N - Polen Neuwahlen ?
Geschrieben von Freiwild am 04. April 2003 03:05:15:
Als Antwort auf: NACHRICHTEN (o.T.) geschrieben von IT Oma am 04. April 2003 00:04:19:
Ministerpräsident Miller spricht von vorgezogenen WahlenNach zwei Ministerrücktritten in den letzten zwei Tagen hat der polnische Regierungschef Miller die Möglichkeit von vorgezogenen Wahlen im Frühsommer 2004 erwähnt. Allerdings will er einen solchen Urnengang vom Wohlverhalten der Opposition abhängig machen. In der Bevölkerung verliert Miller zusehends an Rückhalt. »
- geplante 'Strukturreformen' nicht durchsetzbar
- Bestechungsaffären
- 'Jobs für Kumpane'
- Miller der exkommunistische Pate
- 'Privatisierungen' unpopulär ...
-------------------------------------------------------Im Kabinett des polnischen Ministerpräsidenten Leszek Miller geht es zunehmend chaotisch zu. Nachdem, wie bereits kurz gemeldet, der Gesundheitsminister Marek Balicki am Dienstag und der Privatisierungsminister Slawomir Cytrycki am Mittwoch den Rücktritt eingereicht hatten, sprach der Regierungschef erstmals von der Möglichkeit vorgezogener Neuwahlen. Man befinde sich auf der «Schwelle zu einer neuen Realität», sagte Miller, und da könne es hilfreich sein, Parlament und Regierung mit einem neuen demokratischen Mandat auszustatten. Es sei denkbar, sagte Miller, die Wahlen um über ein Jahr auf den 13. Juni 2004 vorzuverlegen, auf den Tag also, an dem die Polen - vorausgesetzt, sie sagen Ja zur EU - erstmals ihre Abgeordneten für das Europäische Parlament bestimmen.
Deutlicher Wink des Präsidenten
Festlegen wollte sich Miller allerdings nicht. Dafür warnte er seine Gegner in aller Deutlichkeit vor weiterer Obstruktion. Falls sich die Opposition nicht dazu durchringen könne, die geplanten Strukturreformen zu unterstützen, werde dies die Idee früher Neuwahlen unterminieren.
Millers Vorstoss ist eine Reaktion nicht nur auf das heillose Durcheinander in seinem Kabinett, sondern auch auf eine Anregung von Präsident Aleksander Kwasniewski, der in einem Radiointerview jüngst ziemlich genau das gefordert hatte, was Miller nun anbietet. Miller, der seit Anfang März, nach der Entlassung der moderaten Bauernpartei aus seinem Kabinett, einer Minderheitsregierung vorsteht, hatte den Ruf des Staatschefs nach vorgezogenen Wahlen zunächst ignoriert, scheint sich jetzt, nach den neuerlichen Ministerrücktritten und nach einem langen Gespräch mit Kwasniewski, allerdings eines Besseren besonnen zu haben. Vermutlich hat der Regierungschef aber auch eingesehen, dass er mit seinem etwas diffusen, aber grundsätzlich verlockenden Angebot der Forderung nach einer noch früheren Auflösung des Parlaments die Spitze brechen kann. Miller ist auf ein Mindestmass an parlamentarischem Sukkurs angewiesen; ohne die Hilfe sympathisierender Abgeordneter wird er nicht in der Lage sein, die zentralen Anliegen seiner Regierung - den erfolgreichen Abschluss des EU- Beitritts-Verfahrens, die Neustrukturierung des öffentlichen Haushalts und die Wiederbelebung der abgeflauten Konjunktur - zu verwirklichen.
Doch Miller ist derzeit nicht nur im Parlament, sondern auch in der Bevölkerung wegen seiner Verwicklung in immer neue Skandale äusserst unbeliebt. Seine Zustimmungsraten sind im Gefolge der Bestechungsaffäre um den Filmemacher Rywin weiter gesunken, und Analytiker vor allem aus dem wirtschaftlichen Bereich bezweifeln, dass er sich bis 2004 wird halten können. Die Rücktritte Balickis und Cytryckis deuten auf tiefe Zerwürfnisse im Kabinett hin und werden allgemein als Ausdruck des Protestes gegen politische Protektion auf höchster Ebene gedeutet.
«Jobs für Kumpane»
Aus gewöhnlich gut unterrichteten Quellen verlautete, Cytrycki sei zurückgetreten, weil Miller sich geweigert habe, Zdzislaw Montkiewicz, den Vorsitzenden des staatlichen Versicherungskonzerns PZU, zu entlassen, nachdem bekannt geworden war, dass Montkiewicz versucht hatte, die Übernahme eines Mehrheitsanteils bei PZU durch den niederländischen Versicherer Eureko zu verhindern. Cytrycki, der zuständige Minister, war von den Machenschaften Montkiewiczs offenbar nicht rechtzeitig unterrichtet worden und reichte laut Regierungsquellen umgehend seinen Rücktritt ein, als er erfuhr, dass Miller nicht bereit war, Montkiewicz fallenzulassen. Die Tageszeitung «Gazeta Wyborcza» schrieb am Donnerstag, der Rücktritt Cytryckis werde die Veräusserung staatlicher Guthaben vermutlich weiter verzögern. Der Skandal um Montkiewicz, hiess es in der Zeitung, symbolisiere «die Logik des von einer Partei dominierten Staats: Jobs für Kumpane
Miller, der exkommunistische Pate, hat fürs Erste von Mutationen genug. Er habe mit sämtlichen Kabinettsmitgliedern gesprochen, sagte er am Donnerstag, und dabei festgestellt, dass keiner seiner Minister mehr die Regierung verlassen wolle. Beobachter bezweifeln dies, denn die Linksallianz Millers ist selber tief zerstritten. Die Privatisierung staatlichen Eigentums ist auf der Parteilinken unpopulär; die geplanten Austerity-Massnahmen sind es ebenso. Der Nachfolger Cytryckis, Piotr Czyzewski, steht im Ruf eines einfallslosen Apparatschiks; dass er die Privatisierung beschleunigen wird, ist ebenso unwahrscheinlich wie die Annahme, er werde die Staatsfirmen so sanieren, dass sie im EU-Wettbewerb bestehen können. Millers Plädoyer für eine nachhaltige Anpassung an EU-Normen erscheint unter diesem Aspekt nicht eben glaubwürdig.