Rezension "Schwere Wetter" von Bruce Sterling
Geschrieben von Arkomedt am 09. Dezember 2002 02:47:49:
Bruce Sterling, „Schwere Wetter“
Heyne, 1996Klappentext:
Die Atmosphäre der Erde ist ruiniert.
Und wenn die verheerenden Stürme über den ausgedörrten Kontinent hinwegrasen, sind sie zur Stelle: die Storm Troopers, Meteorologen und Computerfreaks, um die Spur der Vernichtung zu vermessen und sich den ausgeflipptesten Nervenkitzel zu verschaffen.Zugegeben, dieser Klappentext reißt nicht gerade vom Hocker, lässt dieses Buch nicht automatisch in die Bestsellerlisten aufsteigen. Dieses Buch ist eher ein Geheimtip. Wenn man diesen Tip aber erst einmal erhalten hat, haut es einen um. Sehr tief, eigentlich zu tief, lässt der Autor auf diesen 415 Seiten seine Leser blicken. In Abgründe menschlicher Verantwortungslosigkeit, wirtschaftlicher und politischer Verflechtungen von Machtinteressen. In die Hintergründe von Terrorismus und weltweiten Verschwörungen.
Der Autor hatte ganz offenbar Recht damit, seinem Buch einen romanhaften Hintergrund zu geben, ich jedenfalls bin froh darüber, dass es so nicht auf den Bestsellerlisten erschienen ist und zwangsläufig verboten wäre. So hat sich nur ein einziger Film in den letzten Jahren mit einigen Aspekten über die Wirbelsturmentwicklung und die Storm Troopers aus diesem Buch einen Hitlistenplatz gesichert.Die USA im Jahre 2034. Texas und Oklahoma sind weitgehend entvölkert. Langjährig anhaltende Dürreperioden machen eine sinnvolle Landwirtschaft unmöglich. Wirbelstürme in immer häufigerem und mächtigerem Auftreten scheinen speziell dafür geschaffen, auch die letzten Menschen aus diesen Landstrichen zu vertreiben.
Die USA selbst ist nur noch ein Schatten ihrer selbst, durch den Ausnahmezustand in den zwanziger Jahren, durch wirtschaftliches und politisches Chaos völlig destabilisiert. In Oklahoma ist zum Beispiel die Nationalgarde der größte Arbeitgeber, auf der Jagd nach Drogenschmugglern, illegalen Genlaboren und Computerterroristen. Es gibt keine einheitliche Währung mehr, sondern nur noch ein Äquivalent, fußend auf der Netzwerkaktualität von Informationen.Leseprobe, in der Hoffnung auf stillschweigende Duldung des Autors und des Heine-Verlages...
Seite 365.
„Es ging nicht um uns. Es ging niemals um us. Es war für die Zukunft.“
Die Frau ergriff wieder das Wort. „Das Tolle am Großen Spiel – ich meine, das wirklich Clevere und Innovative daran – ist, dass wir nicht einmal wissen, was wir getan haben! Das beruht alles auf elektronischen Tarnvorrichtungen, geheimen Zellen, Sicherheitsvorkehrungen, speziellem Knowhow, digitaler Anonymität und Verschlüsselung. Eine Zelle denkt sich beispielsweise fünf mögliche direkte Aktionen aus und zerlegt sie in voneinander unabhängige Teile. Und dann verteilen wiederum andere Zellen diese Arbeit auf kleine, voneinander unabhängige Aktionen, die bis zur Bedeutungslosigkeit fragmentiert sind. Als ob bedrucktes Papier und Geld noch immer etwas bedeuten.“
„Genau“, sagte der zweite Schachspieler und nickte. „Irgendwann meint zum Beispiel irgendein Theoretiker, es wäre doch ganz nützlich, irgendein übervölkertes Höllenloch von einer Stadt mit der bengalischen Cholera zu dezimieren. Und acht Monate später sieht jemand, wie sich kleine Papiersegelboote in einem Staubecken auflösen.“
