Trotz Blut kein Öl ( Quelle: Die Zeit)
Geschrieben von Razor am 20. Februar 2003 19:50:41:
Trotz Blut kein Öl
Nach dem Krieg gegen Irak wird die Rohstoff-Dividende ausfallen. An Opec und Saudi-Arabien kommt niemand vorbei
Von Michael Thumann
Noch bevor die erste Rakete auf Bagdad fliegt, entstehen im Westen erstaunliche Bündnisse. Nein, hier soll nicht die Rede sein von der Koalition der Willigen, die geloben, mit Amerika in den Irak zu ziehen. Neuerdings reichen sich rechte Strategen in Amerika und linke Politiker in Europa die Argumente in die Hand. Ihnen sekundiert entzückt die irakische Regierung. Der Tenor: Es geht im Irak erstens ums Öl, zweitens ums Öl und drittens ums Öl. Aus dem Munde von Saddam Hussein und linken Europäern überrascht diese Einsicht nicht, aus der rechten Ecke Amerikas schon. Versucht nicht gerade die republikanische Regierung in Washington, die Welt zu überzeugen, es ginge den USA allein um Terror, Massenvernichtungswaffen und Demokratie im Nahen Osten?
„Das ist wichtig!“, rufen konservative Denker in Amerika. Doch das Öl sei wichtiger. Sagt der Washingtoner Energieexperte Paul Michael Whibey, der bis vor kurzem im Institute for Advanced Strategic and Political Studies arbeitete. „Nach einem Sturz Saddams werden wir bedeutende zusätzliche Ölmengen aus dem Irak bekommen. Das Land hat Reserven, die jene Saudi-Arabiens erreichen oder übertreffen.“ Saudi-Arabien ist die eigentliche Sorge von Whibey und anderen konservativen Strategen. Die Gründe reichen bis zum 11. September zurück. Bis damals standen Washington und Riad in pragmatischer Treue fest zueinander. Doch nachdem Saudi-Arabien beschuldigt wurde, Terror gegen Amerika finanziert zu haben, kippte die Stimmung. Konservative Tankstellenstrategen fordern seither, die saudische Ölmacht einzudämmen, einzukreisen, zu entmachten. Ihr Plan: Amerika solle Russland gegen die Saudis hochpäppeln, neue Quellen in Westafrika erschließen und vor allem den ölreichen Irak unter Kontrolle bringen. Dann würden die Saudis auf Dauer „irrelevant“.
Doch haben diese Träume irgendetwas mit der Realität zu tun? Ist die westliche Versorgung so bedroht, dass ein Ölkrieg gerechtfertigt wäre? Wie mächtig ist Saudi-Arabien? Könnten Russland oder der Irak zukünftig Saudi-Arabien ersetzen?
Für Amerikas Öltanks ist schon heute bestens gesorgt, vor allem im Vergleich zu Europäern und Asiaten. Die USA beziehen nur knapp ein Viertel ihrer Ölimporte aus den Opec-Ländern am Golf, Europa dagegen etwa 30 Prozent, Ostasien nahezu drei Viertel. Insofern müssten vor allem Europäer und Chinesen aufs nahöstliche Öl schielen, weniger die Amerikaner. Allerdings: Die Macht der Opec nimmt zu. Die US-Ölimporte werden von heute 55 Prozent auf 70 Prozent im Jahre 2025 steigen, rechnet das US-Energieministerium vor. Da die Golfländer über 65 Prozent der Weltenergiereserven verfügen, wächst ihr Anteil am Ölhandel der Welt wie von selbst.
Saudi-Arabien ist die unangreifbare Supermacht unter den Erdölproduzenten. Das Land wirft mehr Rohöl auf den Markt als alle anderen Staaten und erfreut sich eines Viertels der globalen Erdölreserven. Vor allem aber kann es als einziges Rohstoffland der Welt nach Belieben den Ölhahn aufdrehen. Aus dieser „Überschusskapazität“ von 3 Millionen Fass pro Tag schöpfen die Saudis ihre Macht. Diese Ölwaffe setzten sie zuletzt 1998 ein. Damals wollte Venezuela aus der Opec ausbrechen und seine Ölproduktion verdreifachen. Im Preiskrieg der Saudis zerplatzten die Ölträume der Südamerikaner wie Luftballons. Danach hatte Riad die Herrschaft über die Preise zurückerobert. Mit festen Förderquoten halten die Opec-Länder den Ölpreis in einem Korridor von 22 bis 28 Dollar pro Fass. Nicht zu teuer, damit sich die Nutzung alternativer Energien nicht lohnt, nicht zu billig, damit die Kasse stimmt.
