Break on through to the other side - Momentaufnahmen

Geschrieben von Badland Warrior am 29. März 2003 19:30:08:

Ganz entspannt im Hier und Jetzt

Nabbend, Leute!

Ich will euch mal an ein paar Impressionen teilhaben lassen. Wahrscheinlich denkt Ihr jetzt, ich sei völlig neben der Rolle, aber nein, ich bin immer noch ich selbst und ganz bei Verstand, sofern das ein Mensch sein kann (auf jeden Fall eher bei Verstand als manche Politiker, hehehe...)

Also, drei Tage habe ich gemalt und gewerkelt um mein in psychedelischen mustern schwelgendes Plakat mit "Make Love - Not War!" fertigzubekommen. Ich bin dann heute zur Friedensdemo abgezischt, wie schon letzten Sonnabend. Jetzt werdet Ihr sagen, was ist denn jetzt los? Erst will erden halben Planeten nuklearsanieren und nun schwebt der Kerl wohl auf Mariewanna-Wolken durch die Friedenszene, aber Geduld Leute, setzt euch im Schneidesitz hin, trinkt eine Tasse Tee und hört, was Onkel Baddy erlebt hat. Es zeigt nämlich recht gut die stimmung in der Bevölkerung.
Also heute zwischen 11 Uhr und etwa 16 Uhr waren traumhaft sommerliche Temperaturen. Also ich mit dem Plakat auf einem Kartonteil (Milchkarton, umgeschnippelt) und einem Bambusstab los in die U-Bahn. Eine Mutti mit Kind strahlte mich an und meinte: "Find ich Spitze!" Sah auch recht schnuckelig aus, die Gute.
Ich fuhr also in die Innenstadt, und ein paar Dumpfbacken kicherten: "Alter, guck mal, ein hippie!", und ich ging nach oben, wo schon reichlich was los war. Abgesehen davon, dass mir Teile der Veranstaltung vorkamen, wie absurdes Theater, war es doch recht interessant. Es waren natürlich vertreten: Die Punks, die Uralt-Friedensomis, die wahrscheinlich schon am ersten Ostermarsch dabei waren, Grüne, DKP, PDS, Atac (Hallo, Franke!), und die verschiedenesten Politsektierer, aber auch, und das fand ich megainteressant: Jede Menge Schulklassen, und auch Leute, die man sonst auf keiner Demo sieht, nämlich einige, die aussahen, als wollten sie eigentlich zur cocktailparty und hätten sich in der Straße geirrt, so richtig mit Designeranzug und Schickimicki, nur ohne Sektglas, dazu einige Leute, die aussahen, wie normale Malocher, denen sowas normalerweise alles an der Mokkahöhle vorbeigeht (oh, Muktananda übergibt sich gerade, Verzeihung, ich meinte "putzigen Hintern"), und ganze türkische Großfamilien, die sichtlich kulturgeschockt mit ihren bekopftuchten Töchtern verlegen in der Menge standen. Ob Istanbulian dabei war, weiß ich nicht, wäre aber lustig. Ein dunkelhaariger Mann sah mein Schild und fiel mir fast weinend in die Arme, klagte mir sein Leid. Es war ein Iraki, der sichtlich die Fxen dicke hatte von allem. Ich sagte ihm, das Krieg immer schlimm sei, egal von wem, und Verständnis zwischen Menschen was feines sei, und so weiter, soweit er mich verstand. Er wirkte auch etwas verwirrt, erzählte mir, dass er im ersten Golfkrieg war (ich fragte mich dann, wie er hierher kam, aber egal) jedenfalls war er sichtlich gerührt.
Ich war auch nicht der Einzige, der das Make Love not War - Slogan trug. Utopien flogen hin und her, und es war recht spaßig. Dann sagn ein Kinderchor Friedenslieder, darunter auch "Hevenu shalom elechjem", und einige Leute mit antiisraelischen Plakaten, alle sehr dunkelhäutig und etwas bedröhnt aussehend, stürmten nach vorne, verschwanden aber in der Menge, sodass keiner sah, was sie wollten, und die lieben Kleinen sangen weiter, ohne gestört zu werden.
Nebenbei taperte ich durch die Menge, traf Leute, diskutierte, flirtete, schnorrte eine Zigarette nach der nächsten und sah auch einige Leute in unauffälliger Kleidung, die sich nervös umsahen und wohl eher zum intellektuellen Teil des nationalen Blocks gehörten, aber immerhin ging es gegen den Irakkrieg, und die Rechten sind da ja auch in gewisser Weise assoziiert, weil sie die Amis nicht mögen. Sie verhielten sich jedoch unauffällig. Meine Toleranz kannte jedoch heute mal keine Grtenze: Ich schnorrte auch sie nach einer Zigarette an und bekam sie auch.

Ich traf auch auf alte Bekannte, die prompt anfingen, Parolen zu skandieren, die noch zu unseligen Vietnamkriegszeiten modern waren, aber momentan recht aktuell sind. Mehrere Sprecher, auch der nasale OB (nein, liebe Jugendlichen uter den Mitlesern, das ist keine Tamponreklame, das ist der OberBürgermeister) erzählte etwas, obwohl er derselben Partei, wie der Abzock-Schröder angehört.
Nun, zwischendurch traf ich auf einige Leute, die wohl gerade eine Vision hatten, denn sie schwebten naturstoned in anderen Sphären, während am Rande zwei Orientalen sich auf Deutsch stritten, welche antisemitische Verschwörungstheorie wohl am glaubhaftesten wäre, bis ein paar ältere Leute sie ziemlich wütend ansahen, und sie davonspritzten wie Teile einer Tomate auf einem Politikeranzug.
Oh, Leute, ich hätte mich beinahe zu Boden geworfen, so war ich innerlich am Gackern. Dazwischen ab und an der geruch von Produkten aus einer Nutzpflanze, und ich meine nicht Seile oder Taue. Dazwischen Hausfrauen, Bandarbeiter, Jesusfreaks, ALLES quer durch die Bevölkerung. Zu 99,9% kam man ganz gut aus, auch wenn sich die linken Sektierer gegenseitig etwas argwöhnisch anschauten.

Teilweise war die Zusammensetzung derartig grell, dass man sowas eher bei Buñuel oder Pasolini oder drogensüchtigen Filmemachern der Sechziger vermutet hätte, aber es war schon recht urig. Unter den Leuten, mit denen ich sprach, waren mehrere Hippies, einige Punks, eine ehemalige Trümmerfrau, ein fideler Tscheche und einige recht junge Quietschemäuse im Hippie-Outfit, die recht gut drauf waren. Ansonsten waren die Beiträge extrem ausgewogen und nicht so dogmatisch oder "reibend" zwischen den verschiedenen Fraktionen, wie es in den Achtzigern war.

Die Demo selbst war zwar recht friedlich, aber ich hatte den Eindruck, dass die meisten Leute von "denen da oben" den Kanal voll haben bis Oberkante Unterlippe, und die Polizisten wirkten recht gelassen und gelangweilt, was ich erstaunlich fand. In den Achtzigern hatten die Bereitschaftspolizisten dieses eiskalte Killerglitzern in den Augen und haben beim geringsten Anlass (und wenn sie ihn selbst herbeidefinieren mussten) drauflosgeprügelt.
Ansonsten geschah nichts weiter bemerkenswertes, außer dass die berittene Polizei die Straße biodynamisch düngte, und man manchmal ausweichen musste, und ich angeflirtet wurde von einigen Madeln, wo hinter dem Busch schon der Staatsanwalt lauerte und ich mich davon nicht beirren ließ und einfach nur freundlich war. Anscheinend produziert mein Körper momentan recht viele Lockstoffe. Es war eine nette Stimmung, die aber unterschwellig aus mehreren Faktoren bestand:

1. Man hatte sich zusammengerauft, quer durch alle Gruppen, obwohl man sich sonst nicht auf den Pelz schauen mochte.
2. Man hatte gemeinsam, dass man die Faxen dicke hatte, egal ob Krieg, Sozialabbau, etc. Bock fett, sozusagen.
3. Teilweise artete das Ganze in Happenings nach dem Motto "Jonglieren für den Weltfrieden" aus. Immer noch besser, als mit Nahrungsmitteln zu werfen.
4. Anscheinend steht Bush nun für alles, was abgelehnt wird oder wo man nichts mehr von wissen will: Obrigkeit, korrupte Politik, Umweltzerstörung, Sozialabbau, Globalisierung, Turbokapitalismus, Multikonzerne, etc.

Irgendwie vibriert momentan etwas in der Luft. Am Ende, nach der Abschlusskundgebung, sammelten sich einige jüngere Leute um mich, und wir redeten über Liebe, gerechte Verteilung, Selbstannahme, Annahme des Anderen, Entspanntheit und so weiter, kam mir schon fast etwas merkwürdig vor. Und irgendwo im Hinterkopf saß der alte Badland, mit ner Pulle Bier in der Hand und schüttelte den Kopf, verdampfte dann aber in einem Harmoniewölkchen. Alles recht seltsam. Vielleicht war eine von den erschnorrten Zigaretten nicht mehr gut. (Witzfahne schwenk) Was mir auch auffällt: Im Radio laufen jetzt andauernd Stücke aus den Sechzigern, die aktuell waren, als der Vietnamkrieg im Gange war: Jim Morrison, Santana, Hendrix, usw., usf., die ganze Palette. Und auf den Straßen wird die Mode auch wieder Sixties-ähnlicher.

Entspannt Euch, seid nett zueinander, und ich hoffe, dass hier im Forum auch mal wieder nettere Umgangstöne kommen.

Badland Warrior





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