Neue Weltordnung auf wackligen Füssen

Geschrieben von Hubert am 08. Februar 2003 15:32:41:

Ernüchterung bei den Wirtschaftsforen und immer mehr Forderungen nach globaler Gleichheit

DAVOS, Schweiz, den 1. Februar 2003 (ZENIT.org).- Das diesjährige Welt-Wirtschafts-Forum in Davos war unter das Thema “Vertrauen aufbauen” (Building Trust) gestellt worden. Die Absicht war, der Geschäftswelt zu helfen, sich von den Folgen der jüngsten Serie ethischer Skandale zu erholen.

”Vertrauen ist das Band, das alles zusammenhält, und der Garant für gesunde Gemeinschaften und erfolgreiche Unternehmen”, erklärten Klaus Schwab und Thierry Malleret, Präsident und Direktor des Welt-Wirtschafts-Forums, in einem am 28. Januar vom “Wall Street Journal” veröffentlichten Meinungsartikel. Ist erst einmal das Vertrauen verloren gegangen, ist es “äußerst schwierig, es wiederzugewinnen” stellten sie fest.

Ein Leitartikel in der “Financial Times” vom 18. Januar beschrieb die Situation noch schonungsloser: “Vorbei ist es mit der Stimmung eines arroganten Triumphalismus, der die Versammlungen in Davos vor wenigen Jahren kennzeichnete. Generaldirektoren, die damals als die neuen Herren des Universums mit lautem Beifall begrüßt und wie Golfbälle zu lebhaften Märkten und zu Visionen von unbegrenztem Wachstum hochgespielt wurden, sind nun jäh auf dem Boden der Wirklichkeit gelandet.”

Insgesamt war der Gipfel dieses Jahres viel bescheidener, nicht nur auf Grund der Skandale der Vergangenheit sondern auch wegen der wackeligen Weltwirtschaft und der Ängste vor einem Krieg im Irak, stellte die Zeitung “Globe and Mail” am 24. Januar fest.

Klaus Schwab, der das Forum vor 33 Jahren gründete, sagte zu den Delegierten bei der offiziellen Eröffnung, dass noch nie in der Geschichte der Versammlung, die Welt mit einer Situation konfrontiert war, die “so komplex und so heikel” war wie in diesem Jahr. Er bat auch die Industriekapitäne dringend, auf mehr zu achten als nur auf das, was unter dem Strich herauskomme. “Ein Unternehmen hat nicht nur die Aufgabe, Gewinn zu bringen”, sagte Schwab. “Es muss auch verantwortlich handeln. Es darf nicht nur einen finanziellen Wert, sondern muss auch ideelle Werte repräsentieren.”

Anti-Globalisierungsprotestler waren ebenfalls anwesend, wenngleich gegenüber den Vorjahren geringer an Zahl und gemäßigter, was ihren Zorn anbelangt. Die 2.350 Davos-Teilnehmer wurden durch beispiellose Sicherheitsmaßnahmen geschützt, welche die Schweiz rund zehn Millionen Dollar kosteten, berichtete die “New York Times” am 23. Januar.

USA kontra Europa

Die Gefahr eines Krieges der USA gegen den Irak spielte eine große Rolle in Davos. In der Tat hatte das Forum “ein Thema, bei dem Amerika der Prügelknabe sein konnte” mit häufigen Attacken gegen “die amerikanische Arroganz”, die Doktrin des Präventivkriegs und Washingtons Irakpolitik, berichtete das “Wall Street Journal” am 27. Januar.

Die globale Geheimdienstfirma “Stratfor” vermutete am 29. Januar, dass einer der Faktoren hinter der Feindseligkeit in Davos gegen die Vereinigten Staaten darin bestehe, dass die Anwesenden ein “Teil der internationalen Elite” sind, “der sich der Idee verschrieben hat, das internationale System so zu bewahren, wie es vor dem 11. September 2001 war.”

Und hinter der zunehmenden Meinungsverschiedenheit zwischen Europa und den Vereinigten Staaten, meint “Stratfor”, verberge sich eine Spaltung “auf niedrigstem geistigen und moralischen Niveau”, die eine Auflösung der Nachkriegs-Bündnisstruktur kommen sieht. “Die Verständnislosigkeit und der Zorn der Europäer in Davos ist weniger gegen die Vereinigten Staaten gerichtet als dagegen, dass sie selbst die Ereignisse nicht kontrollieren können”, schloss “Stratfor”.

Die traditionelleren wirtschaftlichen Themen der Globalisierung und der Beziehungen zwischen reichen und armen Ländern wurden bei dem Treffen ebenfalls angesprochen. Der neu gewählte brasilianische Präsident, Luiz Inácio Lula-da Silva, war nach Davos gekommen und bat die besser gestellten Nationen denen zu helfen, die in Not sind, berichtete die italienische Tageszeitung “La Repubblica” am 27. Januar.

Lula war der Star bei einem Abendessen in Davos, an dem mehrere lateinamerikanische Staatsoberhäupter anwesend waren, darunter der mexikanische und der argentinische Präsident. In seiner Rede am Vortag hatte Brasiliens Oberhaupt die Errichtung eines Weltfonds zur Bekämpfung des Hungers angeregt. Er sprach auch darüber, dass seine Partei in Brasilien “einen neuen Gesellschaftsvertrag” entworfen habe, um die Wirtschaftsentwicklung wieder in Gang zu setzen und die sozialen Ungleichheiten zu verringern.