Jane war fassungslos. „Warum sollte jemand so etwas tun?“Seite 366
„Aus den besten Gründen“ antwortete Leo. „Um des Überlebens willen. Um das Überleben der Menschheit und Millionen gefährdeter Spezies willen. Damit die Menschheit die Chance bekommt, sich aus dem schweren Wetter wieder zu wirklichem Sonnenschein und blauem Himmel emporzuarbeiten. Wir hatten viele Gelegenheiten, Maßnahmen zur Rettung der Erde zu ergreifen, und wir haben sie alle verschenkt, Jane. Alle, ohne Ausnahme. Wir waren gierig und dumm und kurzsichtig, und wir haben sämtliche Chancen vertan. Nicht du persönlich, unsere Vorfahren eben. Nemand, dem man so ohne weiteres die Schuld geben könnte. Aber du und ich und diese Leute hier, wir alle sind mit dem schweren Wetter großgeworden, und wir hatten unter den Konsequenzen zu leiden und mussten damit fertigwerden. Und die einzige echte Möglichkeit, damit fertigzuwerden, ist hässlich, einfach bloß unerträglich hässlich.“
„Aber, Leo, warum?“
„Weil wir Bescheid wissen! Weil wir die Möglichkeiten haben! Um der Überlebenden willen, nehme ich an.“ Er zuckte die Achseln. „Es gibt keine globale Regierung. Es gibt keine formale, bewusste Kontrolle über den Lauf der Ereignisse, nirgendwo. Die Institutionen haben aufgegeben. Die Regierungen haben aufgegeben. Die Konzerne haben aufgegeben. Aber die Leute hier in diesem Raum und viele andere, die sind wie wir und die auf unserer Seite stehen, wir haben niemals aufgegeben. Wir kommen einer funktionierenden planetarischen Regierung am nächsten.“
Jane blickte sich im Zimmer um. Die anderen waren seiner Meinung. Das war kein Scherz. Er hatte die Wahrheit ausgesprochen, die sie alle anerkannten.
„Einige von uns, die meisten, sind sogar in der Regierung. Bloß gibt es keine Regierung auf der Welt, die sich kaltblütig hinstellen und öffentlich sagen könnte,Seite 367
dass von den acht Milliarden Menschen auf diesem kollabierenden Planeten mindestens vier Millarden zuviel sind. Jane, jedes Jahr werden auf der Welt so viele Kinder geboren, wie ganz Mexiko Einwohner hat. Das ist Wahnsinn, und so geht es schon achtzig Jahre lang. Die Situation ist so katastrophal, dass der Versuch, etwas daran zu ändern, dem Beitritt zu einem Entschärfungskommando gleichkommt. Alljährlich geht eine Bombe hoch, und diese Bombe besteht aus menschlichem Fleisch, und jeder einzelne Bombensplitter bedeutet mehr ausgerottete Arten, mehr Kohlendioxid, mehr Toxine, Methan und Pestizide, mehr Abholzung, Müll und weiteren Niedergang. Früher mal gab es mehrere Auswege aus dem Dilemma, doch heute gibt es keine Alternativen mehr. Bloß noch Menschen, die wahrscheinlich überleben, und solche, die wahrscheinlich umkommen werden.“Ende der Leseprobe.
Gedanken, die dem Leser in ihrer scheinbaren Logik das Blut in den Adern gefrieren lassen. Anderenorts geht es um AIDS...
Wie bereits gesagt, der Autor hat seine Botschaften sehr geschickt in eine spannende Handlung eingebaut. Leider lässt er diese Rahmenhandlung sehr konventionell und positiv enden. Der Protagonist, sterbenskrank, aber tapfer gegen sein Schicksal ankämpfend, wird durch eine irre teure Genmanipulation geheilt, weil er durch seinen stinkreichen Vater über die Mittel dazu verfügt.Trotz dieses Seifenopernendes ist das Buch dringend zu empfehlen.
Freundlichst, Arkomedt.