Taliban Nachschub
Geschrieben von wahlvieh karlbauknecht am 16. September 2001 19:09:06:
Da kann ich nur sagen "Mahlzeit"
von Mazhar Abbas und Sami Zubeiri
Karachi - In der südpakistanischen Hafenstadt Karachi ist das Afghanistan der Taliban weit. Dennoch ist der Fundamentalismus der radikalislamischen Miliz in Karachi genauso verbreitet wie in der afghanischen Hauptstadt Kabul. Viele Koranschulen im Süden Pakistans bilden den Nachwuchs für die Terrororganisation des in Afghanistan versteckten Multimilliardärs Osama bin Laden aus, den die USA für die Terroranschläge in New York und Washington verantwortlich machen.
Taliban-Führer ehemaliger Koranschüler
"Wir sind alle Osama, wir sind alle Taliban", sagt der 16-jährige Ilyas Siddiqui, der die Koranschule in Farooqia besucht, über sich und seine Mitschüler. Sein Held ist der von allen westlichen Geheimdiensten gesuchte bin Laden. Viele Taliban-Milizionäre stammen aus derselben Schule wie Ilyas. Auch ihr Führer Mullah Mohammed Omar, "Befehlshaber der Gläubigen im islamischen Emirat Afghanistan", hat im benachbarten Pakistan die Schulbank gedrückt.
"CIA hat bin Laden unterstützt"
"Die Taliban sind die Früchte dieser Schulen in Afghanistan und in Pakistan", sagt der frühere pakistanische Geheimdienstchef Hameed Gul. Während des Krieges mit der Sowjetunion habe der US-Geheimdienst CIA alle Aktionen der Mudschaheddin gegen die Sowjet-Besatzer finanziert, erinnert sich Gul. Die CIA habe damals sogar bin Laden unterstützt. Er sei der "hero", der Held der Amerikaner gewesen. Bin Laden "wurde erst zum Terroristen, als er in Saudi-Arabien die Demokratie forderte", sagt Gul.
Bin Laden als Pop-Star
Auch bin Laden wurde in einer Koranschule ausgebildet. Nach den Anschlägen in den USA veröffentlichte die Zeitung "Kainnat" ein ganzseitiges Foto von bin Laden. "Ich habe davon 200 Stück in 20 Minuten verkauft", sagt Zeitungsverkäufer Suleman. Bin Laden hat bei Kindern und Jugendlichen Kultstatus erreicht: T-Shirts mit dem Konterfei des Fundamentalisten gehen weg wie warme Semmeln, berichtet Händler Naimat Shah. Auch unter Ausländern seien diese Hemden sehr beliebt. Viele westliche Vertreter verbinde eine gewisse Hassliebe mit bin Laden. "Wenn die USA Afghanistan angreifen, steigt die Nachfrage nach den T-Shirts wieder", ist sich Shahs Kollege Khan Mohammad sicher.
Arzt: Koranschüler verhaltensgestört
An den Koranschulen in Pakistan werden 85.000 Schüler pro Jahr geprüft. Die Examensaufgaben stellt der Dachverband von rund 10.000 Koranschulen, die etwa 500.000 Schüler besuchen. "Sehr eifrig" sind seine Schützlinge, wie der Chef des Schulverbandes Maulana Waliullah behauptet. Die meisten Kinder seien verhaltensgestört, stellen Psychiater dagegen fest. "Einige benehmen sich beängstigend und aggressiv", sagt Psychiater Imtiazul Haq. "Viele treten extremistischen Gruppen bei und hassen die Gesellschaft."
"Prügelstrafe und geistige Folter"
Das Verhalten der Lehrer übertrage sich auf die Kinder, die später oft selbst Lehrer an Koranschulen würden. Die Koranschüler seien Opfer von "Prügelstrafen und geistiger Folter", sagt der Arzt. Allerdings sähen viele Eltern die Schuld der Lehrer an dem Verhalten ihrer Kinder gar nicht. Die meisten Familien sind derart arm, dass sie sich eine Ausbildung ihrer Kinder an staatlichen Schulen nicht leisten können und sie auf die kostenfreien Koranschulen schicken.
Die religiösen Parteien in Pakistan verteidigen die Koranschulen. "Der Heilige Krieg ist Teil der moslemischen Ausbildung", betont der Vorsitzende der radikalislamischen Partei Jamiat Ulema-e-Islam, Fazlur Rehman. Aber die Schüler würden nicht zu Soldaten erzogen. Einstimmig lehnten die religiösen Parteien in Pakistan in der vergangenen Woche eine geplante Schulreform der Regierung ab. "Die Dschihad-Kultur hat die Intoleranz in unsere Gesellschaft gebracht", sagt dagegen Anis Haroon, Vorsitzende einer regierungsunabhängigen Stiftung. "Das ist mit dem Geist des Islam nicht vereinbar." (AFP)