Kampf den Kartellkalifen
Die Suche nach Rohstoffen jenseits von Saudi-Arabien ist keine Erfindung amerikanischer Rechter. Selbstverständlich halten die Ölmultis stets Ausschau nach neuen Bohrfeldern, auch unter Wasser. Im Golf von Mexiko haben US-Konzerne ihre Ölplattformen übers Meer verteilt. Vor der Küste Westafrikas, im Golf von Guinea, wollen ExxonMobil und Chevron-Texaco Milliarden Dollar in die Bergung der Energieschätze stecken. Gleichzeitig erschließen die Multis das Unterwasserreich des Kaspischen Meers. Chevron-Texaco ist in Kasachstan einer der größten Investoren. Vom „great game“ um Asiens Rohstoffe haben Chevron-Manager nie geschwätzt. Sie wussten, dass gegen Moskau, die einstige Vormacht der Region, nichts läuft. Der Konzern hat eifrig mitgeschraubt an einer gewaltigen Export- Pipeline von Kasachstan über Russland ans Schwarze Meer. Nach dem 11. September sind auch die Energiefunktionäre in Washington auf diese Linie umgeschwenkt.
Russland, die Gegenwelt von gestern, gilt seit Präsident Putins Salto occidentale als Alliierter der USA und vor allem als Hort unbegrenzter Rohstoffvorkommen. Eine Ölmesse im texanischen Houston im vergangenen Jahr geriet zum Familienfest amerikanischer und russischer Energiekonzerne. In Sibirien treiben ExxonMobil, BP- Amoco und Halliburton ihre Bohrkolben in den Permafrostboden. Die Insel Sachalin wollen sie zur Tankstelle des Pazifischen Beckens ausbauen. Bei so famosen Aussichten rotieren die Gehirne der Strategen. Der frühere Energiesekretär im US-Außenamt, Edward Morse, sieht eine Schlacht um die Energieherrschaft in der Welt zwischen Russland und Saudi-Arabien heraufziehen. Der republikanische Senator Conrad Burns ruft die Amerikaner auf, sich von den „Kartellkalifen“ in Riad abzuwenden. Denn: „Russland und die unabhängigen Staaten der einstigen Sowjetunion sind Amerikas größte Hoffnung.“
Burns täuscht sich. Und mit ihm alle, die meinen, das Kaspische Meer oder Sibirien könnten auf Dauer das saudische Öl ersetzen. Gewiss, Russland ist in der Rangliste der Ölproduzenten mit 6,3 Prozent gleich hinter Saudi-Arabien (knapp 8 Prozent) aufgerückt. Doch der Wettbewerb der Erdölprotze ist ungleich. Russlands nachgewiesene Reserven fallen mit 4,6 Prozent der Weltvorkommen hinter den saudischen mit 25 Prozent kaum ins Gewicht. Während die meist privaten russischen Firmen so viel Öl produzieren, wie der Bohrturm nur hergibt, behält sich die staatliche saudische Ölfirma ihre strategische „Überschusskapazität“ vor. Wo die Russen jedes Fass Erdöl für 10 bis 12 Dollar Förderlohn mühsam aus dem sibirischen Boden stampfen, quillt in Saudi-Arabien das Öl für 3 bis 5 Dollar pro Fass aus dem Wüstensand. Natürlich könnte Russland seine riesigen Ölschieferbestände anzapfen. Doch Saudi-Arabien wird die Preise so niedrig halten, dass sich kein des Kopfrechnens mächtiger Ölmanager darauf einlassen dürfte. Russland hilft der Welt nicht aus der Abhängigkeit vom saudischen Öl.
Deshalb nun also ein Krieg gegen den Irak? US-Streitkräfte bahnen Chevron und Co. den Weg zum labenden Quell? Die Landkartenrevolutionäre in US-Instituten rechnen Iraks Reserven im „Eins plus eins ist drei“-Verfahren auf jene von Saudi-Arabien hoch. Und die europäischen Friedensfreunde glauben ihnen noch. Schauen wir uns die Milchmädchenrechnung genauer an. Richtig daran ist, dass die Ölmacht Irak mit ihren geschätzten Reserven von 10,7 Prozent an zweiter Stelle in der Welt hinter Saudi-Arabien steht. Alle wissen, dass sich die irakische Produktion kräftig ausweiten ließe, wenn die maroden Förderanlagen aufpoliert würden. Internationale Multis haben längst ihre Vorhut entsandt.
