Walter Jens über die 'Kriegs'-Rhetorik

[ Prophezeiungen & Aktuelles Weltgeschehen ]

Geschrieben von Johannes am 23. September 2001 00:23:42:

Als Antwort auf: Zwei Möglichkeiten zum Umgang mit Terrorismus geschrieben von Falke am 22. September 2001 22:10:40:

Gruß

Johannes

Freitag, 21. September 2001
"Das ist kein Krieg"
Walter Jens über die 'Kriegs'-Rhetorik

Seit den verheerenden Terrorangriffen auf das World Trade Center und das Pentagon sprechen viele führende Politiker vom "ersten Weltkrieg des 21. Jahrhunderts". Es werden Kriegskabinette gebildet, die Opfer der Terroranschläge als "Kriegsopfer" bezeichnet, und Bush sieht sich und seine Verbündeten auf dem "Feldzug" gegen den Terrorismus. n-tv.de sprach mit dem Rhetorikprofessor und Literaturwissenschaftler Walter Jens über die rhetorische Seite der Terrorkrise.

n-tv.de: Herr Jens, seit dem 11. September entdecken Politiker und Journalisten das Wörterbuch der Kriegsterminologie neu. Was halten Sie von dieser 'Kriegs'-Rhetorik?

Walter Jens: Die Bezeichnung 'Krieg' ist für die derzeitige Situation höchst ungenau und unzutreffend. Erinnern wir uns - um das jetzige Große mit früherem Kleinen zu vergleichen - an die Terrorakte der RAF in der Bundesrepublik: Das war kein Krieg, sondern da hatte sich eine kleine, verschworene Gruppe gegen das Gemeinwesen verbündet. Jetzt ist wieder eine kleine Gruppe dabei, Terrorattacken gegen eine Großmacht, Amerika, zu praktizieren. Aber das ist kein Krieg. Wir sollten schon etwas genau sein, zwischen Krieg, Kampf, Terror, etc. zu unterscheiden. Bisher sind es Terrorangriffe von kleinen, unter dem Aspekt der Logistik sicher miteinander verbundenen Gruppen. Man könnte dieser ganzen Entwicklung vielleicht durch eine Friedensterminologie entgegenwirken. Dabei müssen wir aber sehr genau überlegen, wie diese Friedensterminologie aussehen könnte.

n-tv.de: Die USA werden vielleicht schon an diesem Wochenende mit den Angriffen auf die Terrorgruppen beginnen. Könnte man in diesem Fall von 'Krieg' sprechen?

Walter Jens: Das sind Racheakte. Da geht es leider um Vergeltung statt um Versöhnung. Da werden Unschuldige daran glauben müssen. Da werden Menschen getötet, die unter den Taliban leiden. Und was mit bin Laden geschieht, weiß man leider nicht. Man weiß nur, dass er einmal ein sehr beliebter Zögling der Vereinigten Staaten war, als es noch um den Kampf gegen die Sowjetunion ging. Hier wie dort - Amerika gegen die Sowjetunion, Amerika gegen die Taliban - geht es um den Ausdruck des Schwarz-Weiß-Denkens: Auf der einen Seite die Guten, auf der anderen Seite die Bösen. Hier die Kinder des Lichts, und dort die Söhne der Finsternis. Auch diese Antithese ist selbstverständlich nicht zutreffend. Es gibt in Amerika Schurken, und es gibt genauso Millionen von friedfertigen Islamisten.

n-tv.de: Was halten Sie von amerikanischen Namensgebungen wie "Infinite Justice", oder "Noble Eagle"?

Walter Jens: Die ganzen Bezeichnungen gehen auf die Apokalypse des Johannes zurück. Sie ist, wie viele nicht wissen, von dem Apostel geschrieben und besagt folgendes: Wenn das Ende kommt, herrscht noch tausend Jahre das Böse, dann aber wird es unendliche, nicht begrenzte Gerechtigkeit und Wohlbefinden der Königin des Lichts geben, während der Teufel und die Menschen, die schlechte Taten vollübt haben, für immer im Feuerpfuhl versinken. Und ich denke, wir haben die Zeit überwunden, in der vom Teufel und vom Höllenpfuhl und von den letzten tausend Jahren gesprochen wird. Dazwischen liegt immerhin die Bergpredigt und dazwischen liegt das Gesetz der Feindesliebe, etc.

n-tv.de: US-Präsident Bush gerät zurzeit wegen seiner teilweise missglückten Rhetorik in die Kritik. In einer Rede an die Nation vergleicht er beispielsweise bin Laden und seine Anhänger mit faschistischen, nationalsozialistischen und totalitären Kräften des 20. Jahrhunderts. Halten Sie diesen Vergleich für angemessen?

Walter Jens: Dieser Vergleich ist vollkommen ahistorisch, so ahistorisch wie es der Begriff "Kreuzzug" ist. Kreuzzüge waren Märsche über Länder und Meere hinweg, die Christen gegen Moslems und Juden unternahmen. Das ist ganz und gar unpassend. Diese Worte sind alle nicht abgewogen und hätten geprüft werden müssen. Ein bisschen mehr Differenzieren täte Bush gut, und ich wundere mich, dass der Präsident nicht umgeben ist von Leuten, die etwas von vernünftiger Sprachgebung verstehen.

Das Gespräch führte Katie Böhme

Adresse:
http://www.n-tv.de/2723682.html


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