Shambala - Eine buddhistische Endzeit?
Geschrieben von Karma WD am 29. August 2001 14:09:44: Liebe Leute!
Nachdem man in diesem Forum schon lange nichts Neues mehr liest bzw. gute Texte (man denke an Elias) rar sind, möchte ich etwas Neues beisteuern.
Mich hat schon immer diese widerliche Verknüpfung von katholischem und rechtem Gedankengut gestört, der sich bei fast jeder der hier im Forum bekannten Prophezeiung im Hintergrund abspielt (eine Erörterung dieses Themas erspare ich mir). Deswegen möchte ich einmal eine andere Sichtweise - ich bin selbst Buddhist - einbringen.
Shambala – Die Endzeit des Buddhismus?Fragt man heute tibetische Lamas nach Shambala (sanskrit. "Quelle der Freude"), so antworten sie unbeirrt: "Das ist ein heiliges Land nördlich von Tibet". Und wenn sie dann ins Schwärmen kommen, möchte man meinen, sie sprechen vom Paradies, in dem es den Sündenfall der Bibel nie gegeben hat. Dieses heilige Land soll noch immer bestehen, auch wenn es für die heutigen Menschen nicht mehr auffindbar ist. Doch soll von ihm, auch das ist die Meinung der Lamas die Erlösung der Menschheit ausgehen:
Die Vernichtung des Bösen durch einen vom König von Shambala geführten letzten Krieg – und danach der Ausbruch eines goldenen Zeitalters.
Diese Prophezeiungen über Shambala stehen in engem Zusammenhang mit der Kalachakra-Initiation, die seit Jahrhunderten den Kern des tibetischen Buddhismus ausmachen, wo Prophezeiungen von Anfang an (man beachte die Prophezeiung Padmasambhavas, der eine Ausbreitung des Buddhismus im Westen in unserer Zeit voraussieht oder das tibetische Staatsorakel) eine große Rolle spielten.
Wir finden in der Kalachakra-Einweihung außerdem eine scharfe Kritik an der außerbuddhistischen Welt, vor allem am Islam. Die Kritik richtet sich gegen die „barbarische Welt des Materialismus, die der Buddhismus aber genauso im Juden- und im Christentum vorzufinden glaubt. Auch wendet man sich damit gegen die Unfähigkeit der heutigen Führungskräfte, Frieden zu stiften bzw. dies auch nur zu versuchen. Die einzige Gegenmacht liegt für die tibetischen Buddhisten in Shambala und seinen geheimnisvollen Königen, deren einundzwanzigster nach der alten Prophezeiung 1927 die Herrschaft angertreten hat.
Wo ist Shambala nun wirklich zu finden?Nach einigen tibetischen Schriften liegt Shambala im Gebiet des Himalaja oder nördlich davon (Tarim-Becken). Es ist vollkommen von einem Ring aus Schneebergen umgeben, deren Gletscher funkeln und glitzern.
Keiner, der nicht an diesen Ort gehört, kann sie passieren. Die Texte lassen durchblicken, dass man diese Schneeberge nur im Fluge überqueren kann, doch wird betont, dass es sich damit um eine Art Flug handelt, der auf spirituelle Kräfte zurückgeht.
Shambhala ist in acht Regionen mit je zwölf Fürstentümern aufgeteilt. Im Zentrum des Königreiches liegt Kalapa, die Hauptstadt von Shambhala. Östlich und westlich davon liegen zwei wunderschöne Seen, wie ein Halbmond und eine Mondsichel geformt und mit Juwelen angefüllt. Südlich von Kalapa befindet sich ein heiliger Hain, Malaya, der "kühle Hain". Nach Norden erheben sich zehn zerklüftete Felsengebirge, welche Schreine wichtiger Gottheiten bergen.
Der Juwelenpalast des Königs im Zentrum von Shambhala leuchtet und strahlt so hell, dass die Nacht zum Tage und der Mond zu einem trüben Himmelslicht wird. Verschiedene Kristalle, die im Boden und in der Decke eingelassen wurden, regulieren die Raumtemperatur, indem sie entweder kühlen oder wärmen.
Steht uns nach buddhistischer Sicht eine "Endzeit" bevor?Nach zwei Nachfolgern des jetzigen Königs von Shambala wird im Jahre 2337 Rudra-Ckakrin ("Der Rasende mit dem Rad"; vom vedischen Götternamen Rudra abgeleitet; Chakra=das Rad) den Thron Schambalas besteigen und die Welt des Materialismus besiegen.
