering. Schließlich stellten die Amerikaner die zivilen GPS-Daten bisher kostenlos zur Verfügung, die EU möchte sich jedoch zwei Drittel der Galileo-Kosten durch den Verkauf von Nutzungslizenzen wieder hereinholen.

Und so sind es letztlich doch politische Interessen, die hinter Galileo stehen. Schon ein 48-stündiger Ausfall des GPS-Systems im Jahr 2015 würde einen Verlust von einer Milliarde Euro für Europas Wirtschaft bringen, hat das Europäische Parlament ausrechnen lassen. Ohne eigene Satelliten werde Europa unweigerlich zum „Vasallen der USA“, klagt Frankreichs Präsident Jacques Chirac, „zunächst wissenschaftlich und technisch, später auch industriell und ökonomisch“. Eine Sprache, auf die die Amerikaner empfindlich reagieren. In einem Brief forderte der stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz einen vorläufigen Stopp der europäischen Planungen, um „gefährliche Auswirkungen zu verhindern“. Gemeint war damit die Möglichkeit, dass Terroristen und Kriegsgegner die auf drei Meter genauen europäischen Navigationsdaten nutzen werden, ohne dass das US-Militär dies noch verhindern könnte.

Für den Fall, dass es während des Irak-Krieges doch noch zu spürbaren Einschränkungen des GPS-Systems kommen sollte, haben die Autofahrerverbände übrigens einen praktischen Tipp für ihre Mitglieder: „Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte den guten alten Autoatlas in greifbare Nähe legen.“

(c) DIE ZEIT 27.03.2003 Nr.14

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