Winter im Mai - 800 Jahre Wetterextreme

Geschrieben von Mischel am 02. Januar 2003 12:03:07:

Ich finds ganz interessant für die, die Prophs auf Wettererscheinungen abklopfen wollen:

Baden an Weihnachten, Winter im Mai

800-Jahr-Chronik belegt: Das Wetter zwischen Main und Bodensee schlug schon immer Kapriolen

Von dpa-Korrespondent Wolf Günthner


Stuttgart. Reife Erdbeeren gab es im Februar 1290, süße Kirschen an Pfingsten 1599; im Winter 1560/61 platzten mit einem lauten Knall vor Kälte die Rinden der Bäume auf, und während einer fünf Monate langen Trockenperiode standen im Sommer 1766 die Mühlen im Schwabenland vollständig still. Im Land zwischen Main und Bodensee spielte das Wetter immer schon Kapriolen - mal zum Segen und mal zum Leidwesen der Menschen.

Milde Temperaturen an Weihnachten und zu Silvester, wie in diesem Jahr, seien keine Seltenheit, sagt Waltraud Düwel-Hösselbarth. Als Wissenschaftlerin an der Universität Hohenheim hat sich die Stuttgarterin 25 Jahre lang mit dem Thema Klima im Südwesten befasst. In ihrem jüngst erschienenen Buch "Ernteglück und Hungersnot" ist die fast lückenlose Chronik des Wetters der vergangenen 800 Jahre beschrieben.

So gab es viele Winter, die ihren Namen nicht verdienten: Im Januar 1186 blühten die Obstbäume, die Äpfel waren bereits im Februar haselnussgroß. An Weihnachten 1289 schlugen die Bäume aus, und die Kinder badeten in Flüssen. Auch 1328 setzte die Baumblüte bereits im Januar ein. "Schwankungen gab es zu allen Zeiten", berichtet Düwel-Hösselbarth.

"General" Winter konnte aber auch ein strenges Regiment führen - wie 1277/78, als alle Weinstöcke um Stuttgart erfroren und der Bodensee zugefroren war. Von 1323 bis 1776 fror das Schwäbische Meer noch ein Dutzend Mal zu. 1347 wollte der Winter nicht weichen, so dass Anfang September die Reben noch blühten. Von Martini 1406 bis Lichtmess 1407 herrschte ununterbrochen eine zuvor nie erlebte Kälte. Im April 1448 fiel noch meterhoch Schnee. 1468 konnte der Hafer erst am Christabend eingefahren werden. 1491 hielt sich die winterliche Kälte bis zum Urbanstag (25. Mai). 1709 hielt sich der Schnee ab einer Höhe von 900 Metern bis in den Juni.

Im Januar 1830 tummelten sich auf dem zugefrorenen Bodensee die Menschen zu Trommeln und Pfeifen der Zünfte, Bauern brieten ganze Ochsen am Spieß und eine Prozession trug die Holzstatue des Johannes von Münsterlingen quer über den Bodensee nach Hagnau. Dies geschah erstmals 1573, 111 Jahre später kehrte die Statue zurück. In den Jahren 1830 und 1963 wanderte sie abermals hin und her. Im Winter 1858 wurde auf der Alb, in Oberschwaben und am Bodensee Schnee geschmolzen, um Trinkwasser zu gewinnen. Im Untersee sank das Wasser auf den Grund. Wegen Wassermangels musste 1862 die Schifffahrt auf dem Neckar bei Stuttgart eingestellt werden.

Als mildeste Dezember weisen die seit 1878 in der Hohenheimer Wetterstation gesammelten Daten die der Jahre 1915 und 1934 aus. Am wärmsten war es 1915 mit 17,7 Grad und 1953 mit 17,1 Grad. Den kältesten Dezember gab es 1879 mit der Tiefsttemperatur von minus 26,6 Grad. 1940 war der Januar mit 31 Frost- und 27 Eistagen am kältesten; am 19. Januar dieses Jahres wurden minus 23,7 Grad gemessen. Eiskalt war es auch im Dezember 1939 (minus 25,8) und im Januar 1987 (minus 24,4). Dagegen stieg das Thermometer am 10. Januar 1991 in Stuttgart auf 18,3 Grad. Am 5. Januar 1999 war es in Hohenheim 15,6 Grad warm. Die derzeitigen milden Temperaturen, meint die Wissenschaftlerin, seien also nichts Besonderes.

Düwel-Hösselbarth, Waltraud: Ernteglück und Hungersnot, Konrad Theiss Verlag, 19,90 Euro




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