Re: Wer spricht russisch und kann das prüfen? (owT)
Geschrieben von JeFra am 15. Februar 2003 23:10:10:
Als Antwort auf: Wer spricht russisch und kann das prüfen? (owT) geschrieben von Johannes am 15. Februar 2003 11:55:26:
Ich habe den Beitrag uebersetzt, so gut ich es kann. Einige Stellen habe ich geraten, diese sind mit einem [?] gekennzeichnet. Auch die anderen Kommentare in eckigen Klammern stammen von mir. Der Autor der Betrachtung hat offenbar in der Zeit der Perestroika eine gewisse Rolle bei Aktionen der Presse gespielt, die die Absetzung der bisherigen Kader in Partei und Heer vorbereitet haben.
MfG
JeFra
Präventivkriege
Von Fjodor Burlatzki, Vorsitzender des wissenschaftlichen Rates der russischen Akademie der Wissenschaften [ ?, wörtl. RAN]
Der Krieg der USA gegen den Irak lohnt[?] sich. Und das gilt nicht nur für die Eroberung der Erdölreichtümer dieses Landes, obwohl dieser Faktor besondere Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit den Alternativen Deutschlands und Frankreichs findet, die großes Interesse für das irakische Öl haben. Zu ihnen hat sich auch Rußland gesellt, obwohl unsere Interessen daran erheblich den deutschen und französischen nachstehen. Außerdem ist Rußland, das wie nie zuvor nach Aufnahme in die europäische Völkerfamilie dürstet, gezwungen, vor allem die partnerschaftichen Beziehungen zu den USA wertzuschätzen. Für diese hat es teuer bezahlt, beginnend mit der Auflösung der SU [?] und endend mit dem Einlenken in der Zeit des jugoslawischen Dramas.
Erdöl. Absatzmärkte. Darüber schreibt man in fast allen unseren Massenmedien [?]. Unwillkürlich erinnert man sich an die Leninschen Erklärungen zur Natur imperialistischer Kriege. Wie tief sie sich in das Bewußtsein der Intellektuellengemeinde eingegraben haben! [ Der Link weist auf einen Beitrag von G. Grass, worin dieser seine Position in der Irak-Frage erläutert. J. F. ] Aber warum haben die USA dann diese Karte nicht zur Zeit des 'Wüstensturmes' zu Ende ausgespielt? Es wäre so einfach gewesen, die Sache zum siegreichen Ende zu bringen und den Irak und seine Erdölreichtümer unter Kontrolle zu bringen.
Nein, es ist komplizierter und dramatischer. Ich war bereits dazugekommen, zu schreiben, daß die Welt im 21. Jahrhundert in eine Zeit amerikanischer Kriege eingetreten ist: lokale und periphere Kriege, die jedoch gesamtmenschheitliche Bedeutung haben. Der 11. September hat endgültig die amerikanische Führung und, wir werden demgegenüber nicht die Augen schließen, die amerikanische Gesellschaft davon überzeugt, daß ohne derartige Kriege die Sicherheit der USA nicht garantiert werden kann. Und auch die Sicherheit des ganzen Westens.
Unter den Umständen der modernen Technik ist der Terrorismus zu einer schrecklichen Kraft geworden. Es genügt, wenn eine kleine Gruppe ein Reagenzglas mit Milzbrand [ ? wörtl.: sibirisches Geschwür, also auf jeden Fall eine B-Waffe, J. F. ] oder gar eine Mini-Atomwaffe an sich bringt, um selbst den mächtigsten Staaten und Völkern der Erde Schläge unerhörter Stärke beizubringen. Das ist ein gänzlich neuer Faktor im Leben des Menschen auf der Erde.
Alle Russen teilen die Haßgefühle gegen die Terroristen des Theaters an der Dubrovka. Warum sollten wir nicht die Gefühle des amerikanischen Volkes im Zusammenhang mit dem 11. September teilen? Wenn sich Ähnliches in den USA wiederholt, könnten die Amerikaner in ihrer vollkommen berechtigten Verbitterung zu den verzweifeltsten Schritten übergehen: Aus der UNO austreten, ihre Finanzierung beenden [ was die USA jetzt schon tun, J. F. ], die NATO umbauen [ was auch jetzt schon geschieht, J. F. ], aus dem geringsten Anlaß oder ohne Anlaß militärische Gewalt anwenden.
Präventivkrieg, das ist nach meiner Meinung das hauptsächliche völkerrechtliche Problem. Es zwingt zu einer Erörterung und Regulierung in den Weltforen. Der Krieg gegen einen Agressor, der Massenvernichtungsmittel besitzt oder sie sich verschaffen kann. Das ist kein gänzlich neues Problem. Ich erinnere, daß Winston Churchill zur Zeit des Münchener Abkommens Chamberlains mit Hitler zu einem derartigen Krieg aufgerufen hat. Hätte Stalin nach seinem Überfall auf Polen angegriffen, hätte uns der Sieg über den Faschismus vielleicht nicht 30 Millionen Menschenleben gekostet.
Die Präventivkriege der USA haben noch eine weitere wichtige Besonderheit. Der messianismus. Die Amerikaner sind aufrichtig von ihrer Prädestination überzeugt: Die Ideale der Demokratie auf der ganzen Welt zu verbreiten. Das erinnert an unseren kommunistischen Messianismus in der jüngeren Vergangenheit, mit dem wesentlichen Unterschied, daß Demokratie und Freiheit tatsächlich absolute Werte jedes Menschen sind. Kann man sie mit militärischer Gewalt verbreiten? Die Amerikaner sind überzeugt: Ja. Dennoch überzeugt die Erfahrung der UdSSR und der osteuropäischen Staaten vom Gegenteil: Nur die innere Evolution kann die Mentalität der Menschen und der politischen Institutionen ändern. Stets bleibt die Frage ohne Antwort: Darf man ein ganzes Volk für schlechte Herrscher strafen, die es zudem nicht gewählt hat?
So oder so ist klar, daß der Präventivkrieg eine sehr scharfe und gefährliche Waffe ist. Es ist ein gewisser Kodex internationaler Regeln erforderlich, der sich jedoch nicht auf die Resolutionen der UNO gründet [? wörtl: zurückführt J. F. ]. Die Definition einer Aggression im Vorfeld [ ? ] bedarf einer Ergänzung im Geist der neuen Realitäten. In dieser Organisation selbst [ ? also wohl in der UNO, J. F.] und den internationalen wissenschaftlichen Foren könnte man neue Normen ausarbeiten, welche auf die Bedrohungen des technotronischen Zeitalters antworten, in dem kleine Gruppen und selbst Einzelgänger in der Lage sind, Verteidigungssystem zu überwinden, selbst die Informationssysteme der stärksten Mächte, und vielleicht große Kriege provozieren könnten.
Doch unabhängig von neuen Regeln betraten die USA den Weg des lokalen Präventivkrieges im Interesse ihrer Sicherheit. Und, wie seine Führer überzeugt sind, im Interesse der gesamten westlichen Welt. Afghanistan, Irak ... Wer ist [ dann ] an der Reihe? Libanon, Iran, Nordkorea?
Rußland ist bereits zur Ausarbeitung seiner Strategie unter den neuen Bedingungen übergegangen. Die Auftritte Präsident Putins in Deutschland und Frankreich drücken diese Suche aus. Aber der Prozess ist noch ganz am Anfang. Zu schwer ist noch die Last der Schlußfolgerungen aus dem letzten Jahrzehnt zur Außenpolitik des Landes, als wir wie blinde Katzen im Fahrwasser der Politik der USA fuhren, ohne die nötige Aufmerksamkeit auf Europa und China zu richten. Wir haben wahrlich Freunde nötiger als je zuvor. Deutschland und Frankreich, das ist eine großartige Chance. Aber nicht auf dem Boden des Antiamerikanismus.
Außerdem sind noch psychologische Stereotypen aus der Sowjetära zu stark, als wir die dritte Welt gegen den Westen aufgehetzt haben. Noch sind unsere eigenen, gesamtgesellschaftlichen Interessen in der Politik nicht genug von den Interessen einzelner Einflußgruppen getrennt.
Es bedarf einer feinmechanischen [ wörtl: Juwelier-] Diplomatie. Hier sind Eskapaden fehl am Platz. Der Krieg gegen Saddam Hussein und die amerikanischen Präventivkriege insgesamt erfordern eine tief durchdachte und abgewogene politische Strategie Rußlands. Und eine nationale Einigung ähnlich der, die in Amerika vor sich geht.