Für sie hat Saddam Hussein den irakischen Ölkuchen in verdauliche Teile geschnitten. Amerikanische und britische Ölmanager hielt er fern. Dafür reservierte er Franzosen und Russen die besten Stücke. TotalFinaElf schloss mit der irakischen Regierung Vorverträge über das mächtige Feld Majnoon ab. Russische Konzerne, allen voran Lukoil, kauften sich schon 1997 in das West-Qurna-Feld ein. Saddam Hussein widerruft und bestätigt diese Verträge je nach diplomatischer Tageslage.
Na bitte, sagen die „Kein Blut für Öl“-Kämpfer, das sind just jene Bohrfelder, die amerikanische Ölmultis nach einem Einmarsch der US-Armee als Kriegsbeute kassieren. Ganz einfach. Zu einfach für das komplexe Ölgeschäft des 21. Jahrhunderts. ExxonMobil und Chevron-Texaco werden einen Teufel tun, im Irak die russischen Magnaten zu prellen, mit denen sie in Russland und Kasachstan gemeinsam Öl fördern wollen. Selbst eine Entmachtung von TotalFinaElf, um endlich mal die widerborstigen Franzosen abzustrafen, ist unwahrscheinlich. Wer wollte denn nach dem Waffenstillstand im Irak den globalen Ölkrieg ausrufen? Vertragsabschlüsse mit entsichertem Revolver sind aus der Mode gekommen. Heute arbeiten die Ölmultis in internationalen Konsortien zusammen. So verteilt sich das Risiko der teuren Megaprojekte auf viele Schultern.
Ein Krieg ums Öl würde für amerikanische Energieriesen keinen Mehrwert abwerfen. Billiger für die Amerikaner ist der unspektakuläre Weg, den sie bisher gegangen sind: irakisches Öl einfach zu kaufen. Für den ungestörten Export vom Golf stehen ohnehin seit Jahrzehnten US-Soldaten Spalier. Ein gelegentlich befürchteter Ölboykott von Saddam Hussein gegen den Westen wäre lächerlich. Die Ölstaaten warten doch nur auf den Ausfall eines Konkurrenten. Der Irak, ob unter Saddams Knute oder unter US-Kuratel, wird stets so viel Öl verkaufen wie nur möglich, weil er dringend Geld braucht. Derzeit ist die Obergrenze auf 2,2 Millionen Fass pro Tag durch die UN festgelegt. Der Irak nutzt selbst dieses Potenzial nicht voll aus. Er kann es nicht.
Mit ächzenden Pumpen
In den Jahren der Kriege und Sanktionen sind Rohre, Pumpen und Raffinerien verrottet. Amerikanische Ölexperten und der deutsche Energiefachmann Friedemann Müller von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sind sich einig: Ein halbes Jahrzehnt dürfte vergehen, bevor der Irak mit ächzenden Pumpen wenigstens 4 Millionen Fass pro Tag produziert. Das ist die Hälfte dessen, was Saudi-Arabien schon heute auf den Markt schwemmt. Eine wirkliche Konkurrenz für den arabischen Nachbarn würde Bagdad mit seinen enormen Reserven erst in 15 bis 20 Jahren werden. Können Politiker so lange auf die Öldividende warten? Zunächst wird der Irak nach Saddam ein zerstörtes, hoch verschuldetes Land sein. Es wird weiter Reparationen an Kuwait zahlen müssen und jeden Cent brauchen. Solche Staaten gewinnen keine Preiskriege gegen die Opec und Saudi-Arabien. Im Gegenteil: Der Opec-Preiskorridor von 22 bis 28 Dollar pro Fass hilft auch einer Bagdader Regierung von amerikanischen Gnaden.
Die gute Nachricht für den Fall eines Krieges gegen den Irak heißt: Wenn im Kampf die irakischen Quellen in Flammen aufgehen, kann Saudi-Arabien den Verlust auf den Weltmärkten spielend ausgleichen. Die schlechte Nachricht für einige US-Ölstrategen nach dem Krieg: Der Irak wird Saudi-Arabien nicht ersetzen können. Wir wissen nicht, ob die amerikanische Regierung je dieser Illusion erlegen war. Wenn sie die Folgen des Krieges realistisch einschätzt, weiß sie: Es fließt kein Öl für Blut. Die Weltmacht Amerika wird auf absehbare Zeit weiter mit der Rohstoff-Supermacht Saudi-Arabien leben müssen – in gegenseitiger Abhängigkeit. Niemand ist allmächtig.
- Hochinteressant ! Fredrik 20.2.2003 22:02 (0)