N: (Spiegel) Radikale Friedensfreunde - Extremisten unter der Taube

Geschrieben von SoL333 am 08. März 2003 15:57:06:

RADIKALE FRIEDENSFREUNDE

Extremisten unter der Taube

Von Caroline Schmidt und Dominik Cziesche

Neonazis und linke Sektierer hängen sich an die neue Friedensbewegung - in der Hoffnung, dort Sympathisanten werben zu können.

Berlin - Wegjagen durften die Friedensdemonstranten den seltsamen Trupp junger Männer nicht, hatte die Polizei gesagt. Schließlich standen die ungebetenen Gäste ebenso friedlich da wie die übrigen 300 Zuhörer bei der Kundgebung der Anti-Globalisierungsbewegung Attac an dem sonnigen Wintertag in München.
Slogan der Veranstaltung war "Nein zum Krieg im Irak", und das auffällige Grüppchen hielt sogar ein dazu passendes Transparent in die Höhe, Aufschrift: "Stoppt den US-Imperialismus". Das einzige, was nicht passte, war das Outfit der Männer: Sie trugen kurzgeschorene Haare, Bomberjacken und höchst grobes Schuhwerk. Max Steininger, der Organisator der Attac-Kundgebung, bewahrte die Ruhe: "Man braucht sich von denen auch nicht einschüchtern zu lassen." Attac-Mitglieder versteckten die Neonazis schließlich hinter einem regelrechten Verhau eigener Spruchbänder.

Organisator Steininger kennt sich mit Extremisten aus - schließlich ist er selber einer, wenn auch von der anderen Seite: Als Mitglied der Trotzkisten-Gruppe "Linksruck" wartet er auf die Weltrevolution, wenn nicht gerade Krieg ansteht. Und so ist die Szene in München ein Menetekel für die neue Friedensbewegung und ihre tragende Säule, das Attac-Netzwerk der Globalisierungsgegner: Sozialistische Kader organisieren Kundgebungen, auf denen dann Neonazis "Yankee go home"-Plakate schwenken.

Tummelbecken für Extremisten aller Couleur

Die Extremisten von rechts wie von links schwingen sich derzeit mit aller Macht auf den Zug der Kriegsgegner - in der Hoffnung, neue Mitglieder oder Sympathisanten aus einer Szene keilen zu können, die ihnen ohne das Vehikel Irak-Krise verschlossen bliebe. Und so rüsten sie sich - beide Seiten auf ihre Weise - für den immer näher rückenden "Tag X", den erwarteten Kriegsbeginn: In den diversen Anti-Kriegs-Arbeitskreisen malen die eher linken Friedensaktivisten schon eifrig Plakate. Der Plan: Am Tag des Kriegsbeginns selbst und an dem darauffolgenden Samstag wollen sie in allen Städten Demonstrationen organisieren.


Unterdessen haben Neonazis aus dem NPD-Umfeld schon einen Aufruf verfasst, in dem sie tönen, dass es mit Demos allein bei Kriegsbeginn nicht getan sei, es gebe "auch alternative Protestformen, auf die hier nicht spezieller eingegangen werden soll". Linksextremisten sind für das Bündnis selber die größere Gefahr. Würden sie zu stark, fürchtet Lena Bröckl vom Attac-Koordinierungskreis, könnten sie der Bewegung schaden: "Wenn die das Außenbild von Attac alleine prägen, würde unsere Attraktion auf breitere Bevölkerungskreise sofort abnehmen."

Sympathie für den Diktator

Doch auch die Neonazis zielen nach links: Wie vor 1933 kupfern sie Slogans und Lieder der Linken ab, um in der Szene fischen zu können; gleichzeitig erweitern sie ihr Themenspektrum um angesagte Aspekte: Globalisierungskritik und Umweltschutz, Frieden und gerechtere Verteilung - freilich nur für Deutsche - gehören derzeit zum rhetorischen Repertoire der NPD.