Lula versicherte den Teilnehmern, dass Brasilien seine finanziellen Verpflichtungen respektieren werde, aber er betonte nachdrücklich, dass sein Land aus dem Teufelskreis ausbrechen müsse, durch den es immer wieder gezwungen sei, Geld zu borgen, um seine unbezahlten Schulden zurückzuzahlen. Wir glauben an den Freihandel, sagte er, aber an einen Freihandel, bei dem das grundlegende Merkmal die Reziprozität ist, das Gegenteil von dem, was bis jetzt durch die reichen Länder geschehen ist, die Freihandel predigten und Protektionismus praktizierten.

Porto Alegre

Inzwischen fand das dritte ‚Welt-Sozialforum’(WSF) in der brasilianischen Stadt Porto Alegre statt. Zu der Veranstaltung kamen ungefähr 100.000 Teilnehmer, die “einen nachdrücklichen Aufruf gegen Krieg, Ungerechtigkeit und soziale Ungleichheit veröffentlichten”, berichtete die “Inter Press Service News Agency” am 29. Januar.

“Unser größter Sieg in diesem Jahr besteht darin, dass die Welt uns hat ausreden lassen, sagte der brasilianische Aktivist Cándido Grzybowski, Mitglied des Organisationsausschusses des WSF. Ignacio Ramonet, ein weiterer Organisator des WSF, sagte, die Hauptbotschaft des Forums laute in diesem Jahr, “Nein zum Krieg”—womit er sich auf die amerikanischen und britischen Vorbereitungen auf einen Militärschlag gegen den Irak bezog.

Wirtschaftliche Themen standen ebenfalls im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Am Eröffnungstag der Aktivitäten veröffentlichten die Organisatoren des Forums das Ergebnis einer Meinungsumfrage, wonach eine Mehrheit der Bevölkerung in den 15 befragten Ländern glaube, dass die Globalisierung von internationalen Konzernen betrieben werde und eher Reichtum anhäufe, als Chancen zu schaffen, berichtete die “Financial Times” am 24. Januar.

Interessanterweise ist Mexiko das Land, wo die meisten befragten Leute sagten, dass sie glauben, dass die Globalisierung Chancen bringt und dass das Wirtschaftswachstum Vorrang gegenüber sozialen Fragen haben sollte. Umgekehrt glauben mehr Südkoreaner und Deutsche, dass die Globalisierung Reichtum anhäuft.

Zu den Aktivitäten des Forums gehörte auch ein Demonstrationszug von etwa 30.000 Menschen, berichtete “CNN” am 28. Januar. Viele der Marschierer zeigten ihre Missbilligung einer Freihandelszone für die westliche Hemisphäre, die sich von Kanada bis nach Argentinien erstrecken würde. Die geplante Freihandelszone der beiden Amerikas ist ein Projekt, das die Volkswirtschaften von 34 Staaten verbinden soll. Protestler befürchteten, dass sie großen Aktiengesellschaften ermöglichen wird, Gesetze zum Arbeits- und Umweltschutz zu umgehen und dass sie den Bauern und den Armen schaden wird.

George Monbiot, ein Journalist für die britische Tageszeitung “Guardian” und ein entschiedener Kritiker der Globalisierung, brachte in einem Artikel vom 28. Januar seine unverhohlene Freude über die wachsende Beliebtheit der Porto Alegre-Konferenzen zum Ausdruck. Auch wenn die Proteste infolge der Nachwirkungen der Anschläge des 11. September nachgelassen hätten, schrieb er, “ist unsere Bewegung größer geworden, als es die meisten von uns je hätten vermuten können.” Er erklärte: “Für die große Mehrheit der Aktivisten -- für jene, die in der armen Welt leben -- bietet die Bewegung das einzige wirksame Mittel, die Menschen in den reicheren Staaten zu erreichen.”

Der Korrespondent für “La Repubblica” war sich nicht so sicher. In einem Kommentar vom 29. Januar, bemerkte Fabrizio Ravelli, dass trotz all der Gespräche und Aktivitäten in Porto Alegre nur wenig getan werde. Bis zu Programmen, die konkrete Veränderungen bewirkten, sei vermutlich noch ein langer Weg zurückzulegen, stellte er fest.

Davos oder Porto Alegre?

Nach Meinung von Bischof Diarmuid Martin, dem ständigen Beobachter für den Heiligen Stuhl am Genfer Hauptquartier der Vereinten Nationen, ist das, was wir bei der Globalisierung vermeiden müssen, die Übernahme ideologisch gesteuerter Positionen, ob sie nun für oder gegen die Globalisierung sind. In einem Interview mit der Tageszeitung der italienischen Bischofskonferenz Avvenire am 24. Januar stellte Bischof Martin das Fehlen von Strukturen fest, die geeignet wären, die heutigen globalen Gegebenheiten zu regeln.

Was benötigt wird, sagte er, sind klare und gerechte Regeln, die keiner Gruppe ungerechte Privilegien bieten. Er forderte auch eindringlich eine größere Achtung vor den grundlegenden Menschenrechten. Und was die wirtschaftliche Entwicklung angehe, so sei es nicht genug, lediglich Märkte zu öffnen, damit die Länder der Dritten Welt ihre Güter exportieren können.

Die Entwicklungsländer seien auch auf Hilfe angewiesen, um funktionsfähige rechtliche und politische Systeme schaffen zu können, so dass die Rechtsstaatlichkeit respektiert und eine freie Presse erlaubt wird. Bischof Martin betonte auch, dass Investitionen im Bildungsbereich ein fundamentaler Ausgangspunkt für die wirtschaftliche Entwicklung sei.

Vernünftige Worte, die in der aufgeheizten Rhetorik internationaler Diskussionsforen oft unbeachtet bleiben.



Antworten: