N Wenn der Kern spinnt - Erdmagnetfeld...Polsprung
Geschrieben von Freiwild am 05. April 2003 11:03:14:
Als Antwort auf: NACHRICHTEN! oT (o.T.) geschrieben von Guerrero am 05. April 2003 03:46:49:
Wenn der Kern spinnt
Das Erdmagnetfeld schwindet und damit unser Schutz vor kosmischer Strahlung. Während die Geophysiker noch rätseln, weiß Hollywood schon Rat: In dem Film „The Core“ wird der Erdkern mit Atombomben repariert
Von Max Rauner
[Abstract] Seit den ersten Messungen vor 170 Jahren hat die Stärke des Erdmagnetfeldes um etwa 10% abgenommen, danach wäre es in ein paar tausend Jahren verschwunden. Derzeit lenkt es den Strom elektrisch geladener Teilchen aus der Sonne zu den Polen. Ohne das Feld könnten die Ozonschicht beschädigt und Einrichtungen wie Funk und Digitalsysteme zusammenbrechen. Im Experiment wurde nachgewiesen, wie der Erddynamo wohl funktioniert: Im Erdinneren rotiert Lava in kilometerbreiten Säulen parallel zur Erdachse, die als Konvektionswalzen einen Ring um den festen Erdkern bilden und deren Bewegung sich wie ein Dynamo in elektrische Ströme umwandelt. Diskutiert wird nun, ob der magnetische Nord- und Südpol gerade ihre Plätze tauschen, so wie es alle paar hundertausend Jahre geschieht. Während der Umpolung nähme das Magnetfeld vorrübergehend stark ab.
----------------vollständiger Artikel - weil meiner Meinung nach - wichtig
Wenn der Kern spinntDas Erdmagnetfeld schwindet und damit unser Schutz vor kosmischer Strahlung. Während die Geophysiker noch rätseln, weiß Hollywood schon Rat: In dem Film „The Core“ wird der Erdkern mit Atombomben repariert
Von Max Rauner
In Boston fallen 32 Menschen mit einem Herzschrittmacher tot um. Auf dem Londoner Trafalgar Square flattern die Tauben orientierungslos gegen Doppeldeckerbusse. In San Francisco verschmoren Autofahrer bei lebendigem Leib. So gerät die Welt aus den Fugen, wenn das Erdmagnetfeld schwindet. Jedenfalls in Hollywood.
In dem Film The Core – Der innere Kern, der kommende Woche in den Kinos anläuft, geschieht Schreckliches: Der rotierende, flüssige Kern der Erde kommt zum Stillstand. Dadurch wird das vom Erdkern erzeugte Magnetfeld schwächer, und der Globus verliert seinen Schutzschild. Kosmische Strahlen drohen alles Leben zu vernichten. Doch es naht Hilfe, natürlich aus Amerika. Dort beraten die Militärs im Bunker, die weltbesten Wissenschaftler werden zwangsrekrutiert, zwei Nasa-Astronauten umgeschult. Mit einem wurmartigen Erdschiff brechen die „Terranauten“ ins Innere der Erdkugel auf, um den Kern mithilfe von Atombomben wieder anzuschieben. Nach zwei Stunden Science-Fiction darf der sympathische Geophysiker die schöne Astronautin küssen. Die Lava rotiert wieder.
Ein globaler Schwächeanfall?
Der Plot wirkt fantastisch überzogen, hat aber einen wahren Kern: Das Erdmagnetfeld nimmt tatsächlich ab. Zwar schwindet es nicht – wie im Film – innerhalb eines Jahres, aber für geologische Maßstäbe erstaunlich schnell. Seit den ersten Messungen vor 170 Jahren hat seine Stärke um etwa zehn Prozent abgenommen. Wenn das so weitergeht, wäre das Erdmagnetfeld in ein paar tausend Jahren fast verschwunden – mit dramatischen Folgen. Derzeit nämlich lenken die Feldlinien den Strom elektrisch geladener Teilchen aus der Sonne, den Sonnenwind, zu den Polen (siehe Grafik). Dort ruft die kosmische Strahlung Polarlichter hervor und legt – wie etwa 1989 in Québec – auch schon mal das Stromnetz lahm. Ohne das Magnetfeld würden die Teilchen auch in niederen Breiten auf die Erde treffen. Die Atmosphäre schützte zwar die Menschen vor der direkten Wirkung dieser Strahlung. Doch der Sonnenwind könnte die Ozonschicht angreifen und so indirekt das irdische Leben bedrohen. Auch technische Einrichtungen wären gefährdet, Hunderte Satelliten könnten ausfallen, Navigationssysteme, Funkverkehr und Fernsehprogramme zusammenbrechen. Ob der worst case je eintreten wird, weiß niemand. Es lasse sich nicht berechnen, ob und wann das Magnetfeld verschwindet, bekannte unlängst der Chef des Geoforschungszentrums Potsdam (GFZ), Rolf Emmermann.
Schon länger rätseln die Experten, ob das Erdmagnetfeld kurz vor einer Umpolung steht. In der Vergangenheit tauschten magnetischer Nord- und Südpol alle paar hunderttausend Jahre ihre Plätze. Das dokumentieren magnetisierte Gesteinsschichten am Ozeanboden. Während der Umpolung nimmt das Magnetfeld vorübergehend stark ab. Die letzte Polwanderung ist 780000 Jahre her, die nächste ist längst überfällig. Sollte es tatsächlich so weit sein, ginge alles relativ schnell: Nach ein paar tausend Jahren wäre der Nordpol in der Antarktis angekommen. Vielleicht handelt es sich beim derzeitigen Schwund aber auch nur um eine vorübergehende Schwäche. Mit besseren Computersimulationen, Satellitendaten und neuen Laborexperimenten versuchen die Geophysiker dies zu klären.
Vor drei Jahren schickte das Geoforschungszentrum Potsdam den Satelliten Champ ins All, um das Erdmagnetfeld mit Rekordgenauigkeit zu vermessen. In anderthalb Stunden fliegt Champ einmal um die Erde. Alle drei Tage erstellen die Instrumente einen Magnetatlas der gesamten Erdoberfläche. Um die hohe Genauigkeit zu erreichen, müssen die Geräte immer wieder mühsam kalibriert werden. Zu solch einer akribischen Höchstleistung seien nur die Deutschen fähig, heißt es im Ausland.
Den jüngsten Daten zufolge nimmt die magnetische Feldstärke derzeit um 6,6 Prozent pro Jahrhundert ab. Über dem Südatlantik, zwischen Kapstadt und Buenos Aires, hat das Magnetfeld jetzt schon eine bedrohliche Delle. „Dort ist es um fast 50 Prozent schwächer, als wir erwarten würden“, sagt Stefan Maus vom GFZ, der die Satellitendaten auswertet. Die Geophysiker sprechen von der „südatlantischen Anomalie“. Im Klartext: An dieser Stelle hat der magnetische Schutzschild ein Loch. „Manchmal streikt die Elektronik, wenn der Satellit den Südatlantik überfliegt“, sagt Maus. Und die CCD-Chips der Sternenkameras, mit denen der Satellit seine Position bestimmt, haben von dem Teilchenbombardement schon ein paar blinde Flecken bekommen. Die meisten Satelliten werden heute so programmiert, dass sie die Gefahrenzone meiden – ein Vorgeschmack auf die Zukunft?
Guter Rat vom Professor
„Es ist möglich, dass wir vor einer Umpolung stehen“, sagt Gary Glatzmaier von der University of California in Santa Cruz, „ich halte eine vorübergehende Abschwächung aber für wahrscheinlicher.“ Glatzmaier programmierte 1995 das erste Computermodell, das eine Umpolung simulieren konnte. The Core hat er noch nicht gesehen, die Handlung kennt er aus dem Internet.
Als die Dreharbeiten schon begonnen hatten, riefen die Filmemacher bei dem Professor an, um sich beraten zu lassen. Er lehnte ab – „ich befürchtete, der Film würde meinem Forschungsgebiet schaden“. Jetzt wird im Abspann dem California Institute of Technology gedankt. „Die Produzenten haben ihren Rat bekommen, aber sie haben ihn ignoriert“, frotzelt Glatzmaier. Es sei völlig unrealistisch, ins Innere der Erde abzutauchen. Die Idee findet er gleichwohl faszinierend: „Es wäre toll, da unten einige Hypothesen zu testen.“
Offene Fragen gibt es genug: Welche chemischen Elemente bilden neben Eisen den Kern der Erde? Wie genau funktioniert der Geodynamo, der das Magnetfeld erzeugt? Und warum schwächelt das Feld unter dem Südatlantik?