Die letzte Schlacht gegen die "verdorbene Menschheit" und ihre korrumpierten Machthaber wird nach der Vorhersage im vorderen Orient (wahrscheinlich im iranischen Raum) ausgetragen. Ihr gehen Naturkatastrophen, Epedemien und (Bürger-) Kriege voraus. "Reichtum und Armut werden niemanden mehr froh sein lassen. Die einen gehen am Elend, die anderen am Überfluss zu Grunde." "Wenn sich die Herrscher der Barbaren am Höhepunkt ihrer Macht wähnen, wird Rudra-Chakrin sie vernichten. Ein goldenes Zeitalter wird anbrechen."
Beurteilung des Shambala-Mythos durch den AutorInteressant ist, dass die ältesten Shambala betreffenden Bände ungefähr im elften Jahrhundert aus dem Sanskrit ins Tibetische übersetzt wurden. Zu dieser Zeit musste sich der Buddhismus mit dem sich ausbreitenden Islam auseinadersetzen, der agrressiv gegen den buddhistische Heiligtümer vorging. Kein Wunder also, dass sich eine Art "Heilsmythos" einer "Goldenen Zeit" durchsetzte, in der die Feinde vernichtet werden würden.
Ähnlich ist auch die Johannes-Offenbarung zu lesen, die der Gemeinde der Gläubigen Hoffnung geben soll, indem Zeiten ohne Peinigung, ein Reich Gottes und die Vernichtung der Feinde gepredigt werden. M.E. nach gehen beide Mythen auf alte babylonische Mythen zurück (die fast ältesten der Menschheit), die sich vom vorderasiatischen Raum ausgebreitet haben und in den Mythenkreis der jeweiligen Kulturen eingeflossen sind.
Interessant ist ferner die eschatologisch-apokalyptische Zielrichtung des Shambhala Mythos. Ähnlich wie in der Johannes Apokalypse stehen sich die Kräfte des Guten und des Bösen gegenüber. In einer Endzeit wird nämlich ein einziger Gewaltherrscher die ganze Welt mit Ausnahme Shambhalas erobert haben. Doch der letzte Shambhala-König Rudrachakrin wird mit einer gewaltigen Armee aus Shambhala hervorbrechen und alle Feinde des Dharma vernichten, sodass endgültig Frieden in der Welt sein wird und der Buddha-Dharma wieder blühen kann.
Eine Aufteilung in "die Guten" und "die Bösen" geht dem Dharma (Lehre Buddhas) völlig zuwider, da letztendlich ja alle Erscheinungsformen ihre Ursache im eigenen Geist finden und es wäre ziemlich unsinnig, wenn ein Teil des eigenen Geistes den anderen bekämpfen würde. Die "Jüngste-Gerichts"- Analogie würde ich am ehesten auf den Bardozustand angewandt vermuten - auch hier gibt es eine Phase, in der der Totengott Yama erscheint und negatives Karma gegen positives abwägt. Aber das sind archetypische Erscheinungen, die ebenfalls im eigenen Geist wurzeln.
Ein Weltbild allerdings, dass die "Guten" in ein Paradies und die "Schlechten" in die Hölle nach einem großen Endgericht befördert, ist völlig jedenfalls unbuddhistisch. Im tibetischen Buddhismus gibt es lediglich Lebewesen, die es schneller schaffen zur Befreiung vom Daseinskreislauf zu gelangen und andere, die ein wenig länger dazu brauchen. In letzter Konsequenz ist es aber Ziel eines Mahayana-Buddhisten, dass alle Lebewesen Befreiung von bedingtem Dasein erreichen. Es sind auch nicht die guten oder schlechten Taten, die hier zu einem befreiten Dasein verhelfen, sondern das eigene Streben und Erreichen von Erleuchtung. Hier zählt weder "Gnade", noch die Zugehörigkeit zur richtigen Partei, noch ein großes Säckel voll guter Taten, sondern schlicht und ergreifend die eigene stetige Bemühung um spirituelle Entwicklung.
In ausufernden, bilderreichen, phantastischen Kommentaren drückt sich symbolisch die Auseinandersetzung der spirituellen Geisteswelt des Buddhismus mit der Wahnbefangenheit einer an reale Wirklichkeit glaubenden und entsprechend handelnden Menschheit aus; die losgelöst von jeder Zeit zeitlos erscheint.
Jedenfalls lässt dieser Mythos viel Raum für Interpretationen (vgl. die Analogie zur "Arthus Sage") und ist nicht leicht zu deuten. Eine "Vernichtung der ungläubigen Feinde" passt jedenfalls ebensowenig in das buddhistische Lehrkonzept wie das Anbrechen einer "Goldenen Zeit" (auf Erden) in der Zukunft.
Mögen alle Wesen Erleuchtung erlangen
Karma Wangchun Dorje