In der Friedensdiskussion (NPD-Chef Udo Voigt: "Wir sind Teil der Friedensbewegung") setzen sie zielgruppengerecht besonders auf Anti-Amerikanismus - und auf Israel-Feindlichkeit. Der Irak, so die NPD, bedrohe niemanden, während Israel bis heute nicht die Atomwaffenkontrollvertrag unterzeichnet habe. Müsse man folglich nicht eher Israel angreifen als Saddam Hussein?

Sympathie für den Diktator in Bagdad hat in rechten Kreisen Tradition: Vor dem Golfkrieg 1991 wollte Neonazi-Führer Michael Kühnen in Absprache mit der irakischen Regierung gar eine deutsche Freiwilligeneinheit ("Die Legion") aufstellen, die Saddam Hussein zu Hilfe eilen sollte. Das Hirngespinst platzte, die Amerikaner waren schneller, Kühnen wurde bald darauf vom Aids-Virus dahingerafft.

Den Neonazis dürfte der Umweg über die Irak-Krise kaum neue Anhänger bringen - zu durchschaubar ist ihre Strategie. Über ihre zugleich verschärfte Globalisierungskritik aber, so der Kölner Extremismus-Forscher Christoph Butterwegge, könnten sie allerdings an Menschen gelangen, die "einen sozialen Abstieg" fürchten - oder schon durchmachen: Die Rechten zeigen ihnen einen scheinbaren Ausweg, indem sie die Rückkehr in den Nationalstaat mit der Rückkehr in die Vollbeschäftigung gleichsetzen.



Weitaus effektiver gehen die Linksextremisten vor. Zwar gehörten nur einige hundert der 10.000 Attac-Mitglieder zum linken Spektrum, schätzen Insider, die meisten davon sind nach Erkenntnissen von Verfassungsschützern Trotzkisten vom "Linksruck" und der "Sozialistischen Alternative Voran" (SAV). Doch die wenigen linken Kader verstehen weit besser als diffus Friedensbewegte, wie man Massen organisiert. Ihr Einfluss in manchen Ortsverbänden, gerade in den größeren Universitätsstädten, ist stark. In Hamburg gibt "Linksruck" laut Verfassungsschutz bei Attac schon "den Ton an".

"Köpfe gewinnen, Bewusstsein verändern"


Weltweite Wirtschaftskrise und ein drohender Krieg - all die latenten Widersprüche des Kapitalismus, freut sich Regina Sternal von der Linksruck-Bundesleitung, seien nun endlich für alle sichtbar. "Eine Gesellschaft, die soziale Verelendung, Kriege und Massenarbeitslosigkeit hervorbringt, funktioniert nicht", sagt SAV-Sprecher Sascha Stanicic: "Und das wird jetzt von immer mehr Menschen wahrgenommen, die sich nun zur Wehr setzen." Und wenn diese Menschen Fragen hätten, wollen die Linken nur zu gerne Antworten geben: "In diesem Sinne kann man Köpfe und Kämpfer gewinnen, Bewusstsein verändern", so Stefanie Haenisch vom Attac-Rat. Der Jargon zeigt Routine, die Frau gehört gleichzeitig zur "Linksruck"-Bundesleitung.

Wie abschreckend die Linksextremen jedoch auch auf viele Attac-Anhänger wirken können, zeigte die maßgeblich von "linken Kräften" organisierte "Attac-Friedenstour" im Januar. In Köln wurde ein Redner von drei Zuhörern niedergebrüllt, der Nazi-Massaker im Warschauer Ghetto 1943 mit denen in palästinensischen Flüchtlingslagern verglich. Und in Göttingen verhängte der Attac-Koordinationskreis fast ein Redeverbot über eine Rednerin, nachdem die den "heroischen Widerstand des palästinensischen Volkes" gepriesen und Israels Premier Ariel Scharon als "Kriegsverbrecher" gegeißelt hatte: Die Dame, so hieß es, habe "den Attac-Konsens verlassen".




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