Glatzmaier vergleicht die Geophysik mit der Klimaforschung: Die physikalischen Gleichungen sind zwar bekannt. Doch ähnlich wie das Wetter folgt das flüssige Eisen im Erdkern nichtlinearen Gesetzen. Turbulente Strömungen erschweren die Vorhersage. Während die Klimaforscher mit ihren Satelliten und Ballons in der ganzen Atmosphäre Daten sammeln können, sitzen die Geophysiker auf der Oberfläche einer fast 13000 Kilometer dicken Kugel, die sie allenfalls ankratzen. Tiefer als 10 Kilometer können sie nicht bohren. Daher versuchen Seismologen das Erdinnere anhand von Erdbebenwellen zu rekonstruieren, die sich über den Globus ausbreiten – ähnlich wie der Frauenarzt per Ultraschall einen Embryo sichtbar macht.
Wie Mutter Erde im Bauch aussieht, ist in groben Zügen bekannt. Vom Zentrum bis zur Erdoberfläche ist es ungefähr so weit wie von Berlin nach New York. Wäre Berlin der Erdmittelpunkt, würde der feste Kern aus Eisen und Nickel bis an die französische Atlantikküste reichen. Danach käme der flüssige Kern. Etwa auf halber Strecke nach New York würde der zähflüssige Mantel beginnen. Dieser besteht aus lavaähnlichen Verbindungen von Silizium, Sauerstoff, Magnesium und Eisen. Erst auf Long Island, 40 Kilometer vor Manhattan, würde man auf die Erdkruste stoßen.
Vor zwei Wochen erklärten japanische Forscher in der Zeitschrift Nature, dass die Erde aus Meteoriten und Miniplaneten entstanden ist, deren Kernstruktur der heutigen Erde ähnelte. Unter dem Druck der Gravitation formten sie die Erde. Eisen löste sich aus dem Mantelgestein und sickerte zum Zentrum, wo es sich nach und nach verfestigt. Eines Tages wird die Erde erkalten wie der Mond, doch bis dahin treibt die urzeitliche Hitze die Wärmewalze an. Nach der gängigen Theorie wird der flüssige Kern durch Hitzeunterschiede in Bewegung gehalten wie das Öl in einer heißen Bratpfanne. Durch die Erdrotation wirken zusätzliche Corioliskräfte, die die Lava in kilometerbreiten Säulen parallel zur Erdachse rotieren lassen. Diese Konvektionswalzen bilden einen Ring um den festen Erdkern, wie der Bayreuther Geophysiker Friedrich Busse in den siebziger Jahren postulierte. Seitdem vermutet man, dass die Walzen wie ein Dynamo wirken, der Bewegung in elektrische Ströme umwandelt. Und wo ein Strom fließt, wird ein Magnetfeld erzeugt. „Der Erddynamo funktioniert aber ganz anders als ein Fahrraddynamo“, erklärt der Göttinger Geophysiker Ulrich Christensen. Während im Fahrraddynamo Drähte den Strom auf festgelegte Bahnen zwingen, wirke das Eisen im Erdkern „wie ein Kurzschluss“. In Computermodellen konnte gezeigt werden, dass auch eine rotierende Eisenkugel einen Dynamoeffekt hervorrufen kann.
Allerdings blieben viele Experten dieser Theorie gegenüber skeptisch. Denn einige Annahmen in den Computersimulationen sind extrem unrealistisch: In der virtuellen Modellwelt hat beispielsweise die Eisenschmelze die Konsistenz von kaltem Honig. Dabei ist Eisen bei mehreren tausend Grad so dünnflüssig wie Wasser – und das führt zu turbulenten Strömungen, die selbst Superrechner überfordern. Daher rechnet man, wider besseres Wissen, lieber mit der Honigkonsistenz. Dieser Stand der Erdforschung spiegelt sich ganz realitätsgetreu auch in einer Szene in The Core: Als die Terranauten vom Mantel in den flüssigen Erdkern eindringen, wird das Erdschiff unerwartet schnell. Die Geophysiker an Bord beginnen hektisch zu rechnen – und finden einen Fehler in ihren Simulationen. Sie hatten die Dichte falsch abgeschätzt.
Um sich nicht nur auf Computermodelle zu verlassen, begannen deutsche und lettische Geophysiker vor einigen Jahren, die Erde nachzubauen. Ihr Labor- Experiment sollte die letzten Zweifler von der Dynamotheorie überzeugen. Allerdings, wie eine Erdkugel sieht der mannshohe Stahltopf am Forschungszentrum Karlsruhe wahrlich nicht aus. Robert Stieglitz, der das Experiment konstruiert hat, spricht denn auch lieber von seinem „Eimer“. „Das baut Ihnen keine Firma“, sagt der Ingenieur stolz. Mit der Leistung eines Formel- 1-Wagens wird flüssiges Natrium durch armdicke Stahlrohre auf Spiralbahnen getrieben und soll die Konvektionswalzen im Erdinneren simulieren. Das hoch reaktive Natrium kann zwar schon bei Kontakt mit Wasser explodieren. Dennoch eignet es sich für das Simulationsexperiment besser als Eisen, da Natrium bereits bei 98 Grad Celsius flüssig wird. Die drei Pumpen hat Stieglitz zum Schrottwert vom stillgelegten Brüter in Kalkar bekommen, den speziellen Kernphysiker-Humor hat er auch übernommen: „Wenn man da Wasser draufsprüht, wird die Halle warm entsorgt, trallala, hopsassa.“ Wenn das Experiment läuft, verzieht er sich in die abgesicherte Schaltzentrale. Bezeichnenderweise hängt das Poster, auf dem das Experiment erklärt wird, an der Tür zum Notausgang.
Vor zwei Jahren konnten die Karlsruher tatsächlich zeigen, dass ihr erdähnlicher Dynamo aus flüssigem Metall ein stabiles Magnetfeld ausbilden kann. Damit war der experimentelle Nachweis für die Dynamotheorie geliefert. „Der genaue Verlauf der Strömung ist erstaunlich unwichtig“, sagt der Göttinger Geophysiker Andreas Tilgner, der das Experiment mit ausgewertet hat. Auch die Turbulenzen in den Rohren würden das Magnetfeld nicht sonderlich stören. Das könnte bedeuten: Um das Zustandekommen des Erdmagnetfelds zu erklären, muss man gar nicht genau wissen, was im Inneren der Erdkugel vor sich geht.
Nach Ostern wollen die Wissenschaftler ihre Minierde nochmal anwerfen, um mit neuen Sensoren die Geschwindigkeiten in der Natriumströmung zu messen. Anschließend wird das Experiment eingestellt. Wie das Erdmagnetfeld sich umpolt, kann man mit dem Karlsruher „Eimer“ leider nicht simulieren. Grund: Dort wird das flüssige Metall auf eine festgelegte Bahn gelenkt – in der echten Erde dagegen ist die Schmelze frei. In neuen Experimenten in den USA, Frankreich und Lettland soll daher das Natrium freier zirkulieren. So ließe sich studieren, wie das Magnetfeld auf die Strömung zurückwirkt. Vielleicht erklären sie auch die mysteriöse Delle über dem Südatlantik.
Satellitenmessungen zeigen, dass sich das Erdmagnetfeld dort erstaunlich schnell abschwächt. An einigen Stellen haben sich die Feldlinien sogar schon umgekehrt: Das „N“ auf dem Kompass zeigt zum geografischen Südpol. Zum Glück verlassen sich Segler heute nicht mehr auf den Kompass, sondern auf GPS- Empfänger. Eine französisch-dänische Forschergruppe macht für die lokale Feldumkehr einen Antidynamo verantwortlich: Strom auf der Gegenfahrbahn. Noch eine Hypothese mehr.
Die Erdwissenschaft hat aufregende Jahre vor sich. Vielleicht sollten die Geophysiker einmal jene Methode erproben, die in The Core Erfolg hat: Dort verspricht Professor Josh Keyes (Aaron Eckhart) Doktoranden, er würde die Promotionsurkunden blind unterzeichnen, wenn sie den Magnetfeldschwund simulieren. Nach 24 Stunden haben sie die Lösung.
- Re: N Wenn der Kern spinnt - Erdmagnetfeld...Polsprung Napoleon 05.4.2003 12:18 (0)